Fachleute, Befürworter, ja sogar einige Gegner halten die Cannabisfreigabe in Deutschland für eine Mogelpackung, an der leider auch die Gerichte mitwirken. Neben der Ampel-Koalition und ihrem Verzicht auf eigentlich nötige, legale Fachgeschäfte für Hanfprodukte kritisieren Juristen besonders die Untätigkeit am Bundesgerichtshof (BGH), wo Tetrahydrocannabinol (THC) als Wirkstoff seit sage und schreibe 40 Jahren unverändert bewertet ist.
Unverändert inkompetent möchte man meinen, schließlich lässt sich die heutige Forschung über Cannabinoide nicht mit dem Stand von 1984 vergleichen.
Und eine Prise Willkür scheint ebenso mit durch, wenn zuständige Richter selbst nach einer offiziellen Legalisierung auf maximal reines 7,5 Gramm THC pochen, deren Überschreitung weiter Strafen nach sich ziehen soll. Gewaltenteilung im Zweifel gegen den Angeklagten, gegen die Legislative und gegen jede wissenschaftliche Logik geht bei Cannabis nach Sicht vom BGH ganz leicht, aber zum Glück steigt nun endlich auch der Druck an zuständigen Richtern durch wirklich fachkundige Juristen.
Forderungen im Cannabisgesetz an die Rechtsprechung werden ignoriert
Obwohl es viele berechtigte Gründe geben mag, den Murks der Bundesregierung rund um jene überfällige Hanffreigabe direkt zu attackieren, bauen SPD, FDP und Grüne zumindest bei einigen Aspekten im Cannabisgesetz (CanG) zu Recht auf Veränderungen per Gerichtsurteil. Durchregieren, tricksen und windig Steuermittel umschichten braucht es beim Hanf zur Umsetzung von Koalitionsvereinbarungen gar nicht, denn eine neue Gesetzeslage im Allgemeinen bedeutet auch angepasste richterliche Entscheidungen über einzelne Details – normalerweise.
Aber lässt sich wirklich von einem Rechtsstaat sprechen, wenn zuständige Kammern vom BGH sogar nach Inkrafttreten der Cannabislegalisierung komplett gegenteilig richten? Und zu allem Überfluss weiter ausgerechnet jene nachweislich unhaltbaren Fake News über Gras zitieren, die eine höhere „nicht geringe Menge THC“ angeblich ausschließen? Anwälte, Politiker und Verbraucher ohnehin waren deshalb von jener BGH-Entscheidung am 18. April 2024 gleichermaßen schockiert, als es eben zu keiner Anhebung beim Hanfwirkstoff kam.
Am Bundesgerichtshof verharrt man jedoch geistig in Verbotszeiten und macht sich in puncto Haschisch und Marihuana metaphorisch gesprochen sozusagen mit der Dystopie von George Orwell gemein. Dessen berühmter Roman spielt zwar in einem fiktiven Jahr „1984“, aber auch in der Realität erinnern Urteile aus der damaligen Zeit wie eben zum THC an totale Willkür – vor allem, wenn man sich selbst vier Jahrzehnte später noch darauf berufen möchte.
Urteilt der Bundesgerichtshof über die „nicht geringe Menge THC“ sogar verfassungswidrig?
Einige Politiker der Regierungsparteien möchten selbst nachbessern und höhere Werte nachwirkend ins CanG hineinschreiben. Auf dem Papier beziehungsweise vor der Kamera jedenfalls und weil das wie üblich wohl so schnell nichts wird, ruhen in puncto Hanf die Hoffnungen der Bürger vorwiegend auf engagierte Juristen. Rechtsanwälte sehen bei der Verweigerungshaltung vom BGH einen direkten „Verstoß gegen den strafrechtlichen Bestimmungsgrundsatz“ und der steht immerhin in Artikel 103, Absatz 2 vom Grundgesetz.
Scheren sich die Damen und Herren in roter Robe wirklich nicht um die Verfassung und was für Gründe kann es nach Ansicht von Rechtswissenschaftlern für solches Gebaren überhaupt geben? Nähere Einsichten dazu lieferte das jährliche Pressegespräch der Bundesanwaltschaft vor einigen Wochen. Dort nämlich trat der bestens gelaunte Generalbundesanwalt Jens Rommel auf wie ein Gutsherr und lobte die eigene, intensive „Vorarbeit“ zum Cannabis, dessen Neubewertung dann auch auf Basis dieser Einlassungen in jedem einzelnen Senat am BGH durchfiel.
