Auch wenn die Coronapandemie derzeit eher etwas in den Hintergrund gerückt scheint, ist das Virus, das die Welt für zwei Jahre lang in Atem hielt, noch nicht besiegt. In China stehen Mega-Städte teils weiterhin unter vollkommenen Lockdowns und weiterhin sterben Menschen auch bei uns in Krankenhäusern aufgrund der Infektion mit dem Erreger.
Dass die Impfstoffe dazu ebenfalls keine einhundert Prozent wirksame Lösung für das Problem darstellen, mussten leider auch bereits zu viele Menschen persönlich erfahren. Interessant dürfte daher sein, dass bereits kurz nach dem Eintritt in den globalen Pandemiestatus wissenschaftliche Meldungen die Runde machten, die von der Möglichkeit sprachen, dass ausgerechnet die Nutz-, Heil- und Rauschpflanze Cannabis etwas dem neu entdeckten COVID-19-Erreger entgegenzusetzen hätte. Wie es dazu kam und wie der aktuelle Stand bezüglich der genutzten Cannabinoide ist, versucht der folgende Text zu ergründen.
Frühe Überlegungen in Kanada
Bereits Anfang April 2020 wurden die Nachrichten auf eine Meldung aus Kanada aufmerksam, die davon berichtete, dass sich Mediziner mit Cannabis als mögliches Mittel gegen Coronainfektionen beschäftigen. Ein auf Cannabismedizin spezialisierter Doktor wendete sich an das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada mit der Bitte, klinische Versuche mit Marihuana an COVID-19-Patienten durchführen zu dürfen. Man habe schließlich aus der Literatur über medizinisches Cannabis und aufgrund damit gemachter Erfahrungen gelernt, dass Cannabinoide entzündungshemmende Eigenschaften besitzen. Ebenfalls besitzen diese Wirkstoffe immunmodulatorische Eigenschaften aus medizinischer Sichtweise. Dies könne lauf dem damals in der Toronto Sun zitiertem Dr. Mohan Cooray bedeuten, dass Cannabinoide das Immunsystem allgemein stärken und verbessern würden.
Bei unterschiedlichen Krankheiten wie Morbus Crohn, rheumatoider Arthritis und Multipler Sklerose konnte das festgestellt werden und daher könne gesagt werden, dass medizinisches Cannabis als natürlich vorkommender Immunmodulator fungiere. Daher hoffte Dr. Cooray in einer Zeit, in der noch nicht sonderlich viel über das neue COVID-19-Virus bekannt war, dass man diesbezüglich nicht nur auf die entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabis setzen solle, sondern auch eine mögliche Chance in der Immuntherapie erkennen müsse. Bei HIV/Aids-Patienten konnte in der Vergangenheit schließlich auch aufgezeigt werden, dass Cannabis konsumierende Erkrankte mit der Zeit ein stärkeres Immunsystem entwickelten und mehr T-Zellen produzierten, die dann HIV-Viren abtöteten, obwohl der genaue Mechanismus zu diesem Zeitpunkt noch ungeklärt war.
Wirkliche Wissenschaft folgte
Nur wenige Wochen nach der Bitte um die Erlaubnis, die erwähnte Versuchsreihe mit Cannabis und Coronapatienten in Kanada durchführen zu dürfen, schlug eine Meldung aus der Universität in Lethbridge ein. Hier hatte das Ehepaar Olga und Igor Kovalchuk aufgrund ihrer langjährigen Erforschung von Cannabis die Eingebung, speziellen Proteine und Rezeptoren zu untersuchen, die das Coronavirus unter Kontrolle nehmen würde, um in den menschlichen Körper einzudringen. Aufgrund ihrer vorläufigen Daten könne man davon ausgehen, dass entzündungshemmende Cannabisextrakte, die einen hohen CBD-Gehalt besitzen, in den äußerst relevanten Geweben wie Mund, Lunge oder Darmzellen in der Lage sind, die Rezeptorspiegel passend modulieren zu können.
Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass das COVID-19-Virus den sogenannten ACE2-Rezeptor als Schlüsselportal nutze, um in den Körper zu gelangen, sodass die Fähigkeiten von Cannabisextrakten bezüglich ihrer Entzündungen hemmenden Eigenschaften hier schnell als Vorteil verstanden wurden. Aktive Viren würden durch das natürliche Arzneimittel dazu verlangsamt werden, wusste man zu berichten. Erklärt wurde der Vorgang in einem bildlichen Beispiel. Cannabinoide würden die „Anzahl der Türen“ in den Körper für das Virus um 70 Prozent verringern, sodass man wegen des stark eingeschränkten Zugangs größere Chance hätte, gegen den Erreger anzukämpfen. Auch wenn die in Erfahrung gebrachten Daten nur auf menschlichen Gewebemodellen basierten, sprachen die beiden Wissenschaftler schon im April 2020 davon, dass Cannabisextrakte zukünftig gegen Corona in Inhalatoren, Mundwasser- und Halsspülungen genutzt werden könnten.
Vielversprechende Experimente an Mäusen
Da also schon theoretische Überlegungen und praktische Anwendungen eine mögliche Anwendung von Cannabis im Kampf gegen das Coronavirus nahelegten, folgten noch im selben Jahr erste Versuche an lebenden Objekten. Die Wahl eines Teams der Universität North Carolina viel bei ihren Experimenten auf Mäuse, die mit einem Mittel vergiftet wurden, um ein akutes Lungenversagen – in Englisch Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) – hervorzurufen. Die Auswirkungen dieser Erkrankung Krankheit sind lebensbedrohlich, da sich Flüssigkeit in der Lunge ansammelt, sodass das Atmungsorgan den Körper nicht mehr ausreichend mit lebenswichtigem Sauerstoff versorgen kann. Man hatte herausgefunden, dass ARDS eine der häufigsten und schwerwiegendsten Komplikationen darstellt, die durch das Coronavirus ausgelöst werden. Bei Betroffenen kann der Zustand tödlich verlaufen oder zu einer dauerhaften Vernarbung der Lunge führen.
