Hanf enthält über 100 verschiedene Cannabinoide. Während die beiden wichtigsten, THC und CBD, allseits bekannt sind, werden immer wieder neue exotische Cannabinoide in dieser Pflanze entdeckt. Viele davon kommen nur in Spuren vor und weisen erstaunliche medizinische Eigenschaften auf. Eines dieser relativ neuen Cannabinoide, welches erst im Jahr 2010 erstmalig in der Literatur erwähnt wurde, ist Cannabimovon, kurz CBM.
Ein italienisches Forscherteam hatte 2010 aus der Hanfsorte Carmagnola ein Acetonextrakt hergestellt. Carmagnola ist eine traditionelle italienische Hanfsorte, die reich an CBD ist. In diesem Extrakt stellten die Forscher ein neuartiges Cannabinoid fest, welches den Namen Cannabimovon erhielt. Der chemische Aufbau dieses Moleküls wurde mittels Spektroskopie aufgeklärt und festgestellt, dass es sich um ein Gerüst aus Terpenoiden handelt, welches bislang nicht bekannt war und funktional zu den Cannabinoiden zählt.
Nicht an den klassischen Cannabinoid-Rezeptoren wirksam
Cannabimovon stellt einen absoluten Sonderfall unter den Cannabinoiden dar. Nicht nur sein molekulares Gerüst ist relativ atypisch, sondern auch seine pharmakologischen Eigenschaften. Cannabimovon ist laut aktuellem Wissensstand nämlich nicht an den klassischen CB1- und CB2-Rezeptoren wirksam. Stattdessen zeigt es eine agonistische Wirkung an Rezeptoren, die bislang nur bedingt mit dem Endocannabinoidsystem in Verbindung gebracht wurden, nämlich an den PPAR- und den TRPV-Rezeptoren. Seit seiner Entdeckung hat sich das Verständnis des Endocannabinoidsystems etwas gewandelt.
Während man zu Beginn davon ausging, dass dieses nur aus den altbekannten CB1- und CB2-Rezeptoren besteht, entdeckte man in den darauffolgenden Jahrzehnten immer mehr Rezeptoren, die offenbar ebenfalls zu diesem System gezählt werden müssen, weil Cannabinoide an ihnen andocken können. Man kann sich das am besten vorstellen wie eine Landkarte, oder wie der Globus in der Menschheitsgeschichte. Immer wieder wurden neue Kontinente entdeckt, doch bis man das große Ganze mit einem Blick abbilden und verstehen konnte, dauerte es etwas. Etwa so kann man sich den Entdeckungsprozess des Endocannabinoidsystems vorstellen. Als gesichert gilt bislang, dass Cannabimovon am PPAR-Gamma Rezeptor als Agonist wirksam ist.
Des Weiteren konnte eine agonistische Bindungsaffinität auch an den Rezeptoren PPAR-Alpha und TRPV1 nachgewiesen werden. Da Cannabimovon nur in geringen Spuren in manchen Hanfsorten vorkommt und seine Synthese aufwendig ist, greift man für Laborversuche in der Regel auf ein leicht abgeändertes Derivat davon zurück, welches aber die gleichen pharmakologischen Eigenschaften aufweist. Bei diesem Derivat handelt es sich um Anhydrocannabimovon. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um CBM, bei welchem ein Wassermolekül fehlt. Dies bezeichnet man in der Chemie mit der Vorsilbe „Anhydro“. Ein italienisches Forscherteam entwickelte 2016 ein Verfahren, mit welchem man vergleichsweise einfach, von CBD ausgehend, Anhydrocannabimovon synthetisieren kann.
Entdeckung von medizinischer Bedeutung
An einem Cannabinoid zu forschen, welches an bislang wenig beachteten Rezeptoren wirkt, könnte das Grundverständnis des Endocannabinoidsystems deutlich verändern und vollkommen neue Wege aufzeigen, mit denen Krankheiten behandelt werden können. Die Funktionsweise des PPAR-Gamma Rezeptors zu verstehen und ihn gezielt mit Wirkstoffen ansprechen zu können, könnte unter anderem neue Behandlungsansätze für Diabetes ermöglichen. Der PPAR-Gamma Rezeptor moduliert mehrere Stoffwechselprozesse, die in einem direkten Zusammenhang mit Diabetes stehen. Er sorgt für ein Gleichgewicht im Glucosestoffwechsel und hält außerdem die Insulinresistenz niedrig.
Eine niedrige Insulinresistenz ist nötig, damit Insulin überhaupt seine Arbeit verrichten kann. Weiterhin wird der Aufbau von Fettzellen unter anderem über diesen Rezeptor gesteuert. Eine Fehlfunktion kann demnach zur Adipositas führen, welche ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Diabetes einhergeht. Zusätzlich werden einige entzündliche Prozesse, die unter anderem bei Arteriosklerose eine Rolle spielen, über diesen Rezeptor beeinflusst. Der Rezeptor PPAR-Alpha steht ebenfalls mit dem Fettstoffwechsel im Zusammenhang und sorgt primär für ein korrektes Verhältnis der Cholesterinarten HDL und LDL. Zudem wird dieser auch mit mehreren entzündlichen Prozessen in Verbindung gebracht, die jedoch bisher nicht restlos verstanden sind.
Eine Wirkung am TRPV1 Rezeptor könnte vorwiegend neue Möglichkeiten in der Schmerztherapie eröffnen. Dieser Rezeptor spielt eine zentrale Rolle bei der Weiterleitung verschiedener Schmerzreize. Unter anderem wird auch die Schärfe von Chili oder eine heiße Herdplatte über diesen Rezeptor spürbar. In den vergangenen Jahren begann man verstärkt an neuartigen Schmerzmitteln zu forschen, die speziell auf diesen Rezeptor wirken. Cannabinoide wie CBM, welche diese Rezeptoren gezielt ansprechen und gleichzeitig keine psychoaktiven Nebenwirkungen aufweisen, könnten in den kommenden Jahren eine große Rolle in der Humanmedizin spielen.