Stellen Sie sich folgende Situation vor: Ein Angehöriger und enges Familienmitglied von Ihnen ist schwer, im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohlich erkrankt und muss unerträgliche chronische Schmerzen erleiden. Alle medizinischen und herkömmlichen therapeutischen Mittel sind bereits ausgeschöpft. Der Arzt hat Ihnen nur noch mitzuteilen: „Wir können leider nichts mehr für Sie tun.“
Trotz allem hat der Betroffene unerträgliche Schmerzen und die Lebensqualität ist unsäglich herabgesetzt. Auf legaler Seite haben Sie und die Mediziner nun alle zugänglichen Mittel versucht und sind am Ende angelangt. Es gäbe nur noch eine allerletzte Chance, die Sie noch nicht unternommen haben, ganz einfach aus dem Grund, dass sie illegal ist und eine drohende Verurteilung nach sich ziehen würde. Die Rede ist von Cannabis.
Cannabis lindert Schmerzen – wissenschaftlich bewiesen
Es ist mithin inzwischen bewiesen und allgemein anerkannt, dass die kontrollierte Einnahme von Cannabis sich positiv auf chronische Schmerzen auswirkt. So werden pflanzliche Cannabiszubereitungen seit vielen Jahren zur Behandlung von Schmerzen eingesetzt. Der Wirkungsmechanismus zur Behandlung von chronischen Schmerzen durch Cannabinoide ist inzwischen gründlich erforscht und es konnte die beachtliche Wirkung mehrmals erfolgreich nachgewiesen werden.
So wurde bei einer Studie von britischen Forschern mit 34 Patienten, die unter anderem an Multipler Sklerose erkrankt waren, unter dem Einfluss den Cannabis-Präparaten eine Schmerzlinderung erzielt und es konnte so ihre Lebensqualität erheblich gesteigert werden. Zu beachten ist natürlich, dass die Gabe von Cannabis als Schmerzmittel Nebenwirkungen wie Schläfrigkeit oder das High-Gefühl bewirken kann, diese jedoch im Zweifel gegen die äußerst vielfältigen, schädlichen Nebenwirkungen des Morphins abgewogen werden müssen.
Voraussetzungen für eine Erlaubnis für Erwerb und /oder Aufzucht von Cannabis
Wie aber verhält es sich jetzt mit der Strafbarkeit? Ist die Verwendung von Cannabis-Präparaten zur Selbsttherapie inzwischen genehmigt? Darf ich als Betroffener sogar selbst anbauen? Oder kann ich mir sogar ein Rezept ausstellen lassen und damit zur Apotheke gehen?
Streitentscheidende Norm ist dabei § 3 BtMG:
In Absatz 1 Nr. 1 wird geregelt, dass eine Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM, zwingend notwendig ist, um Betäubungsmittel anzubauen.
In Absatz 2 wiederum ist angeordnet, dass diese Erlaubnis ausnahmsweise erteilt werden kann, sofern der Zweck wissenschaftlicher Natur ist oder im öffentlichen Interesse liegt.
Auswirkungen auf die Strafbarkeit und Strafzumessung
In der Vergangenheit sind einem aktuellen Gesetzesbeschluss schon einige beachtenswerte Urteile und gerichtliche Entscheidungen vorausgegangen:
Mit Auswirkungen auf die Strafbarkeit beschäftigte sich unter anderem das Urteil vom Oberlandesgericht in Karlsruhe, das am 24. Juni 2004 (vgl. Az. 3 Ss 187/03) in einem Fall zum Cannabisbesitz zur Selbsttherapie entschied.
In diesem Fall war der Angeklagte an Multipler Sklerose erkrankt, was bei ihm eine Ataxie auslöste. Dies äußerte sich primär in einer Störung der Grob- und Feinmotorik, des freien Gangs, des Stands und der Sprache. Alle herkömmlichen Therapiemöglichkeiten waren ausgeschöpft, erst die Einnahme eines Cannabis-Präparats brachte die erhoffe Besserung und Schmerzlinderung. Da die Krankenkasse aber eine Kostenübernahme ablehnte und der Angeklagte wirtschaftlich nicht dazu in der Lage war, die Kosten allein aufzubringen, stand ihm das Medikament zur Linderung seiner Symptome nicht länger zur Verfügung.
