Cannabis löst Psychosen aus, macht süchtig und verblödet. Das ist die gängige Meinung, die man zu hören bekommt, wenn man das Thema Cannabis anspricht. Tatsächlich gibt es immer wieder seltene Einzelfälle, in denen es offenbar einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Cannabis und psychotischen Erkrankungen wie Schizophrenie gibt.
Wichtig zu verstehen ist an dieser Stelle, dass diese Krankheit nicht ursächlich durch Cannabis verursacht wird. Die Erkrankung wäre früher oder später auch von selbst, oder begünstigt durch andere Faktoren, ausgebrochen. Während in der Vergangenheit fast ausschließlich äußere Einflussfaktoren für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich gemacht wurden, begann man in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu begreifen, dass ein Großteil davon genetisch bedingt ist. Ob man für eine bestimmte Erkrankung anfällig ist, ist in den allermeisten Fällen tatsächlich bereits genetisch vorprogrammiert. Durch weitere Einflüsse wie Stress, schwerwiegende Lebensereignisse, aber auch exzessiver Konsum von Cannabis oder anderen Drogen, kann eine latent vorhandene Psychose akut ausbrechen. Mit heutigen Untersuchungsmethoden ist es möglich, einen Gentest durchzuführen, der Aufschluss darüber gibt, ob man genetisch bedingt eine erhöhte Anfälligkeit für negative Auswirkungen durch Cannabis hat.
Funktionsweise der DNA-Sequenzierung
Doch wie funktioniert ein solcher Gentest? Wie kann man feststellen, ob jemand anfällig für bestimmte Erkrankungen ist? Um dies zu verstehen, muss man etwas tiefer eintauchen in die Materie der DNA-Sequenzierung. Ganz vereinfacht gesagt, kann man sich das Genom des Menschen vorstellen wie ein Computerprogramm, nur mit dem Unterschied, dass es nicht über die Werte 0 und 1 beschrieben ist, sondern das Genom durch die Anordnung von vier verschiedenen Nukleinbasen, seine Informationen codiert.
Ein Gen besteht aus den vier Nukleinbasen Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin. Diese sind mittels eines Phosphats und einem Zuckerrest miteinander verbunden und bilden die bekannte Form einer Doppelhelix. Jede Eigenschaft des Körpers, egal ob die Augenfarbe oder die Anfälligkeit für eine Erkrankung, ist einem Gen zugeordnet. Ändert man in einem Gen auch nur an einer Stelle die Reihenfolge der vier Basen, hat dies starke Auswirkungen auf die jeweilige Eigenschaft. Möchte man nun feststellen, bei welcher Codierung der DNA eine erhöhte Anfälligkeit für Psychosen besteht, muss man die DNA von einer statistisch ausreichend großen Anzahl von betroffenen Patienten und gesunden Personen sequenzieren. Sequenzieren bedeutet, man erstellt eine lineare Abfolge der vier Basen aus allen Genen.
Man kann dies am besten veranschaulichen mit einem Computerprogramm. Ein Computerprogramm ist auf Hardwareebene eine Abfolge der Zeichen 0 und 1. Wenn man die DNA des Menschen sequenziert, erhält man eine unzählig lange Abfolge der Buchstaben A, T, G und C, welche abgekürzt die vier Basen bezeichnen. Um diese Sequenzierung durchzuführen, stehen mehrere Methoden zur Verfügung. Die älteste und eine der gebräuchlichsten Methoden ist die DNA-Sequenzierung nach Sanger. Frederick Sanger war ein britischer Chemiker, der für seine revolutionäre Erfindung 1980 den Nobelpreis erhielt.
Zunächst wird eine DNA-Probe genommen, zum Beispiel in Form von Speichel. Die Probe wird anschließend erwärmt, was dazu führt, dass sich die Doppelhelix öffnet. Man kann sich das vorstellen, wie ein geöffneter Reißverschluss. Nun liegt die DNA als lange offene Kette vor, die aus einer Aneinanderreihung der vier verschiedenen Basen besteht. Der Trick besteht jetzt darin, diese Kette, Base für Base zu zerlegen und mit den einzelnen Basen, auf einer speziell präparierten Platte kleine Farbreaktionen zu erzeugen, sodass man am Ende eine Art Strichcode erhält, der die DNA abbildet.
Das Zerlegen der langen kettenförmigen Moleküle, geschieht mit einem speziell dafür synthetisierten Nukleotid, welches auch Abbruch-Nukleotid genannt wird. Die Schwierigkeit besteht jetzt darin, dass das Nukleotid die DNA-Kette an einer zufälligen Stelle spaltet. Aus diesem Grund muss die Menge der zugesetzten Abbruch-Nukleotide, sowie die Menge der zu prüfenden DNA exakt getroffen werden, damit die DNA-Kette an jeder Stelle einmal gespalten wird. Diese, von der DNA-Kette abgebrochenen Fragmente, wandern dann fast identisch, wie man es aus der Chromatografie kennt, durch eine Platte, die aus einem bestimmten Gel besteht. Kurzkettige Fragmente können weiter durch die Platte als lange Ketten wandern. Die letzte Base einer Molekülkette löst dabei an der Stelle der Platte, an der sie zum Stillstand kommt, die Farbreaktion aus. Lässt man den Vorgang lange genug laufen, erhält man auf diese Weise einen Strichcode aus vier Farben, der die menschliche DNA abbildet.
