Selbst wenn Amsterdam weltweit für seine Coffeeshops bekannt ist, in denen man viele verschiedene Arten von Cannabis und Haschisch kaufen kann, wissen viele nicht, dass Cannabis in den Niederlanden offiziell nicht legal ist. Ein Experiment für eine kontrollierte Cannabis-Versorgungskette könnte das ändern.
Aktuell dürfen Coffeeshops Cannabis verkaufen, weil es von der niederländischen Regierung toleriert wird, solange bestimmte strenge Regelungen eingehalten werden. Coffeeshops dürfen beispielsweise nicht mehr als 500 g lagern und können pro Person maximal 5 g am Tag verkaufen. Darüber hinaus dürfen sie kein Cannabis an Minderjährige verkaufen und keinen Alkohol anbieten. Die Belieferung eines Coffeeshops ist offiziell illegal und deshalb wird die aktuelle Situation oft als „Hintertürregelung“ bezeichnet. Lange Rede kurzer Sinn: Coffeeshops dürfen Cannabis verkaufen, aber nicht einkaufen.
Die niederländische Regierung will diese Regelung mithilfe eines Experiments für eine kontrollierte Versorgung der Shops mit Cannabis ändern. Insgesamt wurden 79 Coffeeshops in zehn verschiedenen Gemeinden ausgewählt, um an dem Versuch teilzunehmen. Diese Shops werden legal produziertes Cannabis verkaufen, das von zehn Produzenten, die von der Regierung ausgewählt wurden, bereitgestellt wird. Der Webseite der Regierung zufolge will man damit herausfinden, ob es möglich ist, eine hochwertige Versorgung von Coffeeshops mit Cannabis zu regulieren und sehen, ob das Experiment irgendwelche Auswirkungen auf Kriminalität, Sicherheit und öffentliche Gesundheit hat. Die Meinungen darüber gehen auseinander und manche sind glücklich, dass sich die Cannabispolitik in eine neue Richtung bewegt. Andere wiederum halten die Entwicklung für zu langsam, vor allem im Hinblick auf Länder wie Kanada, die sich für eine landesweite Legalisierung entschieden haben. Das Experiment soll 2021 stattfinden.
Zu Beginn des Versuches wird es eine sechswöchige Übergangsphase geben, in der Coffeeshops entscheiden können, ob sie von staatlich ausgewählten Produzenten, ihren eigenen Händlern oder beiden Anbietern kaufen wollen. Nach weiteren sechs Wochen müssen sie ihre Produkte von den staatlich anerkannten Produzenten beziehen. Für welche(n) der zehn Lieferanten sich ein Shop letztendlich entscheidet, ist die Entscheidung des Coffeeshops. Gemeinden und Coffeeshops hoffen, dass das Experiment bei einem erfolgreichen Ergebnis fortgeführt werden kann. Stand jetzt ist jedoch noch unklar, was nach dem vierjährigen Experiment geschieht.
Es gab viele Diskussionen darüber, ob sich das Experiment als erfolgreich erweisen wird oder nicht. Auf ihrer Webseite äußerte der Zusammenschluss von Cannabis-Händlern (Union of Cannabis Retailers) ein paar ihrer Bedenken und fragte zum Beispiel, ob das Experiment nach den Geschehnissen vom 15. März, dem ersten Tag des landesweiten Lockdowns in den Niederlanden, immer noch gerechtfertigt sei. Um 17:00 Uhr kündigte der Premierminister in einer Pressekonferenz an, dass alle Restaurants, Bars und Coffeeshops eine Stunde später schließen werden. Es dauerte nicht lange, bis sich im ganzen Land lange Schlangen bildeten. Um die Nachfrage nach Produkten vom Schwarzmarkt einzudämmen, durften Coffeeshops am nächsten Tag wieder öffnen, solange Kunden die Produkte nur mitnehmen und nicht vor Ort konsumieren können. Die Vereinigung der Cannabis-Händler kommt zu dem Schluss, dass Coffeeshops eine wichtige soziale Funktion erfüllen: die sichere und verantwortungsvolle Bereitstellung weicher Drogen. „Dadurch, dass diese Funktion wegfällt, entsteht ein unkontrollierbares Chaos“, so der Verband auf der Webseite. Ihrer Meinung nach wäre die Regierung besser beraten, das Experiment zu überspringen und sich auf die Anpassung der Hintertürregelung zu konzentrieren, anstatt ein Experiment durchzuführen, dass jegliche Änderungen an der aktuellen Politik innerhalb der nächsten vier Jahre verhindert.