Das Gericht stellte fest, dass in dem mangels anerkannter Therapiemöglichkeiten drohenden Fortbestand der Gesundheitsbeeinträchtigungen eine gegenwärtige Gefahr für die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten liege. So begründeten die Richter, dass der Umgang mit Cannabis-Produkten zum Zweck der Linderung schwerer Gesundheitsbeeinträchtigungen als Notstand gewertet werden könne und dadurch gerechtfertigt sei. Dafür sei es für die Geeignetheit der Notstandshandlung auch ausreichend, dass die erfolgreiche Abwendung des drohenden Schadens nicht ganz unwahrscheinlich ist. Allerdings müsse die Frage, wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit sein muss, um die Beeinträchtigung des Eingriffsguts zu rechtfertigen, dann im Rahmen der Interessenabwägung beurteilt werden.
Das Oberlandesgericht wies in seinem Urteil aber darauf hin, dass es unter dem Gesichtspunkt der am niedrigsten möglichen Aufopferung des Eingriffsguts auf die Menge des besessenen Marihuanas und Haschischs ankommt. So kann nach § 34 StGB der Besitz von Cannabis nur in dem Umfang gerechtfertigt sein, der für den Konsum zur Linderung der Gesundheitsbeeinträchtigungen erforderlich ist. Zusammengefasst müssen nach den Feststellungen des Gerichts für eine Erlaubnis mehrere Voraussetzungen gegeben sein:
Es muss erstens eine schwere Erkrankung vorliegen. Weiterhin müssen alle zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sein und die Symptome oder die Krankheit nicht ausreichend behandeln. Zuletzt müsse die Verwendung von Cannabis-Produkten die Krankheitssymptome auch nachweislich lindern.
In einem weiteren Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Mai 2005 (vgl. Az. BVerwG 3 C 17.04) wurde weiterhin bekräftigt, dass ein Antrag auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von Cannabis zur Behandlung einer Multiple-Sklerose-Erkrankung nicht nach § 3 Abs. II BtMG mit der Begründung abgelehnt werden kann, dass eine solche Behandlung nicht im öffentlichen Interesse liege.
So wird im Folgenden auf den Gesetzeszweck des § 5 BTMG § 5 Absatz I Nr. 6 verwiesen, der darin bestehe, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Danach stellt die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch einen öffentlichen Zweck dar, der im Einzelfall die Erteilung einer Erlaubnis gem. § 3 Absatz II BtMG rechtfertigen könne. Das Gericht argumentierte weiterhin, dass nach Artikel 2 Absatz II 1 GG jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat. Der Schutzbereich dieses Grundrechts sei dann berührt, wenn der Staat Maßnahmen ergreift, die verhindern, dass eine Krankheit geheilt oder wenigstens gemildert werden kann und wenn dadurch körperliche Leiden ohne Not fortgesetzt und aufrechterhalten würden. Darunter fielen auch die staatliche Unterbindung des Zugangs zu prinzipiell verfügbaren Therapiemethoden zur wesentlichen Minderung von Leiden. Außerdem sei die Therapie schwer kranker Menschen im Interesse der Allgemeinheit, zumal das Anliegen auf eine erfolgreiche Therapie auch häufig von einer größeren Zahl von Patienten geteilt wird.
Bedeutsam ist, dass eine zu therapeutischen Zwecken erteilte Erlaubnis nach § 3 Absatz II BtMG zwar die Hürde der fehlenden Verkehrsfähigkeit überwindet, aber keinesfalls die Verschreibungsfähigkeit herstellt. Daraus folgt, dass Ärzte die nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittel in keinem Fall selbst zur Therapie bei einem Patienten einsetzen dürfen. Allerdings spräche nichts dagegen, dass diese einen Patienten medizinisch betreuen, der mit einer Erlaubnis nach § 3 Absatz II BtMG entsprechende Präparate im Rahmen der Selbsttherapie bei sich anwendet.
Aktuellere Urteile sind unter anderem vom Oberverwaltungsgericht Münster in den Jahren 2012 und 2014 erlassen worden. Hier entschieden die Richter, dass schwer kranke Bundesbürger unter strengen Voraussetzungen Cannabis zu Hause selbst anbauen dürfen. In Fällen, in denen die Krankenkasse der Patienten die Kosten einer Therapie mit cannabinoidhaltigen Medikamenten übernehmen, hätten die Patienten allerdings keinen Anspruch auf eine Genehmigung zum Eigenanbau. Ist es aber erwiesen, dass eine erschwingliche Behandlungsalternative fehlt, komme die – im Ermessen des BfArM stehende – Erteilung einer Erlaubnis für den Eigenanbau von Cannabis in Betracht. Das Verwaltungsgericht in Köln entschied 2014 in weiteren Verfahren, dass Patienten in bestimmten Fällen Cannabis selbst anbauen dürfen, wobei der Ermessensspielraum der Bundesopiumstelle auf null reduziert werde.
