„Als ich vor 25 Jahren anfing, gab es nichts außer THC. Psychische Erkrankungen waren ein Tabu. Und das hat sich völlig geändert. Es gibt jetzt Therapien mit CBD und wir haben die Möglichkeit, neue Krankheiten zu behandeln. Wir haben uns vor 25 Jahren nicht vorstellen können, dass CBD eine Rolle spielen würde. Und das wird so weitergehen. In den letzten 50 Jahren haben wir viele Erfahrungen sammeln können und die nächsten 50 Jahre werden auch faszinierend sein.”- Dr. Franjo Grotenhermen, Präsident der IACM-Konferenz 2019.
Neueste Ergebnisse, Kontroversen und Ausblick
Die Jubiläumsausgabe einer der bedeutendsten internationalen Konferenzen über medizinisches Cannabis – die IACM Konferenz – kehrte nach 18 Jahren vom 31.10. – 02.11. nach Berlin zurück, wo sie vom 31.10. – 02.11. im Hotel Estrel stattfand. Es war die 10. Ausgabe der nunmehr schon seit 20 Jahren zweijährig stattfindenden, renommiertesten internationalen Konferenzen über die Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden in der Medizin. Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtungen der Cannabinoidforschung und Cannabinoidmedizin versammelten sich an drei intensiven Messetagen in Deutschlands größtem Hotel, um praktische und aktuelle Informationen für die tägliche Cannabinoidpraxis vorzustellen.
Neben den Gründern und Präsidenten der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (IACM) Dr. Franjo Grotenhermen und Dr. Kirsten Müller-Vohl, referierten noch viele weitere bekannte globale Experten wie Manuel Guzman oder Arno Hazekamp. Mehr als 500 Teilnehmer nahmen teil, darunter medizinische Fachkräfte, Wissenschaftler, Patientenvertreter, Medien- sowie Pressemitarbeiter.
Die IACM wurde im März 2000 mit dem Ziel gegründet, das Wissen über Cannabis, Cannabinoide, das Endocannabinoidsystem und verwandte Themen, insbesondere im Hinblick auf ihr therapeutisches Potenzial, zu erweitern. Ihre Mission wird insbesondere durch folgende Aktivitäten erreicht:
- Unterstützung der Erforschung des Endocannabinoidsystems und zu Cannabisprodukten
- Förderung des Informationsaustauschs zwischen Wissenschaftlern, Ärzten, Patienten und der Öffentlichkeit
- Erstellung und Verbreitung zuverlässiger Informationen über die Pharmakologie, Toxikologie und das therapeutische Potenzial von Cannabis und den Modulatoren des Endocannabinoidsystems
- Beobachtung und Dokumentation nationaler und internationaler Entwicklungen in Bezug auf Cannabinoid-Arzneimittel
- Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Verbänden, die die Mission und die Ziele der IACM teilen.
Besonderheit war die Teilung der Konferenz in drei aufregende Themenschwerpunkte, welche jeweils einen der Konferenztage bestimmten: Stand der Dinge, Diskussion und Ausblick.
Erfahrungen und Weiterbildung
Die Konferenz begann am Donnerstag mit einem von der Apothekerin Daniela Eigenmann aus Langnau in der Schweiz vorgetragenen, geschichtlichen Rückblick. Sie erläuterte, dass Cannabis um das Jahr 1900 zur Behandlung von Schlafstörungen, Depressionen, Keuchhusten, Asthma, Schmerzen aller Art, sowie Hühneraugen und Warzen sehr geschätzt wurde. In der Mitte des 20. Jahrhunderts verschwanden die medizinischen Cannabispräparate jedoch fast vollständig. Ein wesentlicher Grund für diese Entwicklung war der damalige medizinisch-pharmazeutische Fortschritt und die heute noch problematische, fehlende Standardisierung von Cannabismedikamenten. Dabei wies sie auch darauf hin, dass die Hippie-Bewegung, beziehungsweise der hedonistische Gebrauch erst nach der weltweiten Prohibition 1961 kam und nicht umgekehrt. Das Verbot erfolgte also nicht, weil es ein Problem gab.
