Im Koalitionsvertrag setzte sich die Bundesregierung im Dezember 2021 das Ziel, nicht nur Besitz und Konsum von Cannabis zu Genusszwecken in Deutschland zu entkriminalisieren, sondern erstmals einen staatlich kontrollierten, vollständig legalen Cannabis-Genussmittelmarkt zu schaffen. Im Frühjahr 2022 kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an, dass mit einem Gesetzesentwurf gar noch in diesem Jahr gerechnet werden könne.
Woher das Cannabis bezogen werden soll, bleibt dabei unklar. Bereits die Versorgung mit Medizinalcannabis kann nur durch den Import aus Drittstaaten ermöglicht werden; die Kapazitäten für den innerdeutschen Anbau sind angesichts des hohen Bedarfs zu limitiert. Das Gleiche würde für eine potenzielle Versorgung mit Cannabis zu Genusszwecken gelten. Aber wäre ein internationaler Handel und der damit verbundene Import von Cannabis zu Genusszwecken völker- und europarechtlich überhaupt ohne Weiteres möglich?
Völkerrechtliche Bedenken
Deutschland ist Vertragspartei mehrerer internationaler Verträge, die den Verkehr mit Cannabis regeln: das Einheits-Übereinkommen der Vereinten Nationen über Suchtstoffe von 1961, das Übereinkommen über psychotrope Stoffe von 1971 sowie das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen von 1988. Diesen zufolge sind alle gewerblichen Aktivitäten, also auch der Import und der Handel, in Verbindung mit Cannabis außerhalb medizinischer oder wissenschaftlicher Zwecke völkerrechtlich zu unterbinden. Mit dem Import von Cannabis zu Genusszwecken würde Deutschland diese Pflicht verletzen. Auch das Ursprungsland, sofern es Vertragspartei der Übereinkommen ist, verstieße gegen das Völkerrecht, indem es mindestens die Gewinnung, Herstellung und Ausfuhr und den Besitz des Betäubungsmittels gestatten würde.
Falls keine direkte Lieferung vom Ursprungsland an einen deutschen Hafen oder Flughafen erfolgen würde, müssten zudem etwaige Transitländer befürchten, sich völkerrechtswidrig zu verhalten, wenn sie einen ihnen bekannten Cannabistransport nicht aufhielten. Sie träfe die völkerrechtliche Pflicht, mit strafrechtlichen Mitteln die Durchfuhr, zu ahnden und nach den Bestimmungen des nationalen Rechts in der Regel auch die Ware zu beschlagnahmen.
Mögliche Rechtsfolgen im internationalen Drogenkontrollsystem könnten vonseiten der Vereinten Nationen insbesondere in Form des Internationale Suchtstoffkontrollrat (International Narcotics Control Board, „INCB“) erfolgen.
Das INCB ist dazu ermächtigt, die Einhaltung der Bestimmungen der Übereinkommen durch die einzelnen Vertragsparteien zu überwachen. Unter bestimmten Umständen kann das INCB sogar die Herstellungs- und Einfuhrquote eines Staates, der gegen das Übereinkommen verstößt, für ein bestimmtes Betäubungsmittel beschränken. Beachtlich ist aber, dass sowohl Kanada als auch Uruguay, die beide Vertragspartei der einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen sind, schon seit längerem Cannabis zu Genusszwecken legalisiert haben. Tatsächliche Maßnahmen abseits von Stellungnahmen gegen diese Vertragsverstöße erließ das INCB bislang nicht.