Eigenanbau zur Selbsttherapie in Ausnahmefällen legal
Am 06.04.2016 entschied nun das Bundesverwaltungsgericht (Az. 3 C 10.14) erneut bezüglich der Erlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken. Im Prozess hat der Kläger die Erlaubnis zum Anbau von Cannabis in seiner Wohnung angestrebt, um diesen zu ernten und zum Zweck seiner Behandlung zu verwenden. Dies sei für ihn die einzige Möglichkeit, seinen Cannabisbedarf zu decken, da er die wirtschaftlichen Ausgaben aufgrund einer versagten Kostenübernahme seiner Krankenkasse nicht tragen könne. Er gab auch an, dass die von ihm installierten Sicherungsmaßnahmen für seine Wohnung geeignet und ausreichend seien.
Die Entscheidung fiel wie folgt aus:
„Der Eigenanbau von Cannabis zu therapeutischen Zwecken liegt im öffentlichen Interesse im Sinne des § 3 Abs. 2 BtMG, wenn der Antragsteller an einer schweren Erkrankung leidet und ihm zur Behandlung der Krankheit keine gleich wirksame und für ihn erschwingliche Therapiealternative zur Verfügung steht.“
Hier wird zu Bedenken gegeben, dass die herkömmlichen Gesundheitsgefahren und Nebenwirkungen von Cannabis zwar nach wie vor eine Bestrafung beim Umgang mit Cannabis rechtfertigen. Jedoch sei dies laut Gericht dann anders zu beurteilen, wenn es um den Einsatz des Betäubungsmittels zur Bekämpfung einer Krankheit geht. Es sei erwiesen, dass der schwer kranke Kläger auf die Therapie mit Cannabis zur Linderung seiner Beschwerden angewiesen ist und dass er die Behandlung nur durch den unmittelbaren Eigenanbau sicherstellen könne. Der Kläger kann ebenfalls nicht auf eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse hoffen und daher sei es unverhältnismäßig, dem Kläger die Möglichkeit der Selbsthilfe durch Eigenanbau zu verwehren, wenn – wie gezeigt – die erforderliche Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs gewährleistet sind.
Cannabis auf Rezept
Im April 2016 hatte die Bundesregierung die ersten Schritte für eine wichtige Gesetzesänderung in die Wege geleitet und am 19.01.2017 hat der Bundestag nun endgültig grünes Licht gegeben: So soll das Betäubungsmittelgesetz dahin gehend modifiziert werden, dass schwer kranke Patienten ohne alternative Therapiemöglichkeiten zukünftig Cannabis-Arzneimittel ärztlich verordnet bekommen können, wobei die Kosten dann von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden.
Voraussetzung ist für die Erlaubnis, dass alle alternativen Therapiemöglichkeiten bereits ausgeschöpft worden sind und ein verlangsamter Krankheitsverlauf oder die verbesserte Schmerzsymptomatik des Patienten beim Einsatz von Cannabis prognostiziert werden kann.
Durch die aktuelle Gesetzesänderung werden die Hürden für die Genehmigung vom sogenannten Medizinalhanf jetzt niedriger. Bis jetzt war es erforderlich, dass die Betroffenen die Notwendigkeit einer Behandlung mit Cannabis darlegen, ihre Krankheit und ihre bisherige Therapie dokumentieren mussten. Im beschlossenen Gesetzentwurf wird eine Ausnahmeerlaubnis durch das BfArM zukünftig entbehrlich sein.
Eine Kostenerstattung durch die gesetzliche Krankenversicherung war ebenfalls nicht möglich. Wer gesetzlich krankenversichert ist, erhält nun auch einen Anspruch auf Kostenerstattung durch seine Krankenkasse. Einzige Bedingung dabei ist, dass sich die Versicherten bereit erklären müssen, an einer Begleitforschung teilzunehmen.
Der Eigenanbau von Cannabis bleibt allerdings nach wie vor verboten.
Ab März heißt es jetzt also „Cannabis auf Rezept“.