Aufgrund der zunehmenden Beliebtheit von CBD-haltigen Produkten sah sich das österreichische Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz Ende 2018 veranlasst, „auf die Rechtslage im Umgang mit cannabinoidhaltigen Extrakten in Lebensmittel und Kosmetika“ hinzuweisen.
Der Erlass mit der Geschäftszahl BMASGK-75100/0020-IX/B/16a/2018 ist an die zuständigen Verwaltungsbehörden (Lebensmittelaufsicht) gerichtet, wurde aber auch mit zusätzlichen Anmerkungen im Internet veröffentlicht. Die wesentlichen Stellen dieses Erlasses lauten:
„Cannabinoidhaltige Extrakte, die als solche oder in Lebensmitteln – vorwiegend als Nahrungsergänzungsmittel (z. B. CBD Öl) – auf den Markt gebracht werden, sind somit in der Regel (sofern nicht Abs. 3 zutrifft) als neuartige Lebensmittel gemäß der Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel zu betrachten. Nur zugelassene und in der Unionsliste aufgeführte neuartige Lebensmittel dürfen nach Maßgabe der in der Liste festgelegten Bedingungen und Kennzeichnungsvorschriften als solche in Verkehr gebracht oder in Lebensmitteln verwendet werden. Zurzeit liegt noch keine derartige Zulassung vor. Ein Inverkehrbringen ist damit nicht zulässig.“
Das Ministerium ist daher überzeugt, dass CBD-haltige Extrakte gegen die Verordnung (EU) 2015/2283 („Novel Food VO“) verstoßen würden. Doch was findet sich eigentlich in dieser Verordnung?
Die Novel Food VO legt mit dem 15. Mai 1997 einen Stichtag fest. Alle Lebensmittel, die zu diesem Tag in nicht nennenswertem Umfang in der Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und aus Pflanzen oder Pflanzenteilen bestehen oder daraus isoliert oder erzeugt wurden, dürfen nicht in Verkehr gebracht werden. Ausgenommen sind wiederum Lebensmittel, die eine Verwendungsgeschichte als sicheres Lebensmittel haben.
Oder in einfacheren Worten: Alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 schon seit langer Zeit von vielen Menschen in der EU gegessen wurden, sind zulässig.
Man muss sich nun drei wesentliche Fragen stellen:
- Ist Cannabis vor dem 15. Mai 1997 in der Union in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet worden?
- Muss auch das CBD-haltige Extrakt vor dem 15. Mai 1997 in der Union in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet worden sein, oder genügt der Verzehr der Pflanze als Ausgangsstoff für das Extrakt?
- Wer muss das wie beweisen?
Ist Cannabis vor dem 15. Mai 1997 in der Union in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet worden?
Die Antwort auf diese Frage lautet: „Ja“. Dies ist bei namhaften Experten der Lebensmittelbranche weitgehend unstrittig. Das österreichische Ministerium differenziert jedoch zwischen den Blüten und dem Rest der Pflanze. Die Samen, der Stängel und die Blätter der Cannabispflanze sind nach Ansicht des Ministeriums zulässig, die Blüten dagegen nicht. Dies, weil die Blüten vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet wurden.
Die Ansicht des Ministeriums ist aber unrichtig und Beweise dafür gibt es genug: Schon im ersten gedruckten Kochbuch De Honesta Voluptate et Valetudine („Vom ehrenhaften Genuss und Wohlbefinden“) aus dem Jahr 1475 beschreibt Bartolommeo de Sacchi Platina ein Rezept für ein Cannabisextrakt. Oder auf der Bio-Fachmesse in Frankfurt am Main im Jahr 1995 haben 40 Aussteller rund 20.000 Produkte präsentiert, unter denen sich Hanföl und Hanfbackwaren befanden. Und 1996 schlossen sich die Unternehmen dupetit Natural Products und die Berliner Bier Company zu einem Joint Venture zusammen, um das Hanfbier „Cannabia“ zu produzieren. Beim Hanferntefest im Herbst 1996 in Berlin, bei welchem dieses beliebte Bier ausgeschenkt wurde, machte übrigens Horst Seehofer als damaliger Gesundheitsminister den Fassanstich. Dem Autor liegen noch zahlreiche weitere Beispiele vor, die jedoch hier nicht alle aufgezählt werden können. Cannabis (die Pflanze und die Blüten) sind daher richtigerweise kein Novel Food.