Danach wurden in mehreren informativen Vorträgen ein guter Gesamtüberblick zum aktuellen Stand der Forschung geschaffen. Die Ergebnisse der präklinischen Arzneimittelforschung, zu der das Labor von Roger G. Parte der School of Medicine der Universität Aberdeen in Schottland beigetragen hat, zeigen demnach den ständig wachsenden Bedarf der Forschung mit menschlichen Probanden. Es sei wichtig, die klinische Relevanz zumindest einiger der vielen möglichen neuen potenziellen therapeutischen Anwendungen zu untersuchen, welche bereits durch präklinische Forschung aufgedeckt wurden. Wie Kirsten Müller-Vahl berichtete, liefern etwa aktuelle präklinische Studien substanzielle Hinweise darauf, dass die in der Cannabispflanze enthaltenen Phytochemikalien, Terpene und Flavonoide entzündungshemmende, Angst mindernde, krebshemmende und schmerzstillende Wirkungen haben. Dennoch ist es nach wie vor unbekannt, welche Zusammensetzung an Cannabinoiden, Terpenen, Flavonoiden und andere Verbindungen die besten therapeutischen Effekte hervorrufen. Und obwohl die Cannabispflanze mehr als 115 verschiedene Cannabinoide und mehr als 500 andere Phytochemikalien besitzt, sind heutige Cannabissorten nur für den Gehalt der Cannabinoide THC und CBD standardisiert.
Ein weiterer sehr spannender Vortrag präsentierte Ken Mackie, welcher im Rahmen der Konferenz neben drei weiterer Wissenschaftler auch eine Auszeichnung erhielt. Demnach deuten jüngste Ergebnisse darauf hin, dass ein nachhaltiger Konsum von Cannabis zu einer Gewichtsabnahme, bzw. einer verminderten Gewichtszunahme führen kann. Dies ist überraschend, da der menschliche Konsum von Cannabis bekannt dafür ist, einen Fressflash oder die sogenannten „Munchies“ auszulösen und den Konsum von kalorienreichen, nährstoffarmen Lebensmitteln anzuregen.
Nach Macke wird der gleiche Effekt durch die endogenen, also die körpereigenen Cannabinoide ausgelöst. Im Gegensatz dazu haben Studien gezeigt, dass chronischer Cannabiskonsum und der daraus resultierende Verzehr von genussvollen Lebensmitteln zwar das Risiko für Diabetes und andere Krankheiten erhöht, aber auch Zusammenhänge mit reduziertem Körpergewicht bestehen. Somit ergibt sich die Hypothese, dass THC und dessen Abbauprodukte zu einer allgemeinen Verbesserung des gesunden Stoffwechsels beitragen.
Franjo Grotenhermen klärte das viele praktizierende Ärzte umfassende Publikum über zu beachtende Wechsel- und Nebenwirkungen auf: Diese können häufig vorkommen und vor allem bei Menschen mit Herzerkrankungen ernste Folgen haben, da Cannabis die Herzfrequenz erhöhen und den Blutdruck verändern kann. Weiterhin hängen die akuten Nebenwirkungen des Cannabiskonsums hauptsächlich mit Psyche, Kognition und Kreislauf zusammen. Nach der Einnahme einer Dosis, die einen individuell variablen Schwellenwert überschreitet, treten häufig Euphorie, Angst, Veränderungen in der Sinneswahrnehmung, Gedächtnisstörungen und Beeinträchtigungen der Psychomotorik auf.
Eine medizinische Verwendung von Cannabis sei jedoch für eine Reihe schwerer Krankheiten gerechtfertigt, da die Einnahme von moderaten Dosen von Erwachsenen in einem therapeutischen Kontext in der Regel nicht mit schweren Nebenwirkungen verbunden sind. Er wies vor allem auch darauf hin, dass das derzeitige Verbot des Cannabiskonsums nicht nur schädlich für einzelne Patienten, sondern auch für die Gesellschaft sein kann. Patienten haben etwa mit vielen chronischen Erkrankungen, die mit Cannabis behandelt werden könnten, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Selbstmord.
