Cannabis Modellprojekte in Europa
Der Prozess einer Legalisierung von Cannabis, als Medizin oder als Genussmittel, läuft von Nation zu Nation völlig unterschiedlich ab. Die Initiative kann beispielsweise schon von diversen Akteuren ausgehen, es kann die Politik sein, ein Gericht oder auch eine Bürgerinitiative. In den Details der Regulierung gibt es im Prozess viel zu klären, was ebenfalls viel Raum für nationale Unterschiede lässt.
Viele Regierungen wagen sich daher nur zögerlich an eine Cannabis-Legalisierung, sodass man den Eindruck fehlender Konsequenz beim Gesetzgebungsprozess nur schwer von der Hand weisen kann. Oftmals wird eine Art Brücke zu Hilfe genommen, über die der Weg zur Legalisierung eingeschlagen wird: das Modellprojekt. Ein Modellprojekt, oft auch Pilotprojekt genannt, soll eine Legalisierung wissenschaftlich begleitet simulieren. Es gibt diese Projekte sowohl für Cannabis als Medizin, als auch für Cannabis als Genussmittel. Am Ende sollen die Ergebnisse evaluiert werden, um festzustellen, ob und in welchem Rahmen und mit welchen Details eine legale Regelung für den Umgang mit Cannabis Sinn ergibt.
Ob solch ein Modellversuch ein wirklicher Versuch ist, Erkenntnisse zu gewinnen für eine mögliche Legalisierung, oder ob ein Pilotprojekt lediglich dazu dient, die Legalisierung schleichend und möglichst widerstandslos zu implementieren, dazu gibt es von Fall zu Fall sehr unterschiedliche Ansichten. Auf jeden Fall sind Modellprojekte eine Art Türöffner für Reformen und gesetzliche Neuregelungen, und so zeigen die zahlreichen wissenschaftlichen Pilotprojekte, die es aktuell gibt, wohin in Europa die Reise gehen soll. Im Folgenden wollen wir uns die Modellversuche einiger europäischer Nationen etwas näher anschauen:
Schweiz
Kürzlich wurde in der Schweiz das erste Modellprojekt vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) genehmigt, das die legale Abgabe von Cannabis als Genussmittel erproben soll. Schon im späten Sommer dieses Jahres soll der erste legale Verkauf von Cannabis an Erwachsene in Basel stattfinden, natürlich nicht im offenen Handel, sondern im geschützten Rahmen des wissenschaftlichen Pilotprojekts. Im vergangenen Jahr hatte die Schweiz die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, und schon bald soll es losgehen. Etwa 400 Teilnehmer werden vielleicht bereits ab August Zugang zu Cannabis über Apotheken erhalten, welches sie legal zu Zweck des Genusses besitzen und gebrauchen dürfen. Dabei sollen Daten über das Kauf- und Konsumverhalten gewonnen werden. Diese Informationen sollen dann bei der möglichen Gestaltung einer richtigen Legalisierung von Cannabis helfen. Dem Startschuss des Modellprojekts in Basel sollen weitere Städte in der Schweiz folgen. Abgesehen davon wird aktuell auch an einem Gesetzentwurf für eine umfassende Legalisierung gearbeitet.
Frankreich
Bereits im März 2021 hatte in Frankreich ein zweijähriges Modellprojekt für Cannabis als Medizin begonnen. Innerhalb der Laufzeit werden 3000 Patienten, die unter neuropathischen, chronischen Schmerzen, Spastiken bei MS, Epilepsie oder Krebs leiden, mit Cannabis behandelt. Die Genehmigung dafür wurde eigentlich sogar schon 2019 erteilt, und obwohl sich auf Anhieb Hunderte von Kliniken und Ärzten bereit erklärten, bei dem Pilotprojekt zu kooperieren, hatten schließlich Ereignisse wie die globale Pandemie den Beginn erheblich verzögert. Die Ergebnisse der Studie sollen es den Regulierungsbehörden ermöglichen, den Rahmen für die Etablierung eines Verschreibungs- und Abgabesystems für Cannabis-Medikamente zu schaffen, so ließ ein französischer Regierungssprecher einst verlauten. Bis Anfang dieses Jahres begannen durch das französische Modellprojekt bereits mehr als 1200 Patienten eine Cannabis-Therapie.
Dänemark
Während Modellprojekte an anderen europäischen Ländern des Öfteren auch Gegenstand medialer Veröffentlichungen in Deutschland gewesen sind, hatte man hierzulande von Dänemark eher wenig mitbekommen. Dabei ist das dänische Studienprojekt für Cannabis als Medizin das wahrscheinlich am besten etablierte in Europa. Seit 2018 werden dabei etwa 500 Patienten in jedem Quartal mit Cannabis als Medizin versorgt. Eigentlich sollte die Studie in diesem Jahr beendet werden, doch das Parlament hatte vor etwa einem Jahr der Verlängerung der Laufzeit um weitere vier Jahre zugestimmt. Die Durchführung dieses Modellversuchs ist sehr offen gestaltet. Jeder zugelassene Arzt kann Cannabis für eine Reihe bestimmter Erkrankungen oder Beschwerden verschreiben. Darunter sind zum Beispiel Spastiken bei MS, Übelkeit während der Chemotherapie oder neuropathische Schmerzen. Die Behandlungskosten werden vollständig übernommen bei unheilbaren Erkrankungen, in anderen Fällen trägt der Patient die Hälfte der Kosten.