Europarechtliche Hürden
Auch europarechtlich ist ein internationaler Handel mit Cannabis zu Genusszwecken heikel. Sowohl das Schengener Durchführungs-Übereinkommen, das dem EU-Primärrecht zuzuordnen ist, als auch ein EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels von 2004 führen die Verpflichtung zum Untersagen jeglicher gewerblichen Aktivitäten mit Cannabis außerhalb wissenschaftlicher und medizinischer Zwecke auf. Während Einzelheiten bezüglich der genauen Leseart und des Wortlauts der einschlägigen Vorschriften Gegenstand komplexer rechtswissenschaftlicher Diskussionen sind, darf allgemein festgehalten werden, dass der Handel zwischen EU-Staaten und die Einfuhr nach Deutschland alles andere als unproblematisch wären.
Zu den ohnehin widrigen EU-rechtlichen Vorschriften kommt nämlich, dass die EU selbst Vertragspartei des UN-Übereinkommens von 1988 ist und somit die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzen muss, um dem Übereinkommen effektiv Geltung zu verschaffen. Augenscheinlich möchte das Europarecht es den Mitgliedstaaten gerade nicht ermöglichen, den Verkehr mit Cannabis zu Genusszwecken entgegen den völkerrechtlichen Übereinkommen zu legalisieren.
Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen EU-Recht
Aus einem Verstoß eines EU-Mitgliedstaats gegen die genannten EU-Vorschriften könnte ein von der EU-Kommission oder einem anderen Mitgliedsstaat initiiertes Vertragsverletzungsverfahren gem. Artikel 258 und Artikel 259 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erwachsen. Da die Haltung des EuGHs gegenüber dem Umgang mit Cannabis sich über die vergangenen Jahre kaum verändert hat, würde der beklagte Mitgliedsstaat mutmaßlich unterliegen.
Da bisher noch kein EU-Mitgliedstaat ein Vertragsverletzungsverfahren wegen einer Cannabis-Legalisierung durchlaufen musste, stellt dies ein kaum einzuschätzendes Risiko dar. Aufgrund der eindeutigen, im AEUV festgestellten Entscheidungsgewalt des EuGHs wäre der Verstoß gegen EU-Recht sicher als problematischer und folgenreicher einzustufen als der Verstoß gegen einschlägiges Völkerrecht.
Für nationalrechtskonform agierende Unternehmen, die sich am europäischen oder inländischen Cannabismarkt beteiligen, stellen sich diese Probleme allerdings nicht, da sie keine Vertragspartner in Völkerrechtsverträgen oder EU-Verträgen sind. Würde Deutschland entgegen der aktuellen europäischen und internationalen Rechtslage Cannabis zu Freizeitzwecken legalisieren, entstünden den betreffenden Unternehmen zumindest keine direkten rechtlichen Konsequenzen aus Völker- oder Europarecht.
Völker- und Europarecht enthalten also umfassende Verpflichtungen für die Bundesrepublik Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten der EU, den gewerblichen Verkehr mit Cannabis außerhalb medizinischer und wissenschaftlicher Zwecke zu unterbinden und auch strafrechtlich zu sanktionieren. Ohne eine Änderung der internationalen Verpflichtungen Deutschlands wäre eine Legalisierung daher nicht rechtskonform möglich.
Sollte Deutschland also anstreben, den heimischen Bedarf über Importe zu decken, hätte dies, wenn es denn überhaupt gelänge, exportwillige Partner zu finden, immense völker- und europarechtliche Folgen, die sich kaum abschätzen lassen. Die Vorgehensweise aus dem Bereich des medizinischen Cannabis, das international gehandelt werden darf, kann nicht übertragen werden.
Ausblick: Mögliche Lösungsansätze
Um einen völkerrechtlichen Verstoß zu vermeiden, könnte Deutschland aus den einschlägigen völkerrechtlichen Übereinkommen austreten und wieder mit einem Vorbehalt für die Legalisierung des innerstaatlichen Anbaus von Cannabis zu Genusszwecken eintreten. Die Prozedur nach Art. 50 Abs. 3 des Einheits-Übereinkommens von 1961 sieht vor, dass ein Vorbehalt dann zulässig ist, wenn nicht innerhalb eines Jahres mindestens ein Drittel der Vertragsparteien Einspruch erhebt. Wäre der Wiedereintritt mit einem solchen Vorbehalt möglich, könnte Deutschland damit die Entstehung eines entsprechenden nationalen Industriezweigs aus völkerrechtlicher Sicht ermöglichen, einschließlich des Anbaus in Deutschland.
