Global setzt sich seit Jahren mehr und mehr das Bewusstsein durch, dass Cannabis nicht die gefährliche Droge ist, wie sie 1961 in der Single Convention on Narcotic Drugs (Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel der UN), dem maßgeblichen internationalen Vertrag über Betäubungsmittel, beschrieben wurde. Daher wurde das Gewächs vor mehr als zwei Jahren, exakt am 2. Dezember 2020 von den Vereinten Nationen neu klassifiziert. Obwohl wir von dieser Reklassifizierung keine unmittelbaren Auswirkungen wahrnehmen können, bleibt sie dennoch nicht ohne Folgen: Ungarn zum Beispiel landet in diesem Zusammenhang jetzt sogar vor dem Europäischen Gerichtshof.
Der medizinische Nutzen von Cannabis wird anerkannt
Bis vor der Reklassifizierung war Cannabis in der Single Convention und den anhängigen internationalen Verträgen in der Anlage IV zu finden. In dieser Anlage sind all diejenigen Substanzen aufgeführt, die von der internationalen Gemeinschaft als nicht-verkehrsfähig und ohne medizinischen Nutzen eingestuft wurden. Da viele Nationen, die diese Verträge ebenfalls unterzeichnet hatten, mittlerweile den medizinischen Nutzen von Cannabis anerkannt haben, war die Zeit gekommen, den Status der Pflanze in den Verträgen entsprechend anzupassen. Mit einer knappen Mehrheit von 27 zu 25 Stimmen gelang die Neu-Klassifizierung in Anlage I, zu den Substanzen, denen ein medizinischer Nutzen zugestanden wird.
Ungarn entscheidet gegen beschlossene EU-Position
Vor der geplanten Abstimmung über die Reklassifizierung von Cannabis hatte sich die Europäische Union nach einem Beschluss des EU-Rats auf eine gemeinsame Position verständigt, da die Kommission die internationale Regulierung von Betäubungsmitteln als europäische Angelegenheit erachtet. Man hatte sich also darauf geeinigt, entsprechend der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO für die neue Einordnung von Cannabis in Anlage I der UN-Konventionen zu votieren. Ungarn machte entgegen der Übereinkunft einen Alleingang und stimmte dagegen. Aus diesem Grund muss sich der EU-Mitgliedsstaat nun vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verantworten.
Rahmenvertrag macht Cannabis zur EU-Angelegenheit
Inwiefern Ungarn für seine Entscheidung, gegen den EU-Beschluss zu stimmen, belangt werden kann, ist ungewiss. In dem für die Reklassifizierung verantwortlichen UN-Gremium, der Commission on Narcotic Drugs (CND), hat die EU als ganzes kein Stimmrecht. Lediglich sind zwölf EU-Mitgliedstaaten für sich allein stimmberechtigt, Ungarn ist eines davon. In dieser Hinsicht hat das Land natürlich jedes Recht, eine souveräne Entscheidung allein zu treffen. Allerdings besteht auf EU-Ebene seit 2004 ein Rahmenvertrag, der festlegt, wie Betäubungsmittel durch Mitgliedstaaten im Rahmen von UN-Klassifizierungen reguliert werden sollen. Die stimmberechtigten Nationen sollen demzufolge die Position der EU in Abstimmungen vertreten, da die Entscheidungen auch unmittelbaren Einfluss auf EU-Recht nehmen.
Ungarn ignoriert UN-Anliegen und Fakten zu Cannabis
Da das Votum Ungarns gegen besagten EU-Vertrag von 2004 verstieß, den das EU-Mitglied ebenfalls unterzeichnet hat, hat die Europäische Kommission im Februar 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Da die Stellungnahmen Ungarns für die EU nicht schlüssig und stringent waren, landete die Angelegenheit vor dem EuGH. In seiner Positionierung hatte Ungarn ungeachtet der gegenteiligen wissenschaftlichen Kenntnislage erklärt, dass Cannabis über ein starkes Suchtpotenzial verfüge und eine „unverantwortliche“ UN-Reklassifizierung der Substanz den Konsum allgemein ankurbeln werde. Ignoriert wurde dabei der Fakt, dass die Neu-Einstufung lediglich den medizinischen Nutzen betrifft.
Trotz EU „O. K.“ kann die deutsche Legalisierung vor dem EuGH landen
Auch für die angestrebte Legalisierung von Cannabis als Genussmittel in Deutschland sind die Vorgänge um das Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn relevant. Denn da jedes einzelne EU-Mitglied sich in einer solchen Angelegenheit an den EuGH wenden kann, könnte sich auch Deutschland vor dem Gerichtshof wiederfinden, sogar nach einem positiven Ergebnis der EU-Notifizierung des Gesetzentwurfs. Und da innerhalb der Europäischen Union noch einige nationale Regierungen von Mitgliedern einen restriktiveren Kurs in der Cannabispolitik vertreten, ist das nicht so unwahrscheinlich.