Das Endocannabinoidsystem ist eines der wichtigsten Regulationssysteme des Körpers. Seit seiner Entdeckung vor mehr als 30 Jahren, begann man immer mehr zu begreifen, wie viele körperliche Funktionen und auch welche Krankheiten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Endocannabinoidsystem stehen. Um die vom Endocannabinoidsystem abhängigen Prozesse steuern zu können, produziert der Körper selbst die entsprechenden Cannabinoide, die an den jeweiligen Rezeptoren andocken, um dort modulierend auf Prozesse einwirken zu können.
Die aktuelle Forschungslage geht davon aus, dass ein Mangel an körpereigenen Cannabinoiden die Entstehung zahlreicher Krankheiten begünstigen kann. Die Überlegung dahinter ist, dass der Mangel an körpereigenen Cannabinoiden primär jene Krankheiten begünstigt, gegen die auch medizinisches Cannabis hilft. Einer der ersten Forscher der sich eingehend mit dieser Frage beschäftigte, war Ethan Russo. Er veröffentlichte im Jahr 2004 als erster eine wissenschaftliche Publikation, welche dieses Thema eingehend beleuchtete.
Reizdarmsyndrom als mögliche Auswirkung
Als gesichert gilt nach heutigem Wissensstand, dass ein Mangel an Endocannabinoiden das Auftreten entzündlicher Darmerkrankungen, etwa das Reizdarmsyndrom, begünstigen kann. Der menschliche Verdauungstrakt ist übersät mit Cannabinoidrezeptoren. Dort gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom im Darm und dem Endocannabinoidsystem.
Ethan Russo schlussfolgerte aus der Tatsache, dass Cannabis als sehr wirksam gegen entzündliche Darmerkrankungen gilt, dementsprechend ein Mangel an Endocannabinoiden genau diese Darmerkrankungen begünstigen müsste. Nachdem er die Daten aller verfügbaren klinischen Studien, die sich auf PubMed finden, analysiert hatte, stellte er fest, dass sich aus der aktuellen Studienlage tatsächlich diese Schlussfolgerung ableiten lässt. Russo fand heraus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen einem Mangel der Cannabinoide Anandamid und 2-AG und dem Reizdarmsyndrom gibt.
Migräne als Folge von Anandamid-Mangel
Anandamid hat einen direkten Einfluss auf mehrere Faktoren, welche das Entstehen von Migräne begünstigen können. Anandamid dockt nicht nur an den Cannabinoidrezeptoren an, sondern auch an den 5-HT Rezeptoren. Diese Rezeptoren spielen eine zentrale Rolle beim Auftreten von Migräne oder anderen Störungen wie Clusterkopfschmerzen. Ferner wirkt Anandamid auf einen bestimmten Bereich der grauen Substanz im Gehirn, von welchem bekannt ist, dass er in einem direkten Zusammenhang mit Migräne steht. Aus all diesen Faktoren kann abgeleitet werden, dass ein Mangel von Anandamid das Auftreten von Migräne begünstigt.
Fibromyalgie und weitere entzündliche Erkrankungen
Fibromyalgie ist eine häufig chronisch verlaufende, rheumatische Erkrankung, die sich vorwiegend durch Schmerzen in der Muskulatur und den Gelenken äußert. Cannabis erwies sich in mehreren klinischen Studien als hocheffektives Mittel, um die Entzündungen und Schmerzen bei dieser Erkrankung zu lindern. Die Forschung geht aktuell davon aus, dass Fibromyalgie das Resultat einer sogenannten Sensibilisierung infolge einer Hyperalgesie ist. Das bedeutet, der Patient hat ein stark erhöhtes Schmerzempfinden, welches in einem direkten Zusammenhang mit dem Endocannabinoidsystem steht. Es ist bekannt, dass Endocannabinoide auch eine zentrale Rolle im Schmerzempfinden und der Schmerzweiterleitung spielen. Dementsprechend kann ein Defekt in diesem System, mit Schmerzsyndromen wie Fibromyalgie einhergehen.
Eine weitere Erkrankung, bei der ein Mangel an Endocannabinoiden als begünstigender Faktor naheliegend erscheint, ist Mukoviszidose. Dabei handelt es sich um eine chronische schwere Lungenerkrankung, die häufig zum Tod führt. Cannabis gilt als effektives Mittel, um diese Erkrankung zu lindern. Gleichzeitig geht die aktuelle Studienlage davon aus, dass ein Mangel an körpereigenen Cannabinoiden diese Erkrankung begünstigen kann.
Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten
Es ist schwierig, eine einzelne konkrete Ursache für den Mangel an Endocannabinoiden im Patienten zu isolieren. Jedes Cannabinoid durchläuft einen mehrstufigen Syntheseweg, ehe es seine Funktion im Körper erfüllen kann. Es könnte unter anderem sein, dass ein Mangel an Arachidonsäure vorliegt. Dabei handelt es sich um eine Fettsäure, die als Ausgangsstoff für die Synthese einiger wichtiger Cannabinoide dient. Auch ein Mangel an den entsprechenden Enzymen, welche die eigentliche Umwandlung der Ausgangsstoffe durchführen, ist denkbar.
Umgekehrt kann auch genetisch bedingt ein Mangel an entsprechenden Rezeptoren vorliegen, sodass der Körper zwar die Cannabinoide produzieren kann, diese aber nicht ausreichend andocken und wirken können. Aufgrund dieser stark unterschiedlichen Ursachen, kann keine pauschale Therapieform, die für jeden Patienten funktioniert, genannt werden. Was bislang als gesichert gilt, ist, dass der Aufbau der Darmflora, eine signifikant unterstützende Wirkung auf entzündliche Darmerkrankungen hat. Die Darmflora kann beispielsweise mittels Probiotika aufgebaut werden.
Das sind Nahrungsergänzungsmittel, die genau jene Bakterienkulturen enthalten, die im gesunden Mikrobiom vorkommen und notwendig sind, für eine reibungslose Interaktion des Darms mit dem Endocannabinoidsystem. Vielleicht sollte man an dieser Stelle aber auch nicht das Rad neu erfinden und die Stecknadel im Heuhaufen suchen, sondern endlich Cannabis in vollem Umfang legalisieren und für alle Patienten zugänglich machen. Denn es ist hinreichend belegt, dass gegen alle Erkrankungen die infolge von Endocannabinoid-Mangel auftreten, Cannabis ein Mittel ist, welches den meisten Patienten eine Linderung verschafft.
Quellen und weiterführende Links
ethanrusso.org/about-ethan-russo-md/
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15159679/