Sollte der deutsche Bedarf an Freizeitcannabis hingegen über Importe aus Drittstaaten gedeckt werden, würde der deutsche Vorbehalt zu den völkerrechtlichen Übereinkommen nicht genügen. Die Einfuhr aus Nicht-EU-Ländern wäre wegen der ausschließlichen Zuständigkeit der EU für den Außenhandel nicht ohne die Zustimmung der EU möglich, die selbst wiederum der völkerrechtlichen Pflicht unterliegt, genau diesen Handel zu verhindern und zu sanktionieren.
Auch bei einer Einfuhr der Produkte aus einem EU-Mitgliedstaat müsste sichergestellt werden, dass auch das Ursprungsland der Produkte einen entsprechenden Vorbehalt formuliert hat. Beide Vorbehalte müssten zudem weit genug gefasst sein, um alle relevanten wirtschaftlichen Aktivitäten der Cannabisindustrie zu erfassen. Je weiter die Formulierung gewählt wird, desto größer ist jedoch die Gefahr, dass der Vorbehalt unzulässig ist, weil er den Grundgedanken des Vertrages aushebelt. Falls eine Direktlieferung nach Deutschland nicht gesichert ist, müssten zudem mit den Transitländern einvernehmliche und verlässliche Regelungen gefunden werden, die völkerrechtlich auch in diesen Ländern einen entsprechenden einschränkenden Vorbehalt erfordern würden.
Solange nicht alle beteiligten Staaten sich von ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die Sanktionierung eines Cannabis-Genussmarktes befreit haben, bleiben zumindest Teile der Wertschöpfungs- und Lieferkette rechtswidrig. Erforderlich wäre eine enge Zusammenarbeit mit den künftigen Partnern, die zudem auch noch andere völkerrechtliche Verpflichtungen haben können und eine Lösung finden müssen, die auch mit der nationalen Rechtsordnung in Einklang steht.
Eine internationale Zusammenarbeit zur Lieferung von Freizeitcannabis ohne Anpassung des rechtlichen Rahmens würden die Kontrollorgane mit großer Wahrscheinlichkeit nach ihren Möglichkeiten sanktionieren. Es würde sich um einen Präzedenzfall handeln, durch den im großen Stil von einer Gruppe mehrerer Staaten das Völkerrecht systematisch missachtet würde. Sich an einer solchen „Unrechtskoalition“ zu beteiligen, stünde im krassen Widerspruch zur stets völkerrechtsfreundlichen Tradition in der Bundesrepublik Deutschland.
Die europarechtlichen Regelungen hingegen erlauben keine einseitigen Vorbehalte einzelner Staaten. Es führt aus rechtlicher Sicht kein Weg an einer Nachverhandlung der europäischen Verpflichtungen im Bereich des nicht-medizinischen und nicht wissenschaftlichen Cannabis, und somit einer eindeutigen Änderung von EU-Recht vorbei. Weiterhin ist zu beachten, dass die EU selbst Vertragspartei der Konvention von 1988 ist, sodass Deutschland eine Verletzung der Treuepflicht gegenüber der EU – hier spezifisch, sie in ihrem Bestreben, ihrerseits völkerrechtlichen Verbindungen nachzukommen, nicht zu verhindern – nur umgehen könnte, wenn die EU selbst aus einschlägigen völkerrechtlichen Abkommen aus und mit Vorbehalten bezüglich Cannabis zu Genusszwecken wieder einträte. Zusammengefasst ist der Weg der rechtskonformen Cannabis-Legalisierung also beschwerlich, aber nicht unmöglich.