Hanf ist nicht nur eine unscheinbare Pflanze. Das muss ich den Lesern hier nicht mehr erklären. Neben der Nutzung als wertvoller Rohstoff für Textilien oder Baustoffe hat die Pflanze ein großes Potenzial als Arzneimittel. Um die Grundlagen zur Erzeugung von Medizinalhanf in Deutschland zu schaffen, wurde das von der Universität Hohenheim koordinierte Netzwerk CANNABIS-NET ins Leben gerufen. Dieses kooperiert auch mit dem Cannabis Start-up Accelerator, welches auch von der BioPro, einer Landesvertretung, die unter anderem vom Land getragen wird, mit dem Ziel, GründerInnen zu supporten, unterstützt wird.
Ziel ist es, mehr über die klimatischen Bedingungen der Pflanze in Erfahrung zu bringen, um bestimmte Anwendungsfelder ausfindig zu machen. Aus den Fasern lassen sich unter anderem Textilien, Baustoffe oder Heizmaterial herstellen, während die Samen für Lebensmittel wie Öl, Proteinpulver und Müsli oder auch für Körperpflegeprodukte genutzt werden.
Cannabis für personalisierte medizinische Therapien
Hinsichtlich der medizinischen Nutzung ist nicht nur THC als Inhaltsstoff interessant. Hier wirken neben zahlreichen Anwendungen auch andere Cannabinoide wie CBD (Cannabidiol), CBG (Cannabigerol), CBC (Cannabichromen), CBN (Cannabinol) mit. Für die Gewinnung medizinischer Produkte können daher auch Medizinalhanfgenetiken von hohem Interesse sein, die äußerst geringe THC-Mengen unter 0,2 Prozent enthalten, dafür aber jede Menge Phytocannabinoide, denen eine medizinische Wirkung nachgesagt wird. „In entsprechenden phytocannabinoidreichen Genetiken, den sogenannten PCR-Genetiken sind 10 bis 20 Prozent dieser Cannabinoide enthalten“, erklärt Prof. Dr. agr. Simone Graeff-Hönninger, Agrarwissenschaftlerin an der Universität Hohenheim und Expertin für Medizinalhanf. „Dazu auch noch jede Menge Terpene und Flavonoide, die sich auch für medizinische Anwendungen eignen können.“
Die therapeutischen Anwendungsgebiete für Medizinalcannabis sind vielfältig und reichen derzeit von Unterstützung der Heilung von Entzündungsprozessen oder Schmerzen bis hin zur Eindämmung von Epilepsie, Rheuma oder Asthma. „Wir wissen, dass es mehr als 100 verschiedene Cannabinoide in der Hanfpflanze gibt, in Summe weit über 500 medizinisch wirksame Bestandteile“, erklärt Graeff-Hönninger, Schirmherrin des Cannabis-Net. „Dabei wird die Wirkung durch das Zusammenspiel aller Bestandteile, dem sogenannten Entourage-Effekt, gemeinsam erzielt. Und genau das ist der Unterschied zum klassischen Medikament mit nur einem einzigen Wirkstoff.
Beim Hanf kann das jedoch zur Folge haben, dass eine bestimmte Kombination bei dem einem Patienten sehr gut wirkt, bei einem anderen wiederum nicht. Die Ursache liegt in den individuellen Unterschieden im Endocannabinoid-System des Menschen. Und hier wird uns die Cannabismedizin in Zukunft auch hinführen. Zur Möglichkeit einer individuellen Behandlung, kurz: personalisierte Medizin. “Beispielsweise könnte man folglich bestimmte Cannabisgenetiken gezielt für einen Patienten auswählen oder auch ganz individuell Mischungen von Extrakten für den Einzelnen herstellen.
“Darin liegt meiner Meinung nach ein enormes Potenzial der Cannabismedizin“
Falk Altenhöfer
“Darin liegt meiner Meinung nach ein enormes Potenzial der Cannabismedizin“, sagt Altenhöfer, der mit mehr GründerInnen in die Industrie ziehen möchte. Zu neuartigen Therapiemöglichkeiten und Anwendungen von Medizinalhanf wird in Deutschland zwar geforscht, beispielsweise an der Ludwigs-Maximilians-Universität München oder der Berliner Humboldt-Universität, Arzneimittel deutscher Unternehmen gibt es aber derzeit noch keine.