Kontroversen
Am Freitag wurde über aktuelle Kontroversen und transnationale Forschung (die Übertragung von grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen im Laborumfeld zu einer möglichen Behandlung) aufgeklärt. Besonders spannend war der Vortrag von Arno Hazekamp, welcher beabsichtigte ein besseres Verständnis darüber zu schaffen, wie CBD-Produkte hergestellt, verwendet und beworben werden. Er informierte über bekannte Risiken und Probleme der bereits verfügbaren Masse an CBD-Ölen und der täglich zusätzlich ungehindert auf den Markt kommenden Produkte. Beunruhigende Daten aus der ganzen Welt zeigen demnach, dass irreführende Etiketten sowie schädliche Verunreinigungen reale und aktuelle Probleme für CBD-Produkte darstellen.
In vielen Fällen unterscheiden sich der analysierte Cannabinoidgehalt stark von dem auf dem Etikett angegebenen Inhalt. Weiterhin bewerben die unzähligen Produzenten eine empfohlene Dosis von nur ein paar Milligramm täglich, während die Wissenschaft darauf hindeutet, dass eine effiziente Wirkung erst bei einer viel höheren Dosis von 10 mg pro Kg Körpergewicht erreicht wird. Auf der Grundlage einer genauen Kennzeichnung und wissenschaftlich fundierter, gesundheitsbezogener Angaben, gab Arno Hazekamp Empfehlungen für eine bessere regulatorische Kontrolle. Sein hierzu veröffentlichtes Paper ist sehr empfehlenswert und unter [1] abrufbar.
Ethan Russo, Direktor für Forschung und Entwicklung des Internationalen Cannabis und Cannabinoid Instituts (ICCI) betonte abermals, dass das öffentlich als Wundermittel angesehene Cannabis, noch nicht durch klinische Studien bestätigt wurde. Es hat sich jedoch als äußerst vielseitig in der Behandlung einer Vielzahl von ansonsten sehr unangenehmen Erkrankungen erwiesen, was vor allem beim Patients Panel am Freitagabend deutlich wurde. Dank des Mutes verschiedener Patienten aus aller Welt, sich vor großem Publikum zu öffnen, war es möglich, einmal die Sicht derer zu erleben, die wirklich auf Cannabis angewiesen sind.
Ausblick
Am letzten Konferenztag bestand der Fokus darauf, einen Ausblick über mögliche, zukünftige Anwendungen und neue Entwicklungen in der Cannabinoidforschung zu geben. Besonders hervorzuheben ist dabei das von Kirsten Mueller-Vahl moderierte, abschließende Expertenpanel mit den Mitgliedern des Organisationskomitees der Konferenz: Franjo Grotenhermen, Raquel Peyraube, Ethan Russo, Roger Pertwee, Ilya Reznik und Manuel Guzman. Hierbei ging es vor allem um die Frage, was Ärzte, Patienten und Aufsichtsbehörden wissen sollten und welche Fragen noch auf eine Antwort warten.
Ein zentraler aktueller Forschungsschwerpunkt ist demnach eine mögliche Funktionsstörung oder Defekt des Endocannabinoidsystems. Nach Ethan Russo gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass Erkrankungen mit Neurotransmitterfehlfunktionen wie Alzheimer, Parkinson oder vor allem auch Autismus oder Depressionen mit einer Veränderung des Endocannabinoid-Systems verbunden sind. Eine Studie über den Terroranschlag vom 11. September zeigt unter anderem Unterschiede in der Funktion von Endocannabinoiden bei Überlebenden mit posttraumatischer Belastungsstörung und bei denen, die von dieser verschont blieben. Und Raquel Peyraube aus Uruguay fügte hinzu, dass einige Krankheiten vielleicht sogar primär auf das Endocannabinoid-System zurückgeführt werden könnten. So könnte Krebs beispielsweise als ein primäres Versagen dieses interpretiert werden, indem es nicht funktioniert und keine Tumorzellen erkennt.