Es wurde festgestellt, dass ARDS auftritt, wenn das Immunsystem der Patienten versucht, COVID-19 zu bekämpfen, aber dabei dann gesunde Zellen angreift. Die unter den Folgen der Vergiftung leidenden Mäuse erhielten zwecks der Untersuchung von Cannabinoiden als Mittel gegen Corona daher den Wirkstoff THC verabreicht, wobei es die Forscher beschäftigte, ob THC etwas gegen die starke Immunreaktion ausrichten kann. Eine Gruppe der Mäuse erhielt jedoch keine Cannabismedizin und es wurde nach drei Studiendurchläufen eindeutig, dass diese Tiere verstarben. In der Gruppe der Versuchstiere, die das auch berauschend wirkende Cannabinoid erhielten, überlebten dagegen alle Mäuse zu einhundert Prozent. Explizit angemerkt wurde von den Wissenschaftlern aber, dass ein zu früher Einsatz von THC möglicherweise den Verlauf der Krankheit verschlimmern könnte, da es das Immunsystem unterdrücke.
Säuren aus Cannabis im Interesse
Cannabigerolsäure und Cannabidiolsäure kamen im Jahr 2021 dann bei der Oregon State University ins Blickfeld, worüber im Januar 2022 berichtet wurde. Hier konzentrierte man sich auf CBGA und CBDA, weil man herausfinden wollte, inwieweit diese Wirkstoffe aus der Cannabispflanze eine Infektion mit SARS-CoV-2 verhindern könnten. Da man zu dem Ergebnis kam, dass die beiden Säuren sich an das Spike-Protein des Virus binden und somit einen Eintritt verhindern können, sprach man davon, dass die Cannabinoide in der Lage sind, den Eintritt des Virus in die Zellen zu blockieren und damit vor einer Ansteckung mit COVID-19 schützen. Ebenfalls würde die Infektionszeit verkürzt, was eine weitere Vermehrung der Viren unterbinde.
Wie schon zu Beginn der ersten Untersuchungen in Kanada setzte man auch hier auf das körpereigene Enzym ACE2, welches dem Virus einen Eingang in die Zellen gewährte. Nach den Behandlungen mit den Cannabinoidsäuren und deren Bindung an das Spike-Protein zeigten die Stoffe sogar Wirksamkeit gegen die damaligen Varianten des Virus namens B.1.1.7 sowie B.1.351, die unter dem Namen Alpha und Beta besser bekannt sind. Bereits deshalb hoffte man seitens der Forscher darauf, dass diese Wirkung auch bei anderen bestehenden und künftigen Varianten Bestand behielte. Schon wie auch die Pioniere in der Cannabis-Corona-Forschung glaubte man an der Oregon State University, dass die passenden Präparate oral eingenommen werden könnten, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Einer nur auf Cannabigerolsäure und Cannabidiolsäure basierende Therapie wurde aber widersprochen, da man davon ausgeht, dass nur eine Kombinationstherapie mit den Impfstoffen den gewünschten Effekt mit sich bringen könne.
Auch Terpene stehen unter Beobachtung
Neben den Cannabinoiden und Cannabinoidsäuren stehen auch Terpene der Cannabispflanze auf der wissenschaftlichen Agenda. Terpene, die als sogenannte Duftmoleküle bezeichnet werden und unter anderem für das charakteristische Aroma einer Pflanze verantwortlich sind, wurden in Israel mit CBD kombiniert, um die Wirkung gegen Coronainfektionen zu untersuchen. Hier kam man zu der Überzeugung, dass das Wechselspiel der Substanzen eine bis zu zweifache Auswirkung gegen die durch COVID-19 hervorgerufenen Entzündungen mit sich bringen könne. 30 verschiedene Terpene wurden in einer speziellen Rezeptur vermischt, die dazu entwickelt wurde, die bei manchen Coronapatienten auftretenden Zytokinsturmsyndrom zu behandeln.
CBD allein wird nachgesagt, 75 Prozent der genannten Symptome hemmen zu können, doch die Kombination der Terpene eines Herstellers soll sogar für eine Verringerung von 80 Prozent verantwortlich sein, sodass diese Arznei noch wirksamer als Cannabidiol wäre. Ebenso wurden in Israel kleine von Zellen abgegebene Vesikel – die sogenannten Exosome – mit CBD beladen, um direkt gewisse Indikationen des Zentralnervensystems als auch das neuartige Coronavirus ins Visier zu nehmen. Diese hätten dann aufgrund ihrer speziellen Beschaffenheit die Fähigkeit, eine sehr hohe synergistische Wirkung gegen Entzündungen hervorzurufen, wenn sie wie erwünscht auf bestimmte angegriffene Organe und infizierte Lungenzellen treffen.
Es bleibt abzuwarten, was die moderne Forschung noch alles unternehmen und herausfinden wird, um mit natürlich vorkommenden Stoffen aus Cannabis etwas Sinnvolles gegen das COVID-19-Coronavirus in der Hand zu haben und Patienten zukünftig besser schützen zu können. Eindeutig wird bei der gesamten Forschung bezüglich der Fähigkeiten von Cannabis-Inhaltsstoffen aber eindeutig, dass das medizinische Potenzial der so vielseitig einsetzbaren Pflanze nicht unterschätzt werden darf.