Cannabidivarin, kurz CBDV, ist eines der selteneren Cannabinoide, die im Hanf vorkommen. Dieses Cannabinoid kann primär in Indica-Sorten gefunden werden und wurde erstmals 1968 an einer Universität in Bonn nachgewiesen. Chemisch handelt es sich bei CBDV um ein Homolog von CBD. Homologe sind in der Chemie Reihen aus funktionalen Gruppen, mit unterschiedlichen Längen.
Im Wesentlichen handelt es sich im Falle von CBDV um CBD, dessen Seitenkette um zwei Methylbrücken verkürzt ist. Von CBDV sind 7 verschiedene Doppelbindungsisomere bekannt. Dies ist eine Eigenschaft, die man auch von THC kennt. Es handelt sich jeweils um das strukturell gleiche Molekül, jedoch befindet sich bei jedem dieser Isomere die Doppelbindung an einer anderen Stelle.
Überdies kennt man von CBDV 30 verschiedene Stereoisomere. Eine pharmakologische Besonderheit von CBDV ist, dass im Gegensatz zu THC, bei dem sich die Wirkungen der verschiedenen Isomere drastisch unterscheiden, dies bei CBDV nicht der Fall ist. CBDV ist nicht psychoaktiv, weist jedoch einige interessante medizinische Qualitäten auf.
Potenzial gegen Epilepsie
Eine der wichtigsten medizinischen Eigenschaften von CBDV ist seine krampflösende Wirkung, die insbesondere gegen Epilepsie großes Potenzial zeigt. Bereits 2012 konnte in einer britischen Studie durch Beobachtungen an Ratten und Mäusen gezeigt werden, dass CBDV jene Form von Krämpfen beseitigt, die bei Epilepsie dominieren. Es wurde festgestellt, dass CBDV genau in jene Prozesse des Hippocampus in einer regulierenden Weise eingreift, die für den sogenannten Status epilepticus verantwortlich sind. Ein Status epilepticus bezeichnet einen akuten schweren epileptischen Anfall, bei dem der Patient das Bewusstsein verliert. Die Dauer und die Schwere eines Status epilepticus konnten durch CBDV erheblich verringert werden.
Aufgrund dieses krampflösenden Potenzials gibt es mittlerweile mehrere klinischen Phasen, zwei Studien, die an freiwilligen Patienten durchgeführt wurden. Vor allem das britische Pharmaunternehmen GW-Pharmaceuticals, welches CBDV unter dem Namen GWP42006 vermarktet, ist auf diesem Gebiet aktuell der Vorreiter. Nachdem eine erste Phase 1 Studie im Jahr 2014 erfolgreich abgeschlossen wurde, folgten mehrere Phasen zwei Studien mit größeren Gruppen von freiwilligen Patienten. Die größte bislang durchgeführte Studie wurde 2021 veröffentlicht. Diese untersuchte bei 162 Epilepsiepatienten das Potenzial von CBDV nach einem achtwöchigen Behandlungszeitraum.
Die Verabreichung von CBDV erfolgte auf oralem Weg in Form von Kapseln und war auf 2 Einzeldosen aufgeteilt. In den ersten beiden Wochen betrug die Tagesdosis 400 mg und wurde im restlichen Behandlungszeitraum auf 800 mg gesteigert. CBDV konnte die Anzahl und die Intensität der Anfälle um durchschnittlich 40,5 % senken. CBDV wurde im Allgemeinen gut vertragen. 2 Patienten mussten die Studie wegen Überempfindlichkeitsreaktionen abbrechen. Die aktuellen Studienergebnisse deuten jedoch auf eine relativ niedrige Bioverfügbarkeit von CBDV bei einer oralen Verabreichung hin. An dieser Stelle sind weitere Optimierungen nötig. Aktuell wird an einer leicht abgewandelten Variante von CBDV gearbeitet, die oral mit einem höheren Wirkungsgrad zur Verfügung steht.
Mögliche Therapieoption bei Autismus
Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass CBDV auch bei Autismus-Spektrum-Störungen eine neuartige Behandlungsoption darstellen könnte. Eine 2021 veröffentlichte britische Studie kam zu dem Ergebnis, dass CBDV offenbar die Hyperkonnektivität unter verschiedenen Gehirnregionen, die eine Hauptursache für Autismus ist, auf ein normales Niveau reduzieren kann. Bei 28 freiwilligen Männern, von denen 13 eine Autismus-Spektrum-Störung aufwiesen, wurde überprüft, welche Auswirkungen CBDV auf bestimmte neuronale Schaltkreise zwischen Gehirnregionen hat. Dabei wurden jeweils 2 Einzeldosen von 600 mg CBDV Oral oder ein Placebo, im Abstand von mehr als 13 Tagen verabreicht. Es zeigte sich, dass bei Personen mit einer autistischen Symptomatik, CBDV im Vergleich zu Placebo bestimmte Gehirnströme auf ein normales Maß reduziert.
Bei einer Autismus-Spektrum-Störung besteht typischerweise eine Hyperkonnektivität, also ein Übermaß an neuronaler Verbindung, zwischen verschiedenen Gehirnregionen. Vor allem das ventrale Striatum sowie die frontalen und perizentralen Regionen sind daran beteiligt. Genau dieses Übermaß an Datenaustausch zwischen diesen Gehirnregionen konnte CBDV mit lediglich 2 Einzeldosen auf ein normales Niveau reduzieren. Es sind noch weitere Studien nötig, da in diesem Versuch eine vergleichsweise kleine Gruppe, die ausschließlich männlich war, untersucht wurde.
Dennoch legen diese Ergebnisse die Hoffnung nahe, mit CBDV einen Behandlungsansatz für autistische Erkrankungen gefunden zu haben. Eine Autismus-Spektrum-Störung kann, je nach Schwere der Ausprägung, eine enorme Beeinträchtigung für den Patienten sein. Auch gibt es schulmedizinisch bislang nur sehr begrenzte Behandlungsmöglichkeiten. CBDV könnte zusammen mit dem Verständnis, in welcher Weise es die Kommunikation unter Gehirnregionen beeinflusst, hier neue Ansätze bieten.