Dennoch stehen Betreiber von Coffeeshops dem Experiment positiv gegenüber. Jill Poppinghaus besitzt den Coffeeshop Lucky Luke in Arnheim, eine der zehn teilnehmenden Gemeinden. „Wir als Coffeeshop finden das Experiment gut. Aufgrund der Hintertürregelung können wir nicht 100 % legal arbeiten. Wir bezahlen Steuern, als ob wir legal wären, aber abgesehen davon haben wir keine Rechte. Ich hoffe, dass wir mithilfe des Experiments in Richtung Legalisierung kommen, sodass wir dieselben Rechte wie jedes Unternehmen in den Niederlanden haben können. Menschen müssen verstehen, dass wir ein Geschäft wie eine Bäckerei oder Metzgerei sind. Der einzige Unterschied ist, dass wir etwas verkaufen, das Menschen unter Umständen nicht gewohnt sind. Wenn ich mir ansehe, wer täglich in meinen Shop kommt, verstehe ich nicht, dass es immer noch Menschen gibt, die denken, dass die Kundschaft eines Coffeeshops nur aus Junkies oder Kriminellen besteht. Man trifft hier alle möglichen Arten von Menschen, von Anwälten und Lehrern bis hin zu Polizisten, die nicht im Dienst sind.“
Gleichzeitig hat das Experiment laut Poppinghaus aber auch Nachteile. „Wir hatten kein Mitspracherecht, aber es wird von uns erwartet, viel Geld zu investieren: Ein neuer Safe, ein neues Zahlungssystem, wir brauchen ein neues Sicherheitssystem für das Cannabis, das wir jede Woche geliefert bekommen… alles auf unsere eigenen Kosten“. Eine weitere Herausforderung für Coffeeshops könnte das Angebot an Haschisch sein. Ein Thema, das ebenfalls auf der Webseite der Händlervereinigung angesprochen wird.
Poppinghaus erklärt, dass man für die Herstellung von einem Kilogramm Haschisch einhundert Kilo Gras benötigt. „Momentan kommt ein Großteil des in den Niederlanden verkauften Haschisch aus Marokko, aber ich glaube nicht, dass die niederländischen Grower ausreichend Hasch für alle Coffeeshops, die am Experiment teilnehmen, produzieren können.“ Das könnte definitiv zu einer Herausforderung werden, denn dem laut dem Nationalen Drogenbericht 2019 des niederländischen Instituts für psychische Gesundheit und Sucht (Trimbos) bevorzugten 30 % der Besucher eines Coffeshops im Vormonat Haschisch gegenüber Gras.
Rick Brand ist Besitzer des Coffeeshops De Baron in Breda und nimmt ebenfalls am Experiment teil. Obwohl es seiner Meinung nach auch positive Aspekte gibt, sieht er den Versuch auch mit Herausforderungen konfrontiert. „Wenn man Cannabis auf eine Art legalisieren will, wie es diese Pflanze verdient, muss sie von der Liste der verbotenen Substanzen gestrichen werden. Heutzutage wird Cannabis zusammen mit einer Vielzahl von Gesetzen und Regulierungen legalisiert, die in jedem Land, Bundesstaat, jeder Region oder Stadt unterschiedlich sind. Das ist unnötig, es muss nur von der Liste gestrichen werden, ganz einfach.“
Eine Sache, über die Brad sehr glücklich ist, ist die Tatsache, dass er seinen Konsumenten ein sauberes Produkt anbieten und gleichzeitig der Hintertürregelung ein Ende bereiten kann. „Das hat mich allerdings nicht zu sehr gestört, denn es gibt ein überaus großes Angebot, aus dem man wählen kann. Das einzige Problem ist, dass ich keine Versprechen über die Qualität machen kann. Ich kann meinen Kunden sagen, ich sehe mir es unter dem Mikroskop an und kann mein Produkt testen, aber ich fühle mich wie ein Essenstester im Alten Ägypten, der sich selbst einem Risiko aussetzt, um zu sehen, ob das Produkt gut ist.“
Ein weiterer Punkt, der seit geraumer Zeit diskutiert wird, ist die Menge an Pestiziden im Cannabis. „Wir wissen nicht, was passiert, wenn man Gras raucht, das mit Pestiziden verunreinigt ist. Wir haben keine Ahnung davon, welche Schäden das anrichtet. In dieser Hinsicht wäre ich sehr froh über Regulierungen und zertifizierte Produzenten, um sicherzustellen, dass wir ein sauberes Produkt erhalten. 2015 untersuchte das niederländische Nationale Institut für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) 25 Cannabisproben auf Pestizide. In 23 der Proben wurden Schädlingsbekämpfungsmittel gefunden. Man entschied jedoch, dass sie beim Konsum keine Gefahr für die nationale Gesundheit darstellen. Das Problem ist allerdings, dass Menschen Cannabis in der Regel nicht konsumieren, sondern rauchen. Was geschieht, wenn Pestizide verbrannt und eingeatmet werden, ist nicht bekannt.
