Ein aktuelles Urteil am Amtsgericht Aschersleben rund um die „nicht geringe Menge“ vom Cannabis-Wirkstoff THC stellt sich gegen Vorgaben des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe. Bei Besitz sollten für eine Bestrafung mindestens 30 Gramm mehr als jene unrealistisch niedrigen 7,5 Gramm vom berauschenden Inhalt der Hanfpflanze vorliegen – kommen jetzt auch in der Justiz endlich die völlig überholten Sichtweisen über Cannabis auf den Prüfstand?
Bundesgerichtshof beurteilt psychoaktive Cannabinoide wie vor 40 Jahren
Seit 1984 wurden weltweit viele Tausend Studien über Hanfprodukte verfasst und haben in modernen Ländern wie den USA und Kanada direkt zur Entkriminalisierung von Cannabis beigetragen. Am BGH freilich scheint moderne Forschung unbekannt oder wird hartnäckig ignoriert. Selbst eingefleischte Gegner von Haschisch und Marihuana zeigten sich überrascht, als Deutschlands oberste Strafrichter letzten April keinerlei Anlass sahen, die seit 4 Jahrzehnten gültige Obergrenze von 7,5 Gramm THC anzuheben – trotz der zeitgleich anlaufenden Legalisierung auf Bundesebene!
Fünf Strafsenate urteilten damals auffallend gleich ablehnend und stellten sich nach Sicht von Juristen rabiat gegen Beschlüsse durch den Gesetzgeber. Zwar versuchte die damals noch amtierende Ampelregierung beim Cannabis Druck auf den Bundesgerichtshof auszuüben und forderte auch in der Rechtssprechung eine angepasste Risikobewertung – ohne Erfolg. Eine damals als Aushilfe durch SPD, FDP und Grüne angekündigte, gesetzlich dann auch unstrittige Anhebung der „nicht geringen Menge“ kam allerdings im Parlament nicht mehr zur Abstimmung.
Cannabis-Legalisierung erfordert laut Amtsgericht Veränderungen
Wegen mehr als 60 Gramm Hanf im Besitz landete ein Beschuldigter vor dem Richter in Aschersleben. Statt wie so oft brutal abzuurteilen, verhängte der Vorsitzende 300 € Geldstrafe und begründete diese recht milde Buße mit dem Verweis auf das seit 1.4.2024 geltende Gesetz zur Cannabis-Legalisierung in Deutschland. Schon bei einer Überschreitung von 7,5 Gramm THC zu sanktionieren, sei angesichts der neuen Vorschriften schlicht unangemessen.
Erst ab 37,5 Gramm reinem Wirkstoff dürfe die Justiz strafen – selbst wenn solch ein Wert faktisch der unveränderten Sichtweise am Bundesgerichtshof widerspricht! Gerichte, so die Urteilsbegründung, sind immer an gültiges Recht und Gesetz gebunden und darüber hinaus ebenfalls dem Demokratieprinzip samt Gewaltenteilung verpflichtet. Wer sich wie der BGH extra weit von der aktuellen Rechtslage beim Cannabis entfernt, verwechsle als judikative Gewalt die eigene Rolle im Staat mit der legislativen Zuständigkeit vom Gesetzgeber.
Bei THC sind Wissenschaft und gesellschaftliche Entwicklungen zu beachten
„Kaum nachvollziehbar“ ist das Gebaren der Bundesrichter wahrscheinlich nicht nur für das Amtsgericht Aschersleben. In den vier Dekaden seit 1984 lassen sich keine wachsenden, gesamtgesellschaftlichen Risiken durch Cannabisabhängigkeit ausmachen. Der Schwarzmarkt sei heute zwar genauso unschön wie damals, doch mit den wirklich großen Herausforderungen für Justiz und Strafverfolgung hat eine Nachfrage bei Hanfprodukten nichts zu tun.
Wissenschaftliche Untersuchungen müssen in richterliche Urteile genauso einfließen wie gesellschaftliche Veränderungen. Die kommen nach Meinung vom Amtsgericht Aschersleben durch eine gesetzlich beschlossene Cannabis-Legalisierung zum Ausdruck. Ganz nebenbei setze der BGH gezielt nur auf einzelne, in puncto THC negative Studien und lege die Strafbarkeit der „nicht geringen Menge“ entsprechend willkürlich fest.
Wäre man in Karlsruhe konsequent, müsste etwa der Verzehr von Alkohol sofort verboten werden. Während über Cannabinoide sehr wohl jede Menge positiver Untersuchungen vorliegen, gibt es zu Schnaps und Bier keine einzige Studie, die Saufen etwa als förderlich, für weniger Gewalt auf den Straßen oder eine erhöhte Fahrtüchtigkeit am Steuer nachweist. Wer A sagt, muss auch B sagen und wir sind gespannt, wie höhere Instanzen als das Amtsgericht über eine Revision der empörten Staatsanwaltschaft entscheiden.