Muss auch das CBD-haltige Extrakt vor dem 15. Mai 1997 in der Union in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet worden sein, oder genügt der Verzehr der Pflanze als Ausgangsstoff des Extrakts?
Dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Manche vertreten, dass es nicht genügt, dass die Ausgangspflanze (Cannabis) in nennenswertem Umfang verzehrt wurde. Vielmehr müsse auch das CBD-Extrakt vor dem 15. Mai 1997 in der Union in nennenswertem Umfang zum menschlichen Verzehr verwendet worden sein. Die Vertreter dieser Meinung argumentieren mit dem Wortlaut der Novel Food VO, welche dem Anschein nach die Pflanze und das Extrakt als unterschiedliche Lebensmittel betrachtet. Und da es unterschiedliche Lebensmittel sind, muss auch für jedes Lebensmittel geprüft werden, ob dieses vor dem 15. Mai 1997 verzehrt wurde.
Diese Wortakrobatik wird meines Erachtens der Realität nicht gerecht. Denn auch das Aufbrühen von Hanfblättern stellt einen Extraktionsvorgang dar. Würde in der Lebensmittelindustrie jede Verarbeitung einer Pflanze ein neues Lebensmittel entstehen lassen, für das die Voraussetzungen der Novel Food VO neu geprüft werden müssen, so wäre ein guter Teil der auf dem Markt befindlichen Lebensmittel unzulässig.
Maßgeblich ist daher meines Erachtens etwas anderes: Durch die Verarbeitung (Extraktion) der Pflanze darf es zu keiner wesentlichen Änderung der Verstoffwechslung des Extrakts im menschlichen Körper kommen. Das Extrakt darf daher nicht völlig andere Eigenschaften und eine völlig andere Zusammensetzung der Inhaltsstoffe als die Pflanze haben. Dies wird in der Regel dann sichergestellt sein, wenn die Konzentration der Cannabinoide gleich wie in der Pflanze ist. Aus meiner Sicht ist daher ein CBD-Extrakt nicht per se unzulässig. Vielmehr muss das CBD-Extrakt in seiner Zusammensetzung und der Verstoffwechslung der Pflanze gleich sein.
Wer muss das wie beweisen?
Den Beweis, dass ein CBD-Extrakt kein Novel Food ist und daher verkauft werden darf, muss das Unternehmen erbringen, welches das Lebensmittel in Verkehr bringt. Konkret ist der Beweis zu erbringen, dass Cannabis bereits vor dem 15. Mai 1997 in nennenswertem Umfang in der Union verzehrt wurde. Der Beweis ist denkbar schwierig, weil der Zeitraum, der maßgeblich ist, die Jahrzehnte vor 1997 (!) sind. Diese Beweisführung werden nur jene Unternehmen auf sich nehmen, die es sich entweder leisten können, jemanden damit zu beauftragen, oder ein besonderes Interesse an der Lebensmittelgeschichte in Europa haben.
Zusammenfassung
Cannabis (die Blüten wie auch der Rest der Pflanze) sind kein Novel Food. Ein Cannabisextrakt, das keine völlig anderen Eigenschaften und keine völlig andere Zusammensetzung der Inhaltsstoffe als die Pflanze hat, ist ebenfalls kein Novel Food. Der Beweis dafür obliegt jedoch dem Unternehmen, welches das Lebensmittel in Verkehr bringt.
[box type=“info“]Die oben dargestellte Rechtslage ist durch eine Analyse der geltenden Unionsvorschriften entstanden, weshalb diese grundsätzlich in allen Ländern der Union gilt.[/box]