Hanf zählt zu den ältesten Nutzpflanzen der Menschheit. Kaum eine andere Pflanze ist in ihrer chemischen Zusammensetzung so gut untersucht, wies es bei Hanf der Fall ist. Dazu zeichnet sich Hanf durch eine ausgesprochen vielfältige Mischung aus unterschiedlichsten Stoffgruppen aus.
Die bekanntesten sind sicherlich die Terpene und die Cannabinoide. Von ihnen gibt es wieder Hunderte verschiedene Arten und jede Hanfsorte hat ein anderes Wirkstoffprofil. Ferner gibt es zahlreiche weniger bekannte Stoffgruppen, die sich ebenfalls in Cannabis finden lassen. Eine dieser Stoffgruppen, die erst vor wenigen Jahren entdeckt wurde, sind die Thiole.
Neuentdeckte Verbindung für Aroma verantwortlich
Chemisch zählen Thiole wiederum zu den Terpenoiden. Wichtig zu verstehen ist, dass Terpenoide nichts mit den wesentlich bekannteren Terpenen zu tun haben, auch wenn deren Name ähnlich klingt. Terpene sind reine Kohlenwasserstoffe, während bei Terpenoiden noch weitere Molekülgruppen, sogenannte funktionale Gruppen, dranhängen. Thiole sind Terpenoide, die als funktionale Gruppe die Thiolgruppe, welche aus Schwefel und Wasserstoff besteht, am Kohlenwasserstoffgerüst angehängt haben. Strukturell ähneln sie Alkoholen, bei denen Kohlenstoff durch Schwefel ausgetauscht wurde. Eines dieser Thiole, welches in Cannabis entdeckt wurde, trägt den Namen 3-Methylen-2-buten-1-thiol, kurz MBT. Das Besondere an dieser Verbindung ist, dass diese maßgeblich für den charakteristischen Geruch von Cannabis verantwortlich ist.
Man war lange Zeit der Meinung, das Aroma von Cannabis stammt ausschließlich aus seinem Terpenprofil. Jedoch wird nun davon ausgegangen, dass nur etwa 50 % des Geruchs vom Terpengemisch stammt. Ein nicht unerheblicher Teil des gesamten Geruchs scheint aber tatsächlich auf dieses neu entdeckte Thiol zurückzuführen sein. Zwar hat jede Hanfsorte ihr eigenes sehr individuelles Aroma, welches primär durch das Terpenprofil der jeweiligen Sorte zustande kommt, doch der unverwechselbare vordergründige Hauptgeruch, welcher sich auch in allen Sorten wiederfinden lässt, scheint vielmehr von MBT zu stammen. Reines MBT ist enorm geruchsintensiv und verströmt exakt den typischen Geruch von Cannabis, ohne dem Hintergrundaroma der verschiedenen Terpene.
Erst 2021 entdeckt
Zwar sind Thiole als Stoffgruppe schon lange bekannt und wurden auch bereits in anderen Pflanzen nachgewiesen, doch im Hanf wurden sie erst im Jahr 2021, im Zuge einer Untersuchung der Firma Abstrax Tech in Kalifornien, nachgewiesen. Abstrax Tech ist ein Hersteller, der sich auf die Extraktion von Terpenen in Cannabis spezialisiert hat. Bei dieser Untersuchung wurden 13 verschiedene Cannabissorten, die ein unterschiedliches Terpenprofil aufweisen, mithilfe eines Gaschromatografen nach ihrem Gehalt an organischen Schwefelverbindungen untersucht. Man konzentrierte sich bei der Untersuchung auf organische Schwefelverbindungen, weil von diesen bekannt ist, dass sie auch bei anderen Pflanzen, wie dem Knoblauch oder dem Hopfen, für ihren unverwechselbaren Geruch verantwortlich sind.
Tatsächlich konnten in allen 13 getesteten Hanfsorten insgesamt 7 verschiedene organische Schwefelverbindungen in unterschiedlicher Konzentration nachgewiesen werden. Eines von ihnen, welches in jeder Sorte vorzufinden war, ist MBT. Eine Gruppe von vier Personen, die als sogenanntes Geruchstestgremium diente, versuchte dann herauszufinden, inwiefern MBT für das primäre Aroma von Cannabis verantwortlich ist. Zu diesem Zweck baute man die Terpenprofile der 13 verschiedenen Cannabissorten exakt nach. Vom Terpengemisch einer jeden Sorte versetzte man anschließend 1 Probe mit MBT und die andere nicht. Die Probanden wussten nicht, welche Probe sie zu dem Geruchstest bekommen. Es stellte sich heraus, dass die Proben ohne MBT, nicht das klassische Cannabisaroma aufwiesen.
Wahrscheinlich medizinischer Nutzen
Die Forscher gehen davon aus, dass die neu entdeckten Thiole im Hanf auch einen medizinischen Nutzen haben könnten. Diese These stützt sich auf der Tatsache, dass einige der im Hanf entdeckten Thiole chemisch nahe verwandt sind mit Thiolen aus dem Knoblauch. Bei Knoblauch sind seine Thiole schon seit Langem für ihre medizinische Wirkung bekannt. Beispielsweise kommt ein Analog von MBT im Knoblauch vor, bei dem durch Studien in Zellkulturen nachgewiesen wurde, dass es das Wachstum mancher Krebsarten hemmt.
Eine weitere organische Schwefelverbindung, die bei dieser Untersuchung im Hanf gefunden wurde, ist ebenfalls chemisch ein Analog zu einem bekannten Wirkstoff aus dem Knoblauch. Bei diesem Knoblauchwirkstoff ist seit Langem bekannt, dass er eine schützende Wirkung auf die Gefäßwände hat und auf diese Weise vor Arteriosklerose oder auch Herzerkrankungen schützen kann. Aufgrund dieser starken chemischen Ähnlichkeit wäre es naheliegend, vergleichbare medizinische Qualitäten auch bei der im Hanf vorgefundenen Schwefelverbindung zu finden.