Mit anderen Worten: Die Richter haben offenbar kein bisschen selbst recherchiert, sondern sich beim Marihuana Inhaltsstoff komplett auf die naturgemäß kritische Bewertung durch Staatsanwälte verlassen. Deren Chef wiederum, Herr Jens Rommel, übergeht die Forderungen im CanG nach richterlichen Entscheidungen einfach, sondern erklärt das Festhalten vom BGH an alten Schläuchen mit fehlenden Hinweisen im Gesetzestest. Wie bitte? Wird die Justiz als dritte Gewalt zum Handeln aufgefordert und geht es um Gepflogenheiten im demokratischen Rechtsstaat beim Teilen der Macht, lehnen sich Juristen in Deutschland einfach zurück und blockieren im Stile von Winkeladvokaten wichtige Veränderungen.
Beim Cannabis ebenfalls untätig: Justizminister Marco Buschmann (FDP)
Mehr netto vom brutto, mehr Freiheit, mehr Eigenverantwortung – ihren ursprünglichen Markenkern verlassen die Liberalen schon eine ganze Weile und werden ganz folgerichtig auch beim Cannabis von den Wählern verlassen. Warum greift der Bundesjustizminister nicht ein, wenn Staatsanwälte das von seiner FDP mit erstellte, wie beschlossene CanG „widersprüchlich“ nennen und über Hanf als „gefährliches Rauschmittel“ schwadronieren, dessen Inhaltsstoffe man weder versteht noch anpassen möchte?
Damit sich besagter Marco Buschmann im Ministerium endlich bewegt, braucht es direkte Ansagen und immer schärfere Forderungen von den Koalitionspartnern. Der Bundesgerichtshof stellt sich überdeutlich inkompetent dem Willen des Gesetzgebers entgegen und bei der FDP regt sich keinerlei Widerstand? Ausgerechnet die beim Hanf sonst weniger hilfreiche SPD macht jetzt Druck, aber offensichtlich regieren auch Liberale am Ende lieber schlecht als gar nicht.
Wegen unverändert niedriger THC-Werte ohne Bezug zur Realität droht trotz allgemeiner Freigabe und einer nun erlaubten Besitzmenge von 50 Gramm Cannabis Strafverfolgung durch Institutionen, die eigene Aufgaben zurückweisen. Das CanG schiebt Zuständigkeiten keineswegs an die Justiz ab, sondern beteiligt diese, wie es sich im Rechtsstaat gehört, an gesetzgeberischen Prozessen. Wie arrogant muss ein vorgeblich liberaler Bundesjustizminister zudem sein, der auf Nachfragen indessen die Verantwortung dem sozialdemokratisch geführten Gesundheitsministerium unterschieben will?
Anpassungen für legale Wirkstoffe Anpassungen für THC
Buschmanns Kollege Karl Lauterbach (SPD) hat das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis zwar maßgeblich ausgearbeitet, aber selbst dieser Tausendsassa kann mal etwas vergessen oder sollte bei juristisch kniffeligen Fragen auf Beistand durch beteiligte Regierungspartner vertrauen können. Die Anhebung der strafrechtlich relevanten Limits auf mehr als 7,5 Gramm reines Tetrahydrocannabinol bleibt Experten zufolge wohl noch eine Weile unerledigt, außer es gibt irgendeinen Kuhhandel im Hinterzimmer der Macht.
Aktuell bleibt nur der schwache Trost etwas geringerer Haftstrafen bei einem Verstoß, den Richter als Handel und „nicht geringe Menge THC“ werten wollen. Bühne frei für Rechtsanwälte mit Berufsethos, lautet die Parole. Auch wenn Cannabiskonsumenten für ihren Umgang mit der uralten Kulturpflanze Hanf selbst unter einer Ampel-Koalition vorerst weiter zu leiden haben, können ihre Vertreter vor Gericht wenigstens bessere Waffen nutzen. Richter lassen sich so hoffentlich deutlich öfter milde stimmen als zu Zeiten der großen Verdunkelung mit Bundesdrogenbeauftragen von der CDU/CSU.