Eine Software überprüft in weiterer Folge diesen Code dahin gehend, ob es in der Sequenz der Patientengruppe eine bestimmte Teilsequenz gibt, die sich bei allen betroffenen Patienten wieder findet, jedoch bei der gesunden Gruppe nicht auftritt. Auf diese Weise kann man feststellen, welche Codierung in welchem Gen vorhanden sein muss, um für eine bestimmte Erkrankung anfälliger zu sein.
Bei einem Gentest geht man in genau der umgekehrten Reihenfolge vor. Man sequenziert aus einer Probe zunächst wieder die DNA, um den Code zu erhalten und prüft anschließend diesen Code mit einer Software, ob eine bestimmte Sequenz darin vorkommt, von der bekannt ist, dass sie für die gesuchte Erkrankung anfälliger macht. Genau das hat man auch im Zusammenhang mit Cannabis gemacht und einige Gene bzw. Codierungen auf diesen Genen entdeckt, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Nebenwirkungen im Zusammenhang stehen.
Relevante Gene im Zusammenhang mit Cannabiskonsum
Es gibt mittlerweile mehrere Anbieter von Gentests, die auf Basis einer Speichelprobe die DNA sequenzieren und nach Gensequenzen suchen, die mit einem erhöhten Risiko von cannabistypischen Nebenwirkungen in Verbindung gebracht werden. Das wahrscheinlich wichtigste Gen in diesem Zusammenhang hat den Namen AKT1. Eine bestimmte Sequenz in diesem Gen sorgt dafür, dass man anfälliger für die typischen psychischen Nebenwirkungen ist. Wer diese genetische Eigenschaft aufweist, hat ein erhöhtes Risiko für Paranoia und Psychosen. Man kann in diesem Fall sowohl eine Anfälligkeit für kurzfristige psychotische Episoden haben als auch für langfristige Folgeschäden in Form von Schizophrenie.
Die Bedeutung dieses Gens wurde 2016 bei einer Untersuchung an 442 Cannabiskonsumenten, anhand eines standardisierten Fragebogens für psychotische Symptome bestätigt. Dabei zeigten Konsumenten, mit einer bestimmten Sequenz im Gen AKT1, signifikant häufiger psychotische Nebenwirkungen. Dies stimmte mit der Erwartung überein, da man eine bestimmte Sequenz im Gen AKT1 mit genau dieser Symptomatik in Zusammenhang brachte. Ebenfalls sehr relevant ist das Gen mit dem Namen COMT. Eine bestimmte DNA-Sequenz in diesem Gen bringt eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Gedächtnisstörungen mit sich. Man geht davon aus, dass bei einer bestimmten Veränderung auf diesem Gen, das Kurzzeitgedächtnis durch Cannabis um bis zu 40 % reduziert werden kann. Dieses Gen steuert in erster Linie den Abbau von Dopamin. Der Botenstoff Dopamin spielt unter anderem eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung. Wird durch eine bestimmte Veränderung auf diesem Gen das Dopamin schneller abgebaut, hat man unter Einfluss von Cannabis deutlich stärkere Beeinträchtigungen im Kurzzeitgedächtnis.
Man geht davon aus, dass von dieser Genveränderung etwa 30 % aller Menschen betroffen sind. Auch die Art und Weise, wie THC im Körper verstoffwechselt wird, ist maßgeblich in den Genen festgelegt. Die Codierung des Gens CYP2C9 legt fest, wie schnell über Leberenzyme THC abgebaut werden kann. 15–20 % der Menschen tragen eine Veränderung dieses Gens in sich, die dazu führt, dass die Verstoffwechslung von THC die 2- bis 3-fache Zeit in Anspruch nimmt. Durch den deutlich langsameren Abbau besteht ein höheres Risiko für zu hohe Dosierungen, besonders dann, wenn THC oral eingenommen wird. Bei oralem Konsum ist man durch den stark verzögerten Wirkungseintritt leichter dazu verleitet, eine weitere Dosis einzunehmen.
Für jemanden, der THC um ein Vielfaches langsamer verstoffwechselt, kann dies eine unerwartet starke und überfordernde Erfahrung bereithalten. Auch die Verstoffwechslung von CBD wird durch ein Gen beeinflusst. Das Gen CYP2C19 legt fest, wie schnell CBD über Leberenzyme abgebaut wird. Etwa 25 % aller Menschen tragen eine Variante des Gens in sich, die dazu führt, dass CBD langsamer als normal verstoffwechselt wird. Bei weiteren 25 % wird CBD wiederum schneller als gewöhnlich verstoffwechselt. Das Wissen darüber, wie schnell CBD verstoffwechselt wird, kann eine Hilfestellung bei der individuellen Dosisfindung sein, um einen optimalen Behandlungserfolg zu erreichen.