Luxemburg
Wie in Dänemark gibt es auch in Luxemburg ein Pilotprojekt, das 2018 genehmigt wurde und seit Februar 2019 läuft. Ursprünglich wurde es für die Laufzeit von zwei Jahren geplant, es ist heute längst über das Stadium der Auswertung der Behandlungserfolge hinaus, seit Februar 2022 wird das System neu bewertet, und Cannabis als Medizin in Luxemburg gibt es auch weiterhin. Etwa 600 Patienten pro Jahr beziehen darüber ihre Cannabis-Medikamente, in Form von Blüten und Ölen, die ihnen durch jeden qualifizierten Arzt verordnet werden können. Dafür qualifizierte Verschreibungsgründe sind in Luxemburg derzeit palliative oder chronische Schmerzzustände, Multiple Sklerose, diverse Krebserkrankungen. Das Gesundheitsministerium ist der Kostenträger für die Therapien.
Irland
Im Jahr 2019 gab es in Irland grünes Licht für ein fünfjähriges Medizinalcannabis-Pilotprogramm. Bis dann aber die Umsetzung begann, gingen noch gute zwei Jahre ins Land. Im Vergleich zu anderen Modellprojekten ist es in manchen Details etwas eingeschränkt. Zum einen ist die Berechtigung zur Verordnung nur leitenden Ärzten vorbehalten, zum anderen wird lediglich ein enges Spektrum an Beschwerden berücksichtigt: MS, Spastiken, Nebenwirkungen der Chemotherapie und behandlungsresistente Epilepsie. Für die Behandlung mit Cannabis stehen in Irland auch lediglich sechs verschiedene Produkte zur Verfügung. Eine Kostenübernahme ist dafür zwar möglich, jedoch nicht die Regel. Das irische Pilotprojekt macht mit der langen Laufzeit vielleicht auf den ersten Blick einen vielversprechenden Eindruck, doch nur wenig deutet darauf hin, dass in Irland in naher Zukunft ein dauerhaftes Konzept für den medizinischen Zugang zu Cannabis etabliert werden wird.
Die Niederlande
Aufgrund einer sehr speziellen Ausgangslage wird in den Niederlanden ein etwas anderes Cannabis Modellprojekt umgesetzt. Cannabis als Medizin gibt es dort bereits und es ist ebenfalls bekannt, dass man dort Cannabis als Genussmittel in Coffeeshops erwerben kann, auch wenn dies nur geduldet ist und der Einkauf der Shops noch via Hintertür geschieht, also durch den Schwarzmarkt. Ab 2021 gab es in zehn verschiedenen Städten erstmals Cannabis, das durch staatlich lizenzierte Produzenten in die Shops gelangt. Bei diesem Modellprojekt geht es also auch um Themen wie die Gesundheits- und Qualitätskontrolle. Die Möglichkeit der Kontrolle der Produkte und ihrer Herkunft stellt einen der maßgeblichen Unterschiede zwischen dem Modellversuch und dem bisherigen Handel in der Halblegalität dar. Nicht alle Städte und speziell ihre Coffeeshop Betreiber waren gewillt an den Pilotprojekten teilzunehmen. Zweifel an der Reichhaltigkeit des Angebots hatten das Interesse daran gehemmt, aber auch vor allem hatten einige Betreiber Angst davor, dass sie ihr Geschäft schließen müssen, sollte die Studie beendet sein und nicht bei einer Auswertung nicht von einer ähnlichen, dauerhaften Lösung überzeugen.
Modellprojekte als taktischer Zwischenschritt auf dem Weg zur Legalisierung
Von den Befürwortern einer Legalisierung werden die Modellprojekte gern als Verzögerung echter Reformen wahrgenommen, als Klotz am Bein für den Fortschritt in Richtung Liberalisierung. Tatsächlich sind sie oft auch das Ergebnis langer Denk- und Entwicklungsprozesse. Für eine Legalisierung auf parlamentarischer Ebene braucht man Mehrheiten, und für Mehrheiten braucht man die Fähigkeit zu überzeugen. Das Überzeugen von Skeptikern ist schwieriger, wenn die Reform, die man voranbringen will, sehr radikal ist, soll heißen, wenn die Veränderungen groß sind, die die Reform herbeiführen soll. Ein Medizinalcannabis-Pilotprojekt ist also wesentlich leichter umzusetzen als eine vollständige Legalisierung von Cannabis.
Nur selten aber werden Modellprojekte beendet und münden dabei nicht in eine Umsetzung eines umfassenden Cannabis-als-Medizin-Konzepts. Wenn sich der medizinische Gebrauch von Cannabisprodukten in der Gesellschaft etabliert, kann langfristig auch leichter eine Liberalisierung von Cannabis als Genussmittel erfolgen. Die Pilotprojekte Europas sind also ein zaghafter Schritt hin zum legalen, medizinischen Umgang mit Cannabis, und diese wiederum bereiten weitergehenden Reformen den Weg. Für Menschen, die wegen ihres Bezugs zu Cannabis der Verfolgung ausgesetzt sind, sind die Modellversuche ganz selbstverständlich keine Lösung für ihre Probleme, sie stellen vielmehr eine langwierige Verzögerung für richtige Liberalisierungsbewegungen dar. Dennoch können sie ein notwendiger Zwischenschritt sein, wenn es darum geht, langfristig Veränderungen auch entgegen einem stärkeren Widerstand herbeizuführen.