Obwohl Hanf eine der am längsten genutzten Heilpflanzen der Menschheit ist, war lange Zeit unbekannt, welcher Stoff für seine hauptsächliche psychoaktive Wirkung verantwortlich ist. Während andere bekannte pflanzliche Wirkstoffe wie Kokain und Morphium schon um die Jahrhundertwende herum in ihrer Reinform isoliert und genutzt wurden, war Hanf ein für damalige Verhältnisse noch undurchschaubares Gemisch aus unzähligen potenziellen Wirkstoffen. Einer der absoluten Pioniere auf diesem Forschungsgebiet war Raphael Mechoulam.
Der israelische Forscher widmete sich sein Leben lang hauptsächlich der Erforschung der Cannabinoide. Im Jahr 1963 gelang es ihm und seinem Team, an der Hebräischen Universität, den psychoaktiven Hauptwirkstoff im Hanf zu isolieren, nämlich THC. Mit dieser Entdeckung drängte sich jedoch auch die Frage auf, warum der Körper Rezeptoren hat, an denen der Wirkstoff aus einer Pflanze andocken kann. Schnell lag die Vermutung nahe, dass der Körper selbst höchstwahrscheinlich ebenfalls Stoffe aus dieser Gruppe herstellt und er deshalb Rezeptoren gebildet hat, an denen diese wirken können. Namensgebend für die Stoffgruppe, die an diesen Rezeptoren wirken, war Cannabis, woraus sich die Bezeichnung „Cannabinoide“ ergab.
Entdeckung des Endocannabinoid-Systems in den 1990er-Jahren
Über 30 Jahre nach der Entdeckung von THC, gelang Raphael Mechoulam und seinem Team schließlich der entscheidende Durchbruch. In Gewebe von Säugetieren gelang es 1990 einen neuartigen Rezeptor zu finden, den CB1-Rezeptor, an welchem auch THC andocken kann. Wenige Jahre später, im Jahr 1993, wurde der CB2-Rezeptor entdeckt. Im Wesentlichen wurde mit einer speziellen radioaktiven Färbetechnik, im Gewebe von Ratten die Aktivität von THC an diesen Rezeptoren beobachtet. Kurze Zeit später gelang es auch, beide Rezeptoren in einer Gewebekultur zu klonen und deren Existenz durch diese labortechnische Isolation endgültig zu belegen.
Rasch wurde bekannt, dass CB1-Rezeptoren hauptsächlich im Gehirn und Zentralnervensystem beheimatet sind, wodurch sich die psychoaktive Wirkung von THC besser verstehen ließ. Mit der Entdeckung, dass der CB2-Rezeptor primär auf Immunzellen zu finden ist, doch im Prinzip der gesamte Körper mit Cannabinoidrezeptoren übersät ist, begann man schrittweise zu begreifen, um welches elementares Regulierungssystem des Körper es sich hierbei handelt. Diese revolutionäre Entdeckung beeinflusst die Medizin bis heute entscheidend. Es sind unzählige körperliche und seelische Erkrankungen bekannt, bei denen das Endocannabinoid-System eine zentrale Rolle spielt.
Entdeckung von Anandamid 1992
Nachdem diese beiden Rezeptoren bekannt waren, begann ein Wettlauf um die Entdeckung des ersten körpereigenen Cannabinoids. Im Jahr 1992 war es schließlich so weit. Raphael Mechoulam entdeckte zusammen mit einem tschechischen und einem amerikanischen Forscher das erste körpereigene Cannabinoid. Dieses Cannabinoid erhielt den Namen Anandamid. Dieser Name stammt aus dem Sanskrit und leitet sich aus dem Wort für Freude ab. An dieser Namensgebung lässt sich der Effekt von Anandamid bereits erahnen. Es weist fast identische Eigenschaften wie THC auf und wird vom Körper ausgeschüttet, wenn Freude, Appetit oder auch Schmerzstillung benötigt werden.
Der erstmalige Nachweis von Anandamid erfolgte ebenfalls im Gehirn von Ratten. Mit einem speziellen Lösungsmittel aus Fetten wurden aus einer Gewebeprobe Lipophile extrahiert. Lipophile sind fettlösliche Stoffe, zu denen auch THC gehört. Mechoulam ging davon aus, dass auch körpereigene Cannabinoide lipophile Eigenschaften haben. Mittels Chromatografie wurden die einzelnen Lipophile zunächst voneinander getrennt und anschließend deren chemische Struktur mittels Massenspektrometrie ermittelt. Dabei zeigte sich eine Substanz, die bislang bisher nicht bekannt war und sich als das erste körpereigene Cannabinoid herausstellte. Mit einem ähnlichen Nachweisverfahren wurde im Jahr 1995, ebenfalls unter der Leitung von Mechoulam, aus einer Gewebeprobe von einem Hund das nächste körpereigene Cannabinoid entdeckt.
Hierbei handelte es sich um 2-AG (2-Arachidonylglycerol). In den folgenden Jahren wurden zahlreiche weitere körpereigene Cannabinoide entdeckt. Die Entdeckung der körpereigenen Cannabinoide und deren zentralen Funktionen in unzähligen Prozessen, ließen Cannabinoide auch für therapeutische Zwecke immer mehr in den Fokus rücken. Man begann zu verstehen, wie es möglich ist, dass THC und andere Cannabinoide aus dem Hanf, ein so breit gefächertes medizinisches Potenzial haben. Parallel dazu wurden immer mehr synthetische Cannabinoide erforscht, mit dem Ziel, selektive und noch besser wirksame Medikamente zur Verfügung zu stellen.
Eines dieser synthetischen Cannabinoide welches auch in Deutschland zugelassen ist, ist Nabilon. Es findet Anwendung gegen Übelkeit und Erbrechen im Rahmen einer Chemotherapie. Parallel zum immer besser werdenden Verständnis des Endocannabinoid-Systems, fand ab den 1990er-Jahren, ausgehend von den USA, auch ein erster vorsichtiger Umbruch im Bereich medizinisches Cannabis statt. Während ein Jahrzehnt davor Hanf noch das Teufelskraut schlechthin war, legalisierte im Jahr 1996 Kalifornien als erster US-Staat medizinisches Cannabis.
Zukunftsaussichten
Auch wenn das Funktionsprinzip des Endocannabinoid-Systems heute weitgehend verstanden ist, gibt es noch immer Potenzial für neue Entdeckungen. Eine der größten Fragen, die in diesem Zusammenhang aktuell Wissenschaftler beschäftigt, ist die mögliche Existenz von weiteren Cannabinoidrezeptoren. Man geht aktuell davon aus, dass es unter den sogenannten G-Protein gekoppelten Rezeptoren einzelne Rezeptortypen gibt, die ebenfalls zum Endocannabinoid-System gehören.
Bei diesen Rezeptoren handelt es sich, vereinfacht gesagt, um Rezeptoren, die Sinnesreize oder auch aktivierende Wirkungen durch andockende Substanzen, mittels eines speziellen Proteins weiterleiten. Sollten Teile davon ein Bestandteil des Endocannabinoid-Systems sein, wäre das ein weiterer Meilenstein auf diesem Forschungsgebiet und würde vor allem auch für die Medizin beachtlichen Nutzen haben.