Wer sind die staatlich ausgewählten Produzenten? Obwohl es nicht viele Unternehmen gibt, die ihre Anbauambitionen offen legen, hat es das Unternehmen namens Projekt C. getan. Bestehend aus einem Allgemeinarzt, einem Politiker und einem Anwalt würde man vermutlich zunächst nicht erwarten, dass ihr Kerngeschäft der Anbau von Cannabis ist. Laut Joep van Meel, dem Politiker innerhalb des Projekts, ist es an der Zeit, die aktuelle Hintertürregelung zu beenden. „Es ist großartig, dass die Regierung das Experiment ermöglicht, aber es muss ein Erfolg werden. Wenn nicht, wird diese Diskussion in den kommenden 30 Jahren keine Rolle spielen.“
„Ich für meinen Teil bin schon eine Weile in der Politik aktiv und meiner Meinung nach ist es Zeit für eine Veränderung, weil unsere aktuelle Drogenpolitik nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert“.
Joep van Meel
Van Meel glaubt, dass sie angesichts ihrer unterschiedlichen Vorgeschichten die Herausforderung aus verschiedenen Perspektiven angehen können. „Ronald Roothans hatte während seiner Arbeit als Allgemeinmediziner mit cannabisbezogenen Problemen zu tun, behandelte aber auch Patienten, die Cannabis gegen ihre Schmerzen einnehmen. Anwalt Peter sieht die gesetzliche Seite: Menschen, die ihr zu Hause verlieren oder von Gangs bedroht werden. Ich für meinen Teil bin schon eine Weile in der Politik aktiv und meiner Meinung nach ist es Zeit für eine Veränderung, weil unsere aktuelle Drogenpolitik nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert“.
Was war die Motivation des Trios für ihre Anbauambitionen? Geht es nur um Profit oder hoffen sie, die Drogenpolitik zu reformieren? „Die wichtigste Motivation ist unser Ideal, wir halten die aktuelle Politik für lächerlich. Ich rauche ab und zu mal einen Joint und finde die Stigmatisierung von Cannabiskonsumenten sehr enttäuschend. Am Ende des Tages ist es aber immer noch ein Geschäft und wir hoffen natürlich, damit auch einen Gewinn zu erzielen. Gleichzeitig wollen wir 30 % unseres Nettogewinns an Forschungsprojekte und Suchthilfe spenden“.
Bei den unterschiedlichen Ansichten, Ambitionen und Vorteilen des Experiments bleibt nur die Frage, ob das wirklich der beste Weg hin zu einer Reform der Drogenpolitik ist. „Im Moment bewegen wir uns nur langsam in Richtung Legalisierung, wobei wir im Hinblick auf Drogen eines der progressivsten Länder waren. Es ist eine Schande“, erklärt Poppinghaus. Die ersten Coffeeshops des Landes eröffneten in den 1970er-Jahren, und es scheint, als wären die Niederlande seitdem mehrere Jahrzehnte stillgestanden, während Cannabis in Ländern wie Kanada komplett legalisiert wurde. Ist ein vierjähriges Experiment mit staatlich ausgewählten Produzenten das, was die Niederlande braucht, ehe man möglicherweise zur Legalisierung von Cannabis übergeht?