Im Nachfolgenden bespricht Rechtsanwalt Dietrich eine wichtige Entscheidung des OLG Hamm, in welchem das Gericht sich mit der Frage auseinandergesetzt hat, unter welchen Voraussetzungen ein Absehen von Strafe wegen Eigenverbrauchs von Marihuana möglich ist. Rechtsanwalt Dietrich ist Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin und spezialisiert im Drogenstrafrecht. Bei Umgang mit geringen Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch kann das Gericht gemäß § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe absehen – wenn es die Vorschrift kennt.
Das OLG Hamm in seiner Entscheidung vom 16. Juni 2015 – 2 RVs 30/15 – musste den nachfolgenden Sachverhalt revisionrechtlich und strafrechtlich beurteilen.
2014 war kein gutes Jahr für den Angeklagten. Zunächst wurde er im April 2014 an zwei verschiedenen Tagen von der Polizei kontrolliert, wobei er in beiden Fällen im Besitz von 0,4 g Marihuana bzw. 0,7 g Marihuana war. Statt das Verfahren angesichts der sehr geringen Menge an Betäubungsmitteln gemäß § 31a StPO einzustellen, klagte die Staatsanwaltschaft vor dem Amtsgericht Iserlohn an. Dieses verurteilte den Angeklagten schließlich im Dezember 2014 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen. 2015 lief es für den Angeklagten dann besser. So viel vorweg.
Das Amtsgericht Iserlohn hatte sich zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs mit dem Angeklagten und den Folgen der Tat auseinandergesetzt. Daher musste es zugunsten des Angeklagten und damit strafmildern berücksichtigen, dass dieser nicht vorbestraft und im Besitz von lediglich geringen Mengen Marihuana war, die zudem beschlagnahmt werden konnten. Strafschärfend wertete das Amtsgericht freilich, dass der Angeklagte in einem kurzen Zeitrahmen zweimal mit Betäubungsmittel angetroffen wurde, ihm das erste Mal also „keine Lehre“ gewesen sei.
Der Angeklagte legte gegen das Urteil Sprungrevision zum Oberlandesgericht Hamm ein und wandte ein, das Amtsgericht Iserlohn habe sich gar nicht mit einer für seinen Fall zentralen Strafzumessungsvorschrift, dem § 29 Abs. 5 BtMG auseinandergesetzt. Daher sei das Urteil aufzuheben.
Gemäß § 29 Abs. 5 BtMG kann das Gericht in bestimmten Fällen des Umgangs mit geringen Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch von Strafe absehen. Vor allem Gelegenheitskonsumenten und Drogenprobierer sollen so vor Strafe und der Eintragung im Strafregister bewahrt werden (BayObLG NStZ 1982, 472).
Die Vorschrift wird in der Praxis eher selten angewandt, weil Verfahren wegen des Umgangs mit geringen Mengen Betäubungsmitteln bereits vorher gemäß § 31a BtMG strafprozessual eingestellt werden können. Relevant wird die Vorschrift jedoch, wenn die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren hierzu nicht bereit war und auch in der Hauptverhandlung eine Zustimmung zu einer Einstellung nach § 31a BtMG verweigert. Dann kann das Gericht gemäß § 29 Abs. 5 BtMG von Strafe absehen, ohne dass es auf eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft ankäme. Da dies aber eben selten vorkommt, übersehen viele Gerichte in dieser Situation – gerade bei unverteidigten Mandanten – den § 29 Abs. 5 BtMG und verurteilen.
So geschah es auch dem Angeklagten im Dezember 2014. Das Amtsgericht setzte sich zum Nachteil des Angeklagten nicht mit den Voraussetzungen von § 29 Abs. 5 BtMG auseinander. Dies wollen wir an dieser Stelle nachholen.
Die Tathandlung
Von Strafe absehen kann das Gericht bei allen – gewöhnlich gemäß § 29 Abs. 1 BtMG strafbaren – Handlungen, die den Eigenkonsum vorbereiten und vornehmlich als Selbstgefährdungsdelikte angesehen werden können (BGH StV 1987, 250). Hierzu zählen der Anbau, die Herstellung, die Ein- und Durchfuhr, der Erwerb, das Sich-Verschaffen in sonstiger Weise sowie der Besitz. Die Abgabe, das Veräußern, das Inverkehrbringen und das Handeltreiben sind ausdrücklich ausgenommen, da sie Dritte gefährden können. Da dem Angeklagten nur Besitz vorgeworfen wurde, käme die Anwendung von § 29 Abs. 5 BtMG somit in Betracht.
Der Täter
Bei Einführung von § 29 Abs. 5 BtMG war klar, dass lediglich Gelegenheitskonsumenten und Drogenprobierer durch die Vorschrift privilegiert werden sollten. Dies findet sich jedoch im Gesetzestext nicht wieder. Daher lassen sich in der Rechtsprechung auch zahlreiche Fälle identifizieren, in denen bei einschlägig Verurteilten oder Dauerkonsumenten von Strafe abgesehen worden ist. Für den Angeklagten fehlen entsprechende Hinweise, sodass eine Anwendung des § 29 Abs. 5 BtMG für ihn zunächst nicht ausgeschlossen ist.
Geringe Mengen von Betäubungsmitteln
- 29 Abs. 5 BtMG unterscheidet nicht zwischen weichen und harten Drogen. Wichtig ist aber, dass lediglich eine geringe Menge vorliegen darf. Eine Menge ist dabei gering, wenn sie zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (Weber, BtMG, § 29 Rn.1801). Wann das der Fall ist, wird unterschiedlich beurteilt.
Bei Cannabis wird die durchschnittliche Konsumeinheit mit 15 mg THC angesetzt, so dass der Grenzwert für die „geringe“ Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG 45 mg (= 0,045 g) THC beträgt. Wird der Wirkstoffgehalt nicht festgestellt, wird zum Teil in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ein Cannabisgemisch mit einer Gewichtsmenge von bis zu 6 Gramm als „geringe Menge“ i.S.d. § 29 Abs. 5 StGB angesehen (vgl. Weber, a.a.O., § 29 Rn. 1811 u. 1812). Stellt man auf die Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. 1 BtMG gemäß dem Runderlass des Justizministeriums und des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 19.05.2011 – JMBL. NRW S. 106 – ab, so ist von einer geringe Menge zum Eigenverbrauch gemäß Ziffer II. 1. der Richtlinien bei Cannabisprodukten bis zu einer Gewichtsmenge von 10 g auszugehen.
In jedem Fall aber lagen die Marihhuanazubereitungen, die bei dem Angeklagten vorgefunden worden sind, mit einem Nettogewicht von 0,4 g bzw. 0,7 g erheblich unter den vorgenannten Grenzmengen für Cannabisprodukte von 6 g bzw. 10 g.
Da zudem eine Eigenkonsumabsicht des Angeklagten nahe lag, waren alle Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtMG erfüllt. Somit hätte das Amtsgericht Iserlohn von Strafe absehen können. Jedenfalls aber – so entschied das Oberlandesgericht Hamm am 16. Juni 2015 – hätte es sich mit den Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtMG auseinandersetzen müssen. Da es dies unterließ, hob das Oberlandesgericht Hamm das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Strafrichterabteilung des Amtsgerichts Iserlohn zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Man kann nur hoffen, dass das Verfahren im zweiten Durchlauf entweder gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft eingestellt wird oder das Gericht wenigstens von Strafe absieht.