Grundlagen schaffen für den Anbau von Medizinalcannabis
Über den positiven Nutzen von Hanfanbau und Hanfzucht unter kontrollierten Bedingungen sollten also keine Zweifel mehr bestehen. Allerdings wurde in Deutschland aufgrund des jahrzehntelangen strikten Verbots zur Cannabisnutzung das medizinische Potenzial bis heute vernachlässigt und somit nicht ausreichend erforscht. Aus diesem Grund wurde im September 2020 das von Falk Altenhöfer koordinierte Start-up Programm, welches sich mit der Genetik der Samen bis hin zur fertigen Darreichungsform beschäftigt, in Kooperation mit der BioPro, der Uni Hohenheim und dem CANNABIS-NET ins Leben gerufen.
Hier arbeiten internationalen Netzwerkpartner daran, die Grundlagen zur Erzeugung von Medizinalhanf, phytocannabinoidreichem (PCR) Hanf , in Deutschland zu schaffen. „Unsere Vision ist es, den Cannabismarkt hier bei uns überhaupt erst einmal zu etablieren und ihn für regulierbar und klassifizierbar als auch nachhaltig zu gestalten. Somit soll alt eingesessenen Pharmakonzernen der erste Weg zu einer gesundheitsfördernden Selbstmedikation geebnet werden, um folglich den Sprung von einem Naturprodukt zum gleichbleibenden Pharmaprodukt zu bewältigen“, erklärt Initiator Falk Altenhöfer.
Forschung und Entwicklung werden streng kontrolliert
Das neu aufgesetzte Programm für GründerInnen soll vor allem die wissenschaftliche Forschung und Menschen zusammenbringen, die etwas Eigenes aufbauen möchten und in einer noch sehr neuen Industrie Fuß fassen möchten.
Das Netzwerk setzt sich aus fünf deutschen Firmen, die die komplette Wertschöpfungskette von Cannabis abbilden und Möglichkeiten schaffen, damit sich GründerInnen einfacher etablieren können.
GründerInnen brauchen Zugang zu Rohstoff und Technologie
Generell sind die Auflagen für das Arbeiten mit Hanfpflanzen sehr hoch. „In Deutschland gibt es nur einige wenige Lizenzen dafür, die lediglich alle paar Jahre in Vergaberunden zugeteilt werden. Das heißt, es ist sehr schwer, an Lizenzen zu kommen, um das eigene Produkt direkt am Rohstoff zu testen. Folglich ist es auch nicht erstaunlich, dass nicht jedes Partnerunternehmen eine eigene Lizenz besitzt, weshalb eine gut koordinierte Zusammenarbeit mit der Universität stattfinden muss, die eine Lizenz besitzt“, berichtet Prof. Simone Graeff-Hönninger.
„Aber auch bei uns finden natürlich regelmäßige Kontrollen statt. Es werden nur Pflanzen bestimmter Genetiken mit einem THC-Gehalt unter 0,2 Prozent im Gewächshaus angebaut. Das heißt, neue Technologien müssen unter strengen Auflagen bei uns auf dem Universitätsgelände getestet werden.”
Prof. Simone Graeff-Hönninger
Ziele des Programms für Gründer
Das neu aufgelegte Programm für GründerInnen soll vor allem Menschen mit einer ersten Idee als Anlaufpunkt dienen schnell den Zugang zu Wissenschaft und Mentoring zu bekommen. Der andere Schwerpunkt des Programms sind die Entwicklungsarbeiten und liegt auf der Gewährleistung medizinischer Standards. „Als Naturprodukt können die Inhaltsstoffe natürlich von Pflanze zu Pflanze variieren“, sagt Altenhöfer. „Für medizinische Produkte brauchen wir aber eine einheitliche, hohe Qualität, die man mit Standardisierungsmaßnahmen nach den bei uns gültigen GMP-Richtlinien sicherstellen muss.“
Aber auch weitere Themen wie Zucht und Anbau, Genetiken oder die Automatisierung der Pflanzenverarbeitung werden im Cannabis Start-up Programm erforscht und entwickelt. “Wir hoffen, dass nun einige GründerInnen aus dem Bundesland Baden-Württemberg die geografische Nähe nutzen und das Programm als Sprungbrett in die Industrie und Wissenschaft nutzen werden!”