Auf Kirsten Mueller-Vahls Frage, wie und in welche Richtung die Forschung und Aufklärung vorangetrieben werden sollte, wies Roger Pertwee kritisch darauf hin, dass das Endocannabinoid-System im Allgemeinen durch seine selbst schützende Wirkung etwas Wundervolles sei. Die Endocannabinoide werden freigesetzt, wann und wo sie gebraucht werden. Die Einnahme eines Cannabinoids wie THC sei jedoch ein großer Gegensatz hierzu, da es den Körper überschwemmt und alle Objekte im Endocannabinoid-System aktiviert. Eine hierdurch ausgelöste zu häufige falsche Ernährung kann, wie bereits erläutert, zu Diabetes führen. Auch Manuel Guzman forderte auf etwas selbstkritischer zu sein und die Suche nach robusteren, technisch methodischen Ansätzen, und zuverlässigeren Tiermodellen als die mit Mäusen voranzutreiben. Ansonsten würde die ganze Arbeit ewig im Rahmen eines Vereins weitergehen.
Insgesamt wurde abermals klar der die ganze Konferenz begleitende Appell für klinische Studien betont. Diese seien nun mal der Goldstandard und nur diese würden von Regulationsbehörden und vielen praktizierenden Ärzte anerkannt. Dabei gäbe es genug fähige Leute für die Ausführung, aber die Suche nach jemandem, der die hohen Kosten klinischer Studien bei gleichzeitig politischer Einmischung finanziert, sei ein sehr schwieriges Unterfangen. Daher könnten Menschen, die sich selbst mit Cannabis behandeln, eine sehr wertvolle Informationsquelle darstellen. In dem Zusammenhang wies Franjo Grotenhermen auf die Medical Cannabis Declaration hin, nach der jeder Patient ungehinderten Zugang zu preiswerten, hochwertigen Cannabinoiden und jeder Arzt das Recht haben sollte, Cannabis ohne politischen oder beruflichen Druck verschreiben oder empfehlen zu können.
Abschließend sagte Ilya Repnik, dass es seiner Meinung nach ausschließlich eine Angelegenheit des Geldes sei. So seien die Regierungen weitgehend ignorant gegenüber den Bedürfnissen der Patienten oder Verbänden wie der IACM. Doch sobald sie bemerken würden, wie hocheffizient und kostengünstig es ist und welche positiven finanziellen Auswirkungen Cannabis auf die Gesundheitsfonds haben kann, würde es freigegeben werden. Und dann würde es viel leichter sein, Forschung zu betreiben und es den Patienten zugänglich zu machen.
Ferner gab es noch unzählige weitere spannende Vorträge, Diskussionsrunden und Präsentationen, deren Abstracts unter diesem Link angesehen werden können. Begleitet wurde die IACM-Konferenz von einer eigenen Smartphone-App, welche es dem Teilnehmer ermöglichte einen persönlichen Terminkalender zusammenzustellen. Auch Einladungen zum persönlichen Austausch konnten direkt an Vortragende und andere Messeteilnehmer gesendet werden, wodurch eine perfekte Möglichkeit zum wichtigen Networking geschaffen wurde.
Neben dem interessanten Rahmenprogramm mit bester Verpflegung und abschließenden Gala-Dinner am Samstagabend, gab es im Messebereich auch genug Gelegenheit persönlich mit Vertretern etablierter Player und Start-ups der Cannabisindustrie in Kontakt zu treten. Insgesamt 24 Unternehmen aus ganzer Welt waren mit eigenen Ständen in Europas Cannabis-Hauptstadt zusammenkommen. Insgesamt war die IACM Konferenz 2019 rundum ein spannendes Erlebnis. Weitere Impressionen sowie nützliche Informationen können in der nachfolgenden Galerie sowie auf Webseite der IACM betrachtet werden.