Sechs Pflanzen im Eigenanbau, 50 Kilogramm im Kollektiv über „Cannabis-Vereine“ und Priorität für Klein- und Kleinstbauern beim Marihuana-Anbau für die Kommerzialisierung. Nach Jahren des politischen Tauziehens läuft am 30. April 2021 die letzte Begutachtungsfrist des Senats ab. Dessen hochwahrscheinliche Zustimmung würde Mexiko zum größten Markt global für legales Cannabis machen.
Seit Jahren versammeln sich tagtäglich zahlreiche, mal dutzende, mal hunderte, mal auch (zehn- oder hundert-) tausende Pro-Marihuana-AktivistInnen vor dem mexikanischen Kongressgebäude auf dem Paseo de la Reforma in Mexiko-Stadt, um die GesetzgeberInnen an das bahnbrechende Urteil des Obersten Gerichtshofs von 2012 zu erinnern. Dass auf Klage von Konsumenten das Verbot von Marihuana für den Freizeitgebrauch für verfassungswidrig erklärte. Ein Meilenstein, der das in Gang setzte, was nun unmittelbar vor der Implementierung steht: Die Legalisierung von Cannabis für die private, persönlich, aber auch die landwirtschaftlich-kommerzielle Nutzung. Nur in den Lockdowns der Coronavirus-Pandemie verlagerte sich dieser soziale Druck, der die Treibfeder der Marihuana-Legalisierung war, auch über NGOs, AktivistInnen phasenweise in die Sozialmedien.
„Das Gesetzesprojekt zur Legalisierung ist das Gesetz, dass am meisten Fortschritte gebracht hat in der gesamten Geschichte der Legislative von Mexiko“, unterstreicht Zara Snapp im Exklusivinterview für das Hanf Magazin. Die mexikanische Expertin für Drogenpolitik, UNO-Beraterin (zur Drogenstrategie für Lateinamerika, UNGASS 2016) war und ist über das Instituto Ria als dessen Mitbegründerin seit Jahren an vorderster Front für die Legalisierung in ihrer Heimat: „Es wurde vom Senat abgesegnet, dann vom Repräsentantenhaus, wo zahlreiche Veränderungen eingefügt und umgesetzt wurden.“
Knapp ein Jahrzehnt nach dem wegweisenden Präzedenzfall von 2012 verabschiedete das Unterhaus des mexikanischen Kongresses am 10. März 20212 mit überdeutlicher Mehrheit 316 zu 129 Stimmen die bundesweite Cannabisregulierung. Jetzt liegt es wieder im Senat, der es annehmen, oder eben die Änderungen ablehnen kann. Bedeutet dies die Gefahr eines „Zurück-zum-Start, befindet sich der Prozess in einer verzwickten Situation?
Sechs Cannabispflanzen pro Person
„Nein“, betont Snapp weiter und zählt die fortschrittlichsten Errungenschaften auf: „Eine volljährige Person wird sechs Pflanzen bei sich aufziehen dürfen, was keinesfalls schlecht ist. Oder acht Cannabis-Stauden, wenn zwei Erwachsene im selben Haushalt leben.“ Dafür muss man sich registrieren, bei der mexikanischen Kommission gegen Drogenabhängigkeiten. „Wir hoffen, dass diese bürokratische Formalität eine einfache sein wird“, sagt die Expertin für Drogenpolitik. Auch „Cannabis-Clubs“, ähnlich den Spanischen werden erlaubt. Jedoch mit einer Maximalzahl an Mitgliedern von 20, und maximal 50 Pflanzen. „Das sind die Optionen an Cannabis zu gelangen, ohne es käuflich erwerben zu müssen“, sagt Snapp zufrieden, merkt aber an: „Klarerweise haben wir stets höhere Zahlen eingefordert im Gesetzgebungsprozess. Das Wichtigste ist jedoch, dass es diese Formen, Eigenanbau, privat oder kollektiv geben wird.“
Für den kommerziellen Cannabis-Anbau geht Mexiko, wenn das Gesetz so durch den Senat geht, einen überaus progressiven Weg: Es wird sechs verschiedene Lizenzen geben. Angefangen von einer Lizenz, die die gesamte Produktionskette erlauben wird: vom Hanfsamen bis zum Vertrieb des Produkts. Abseits dieser wird es je eine Lizenz für jede Etappe der Cannabisproduktion, der Verarbeitung zu Produkten wie Extrakten und Ölen sowie Forschung.
„Leider gibt es keine Quotenlösung für Klein- und Kleinstbauern, sowie Kooperativen aus Kleinstbauern, etwas was uns enorm wichtig war“, lamentiert Snapp. Auf in Anbetracht der landwirtschaftlichen Produktion und Mexiko, und auch wie der Cannabis- (und Schlafmohn- bzw. Opium-)Schwarzmarkt sich mit den Produkten versorgt. „Was im Gesetz jedoch vermerkt ist, ist das jene in den ersten drei Jahren ab dem Inkrafttreten ‚Priorität‘ bei der Lizenzvergabe genießen würden“, erklärt Snapp.
Fast vier Jahre nachdem Mexiko Cannabis bereits für den medizinischen Gebrauch legalisiert hat, wird die Ausweitung des legalen Status auf den rekreativen Konsum das Land zum führenden Cannabis-Markt in Nordamerika und möglicherweise der Welt machen. Alleine der Binnenmarkt mit über 120 Millionen Einwohnern ist von beachtlicher Dimension, optimale Anbauflächen, das Know-how von Growern und Breedern, die Jahrzehnte im Illegalen gearbeitet haben, aber auch das wissenschaftliche der wichtigen Universitäten und Forschungslabors sowie nicht zuletzt internationaler Cannabis-Konzerne bieten eine solide Basis. Die Auswirkungen auf das „Cannabusiness“ in den USA könnten durch Mexikos Legalisierung dadurch beträchtlich sein, und insbesondere US-Unternehmen beobachten die Entwicklungen südlich der Grenze und des Río Grande mit Argusaugen. Oder bereiten sich auf den Sprung zum Nachbarn vor.
Während Dispensatories, wie in vielen US-Bundesstaaten, allen voran Kalifornien noch nicht in Mexikos Städten wie Pilze aus dem Boden zu sprießen, könnte der CBD-Hanf und Industriehanf „eine sofortige und lukrative Marktchance darstellen, nachdem das Gesetz offiziell zu Papier gebracht wurde“, glaubt etwa Raul Elizalde, CEO von HempMeds. Der staatliche kontrollierte Verkauf wird in Mexiko nicht nur über Apotheken laufen. Auch der kanadische Gigant Khiron Life Science hat längst in Aussicht auf die Legalisierung, und bereits 2018 (Cannabidiol-Produkte, CBD), mit der Regulierung des Medizinalhanfs eine Tochter in Mexiko gegründet, Kiuda Life Sciences Mexico S.A. (kuida – cuida, span. pflegen) etabliert, und produziert CBD-Produkte aus seiner „Nutraceutical“-Schiene als wie auch in der EU Usus, Nahrungsergänzungsmittel. Und ist seit Ende 2019 im Bereich des medizinischen Cannabis tätig. Der Markteinstieg internationaler, globaler „Big Player“ war auch in Mexiko ein heftig debattiertes Thema – wie auch in anderen Staaten Lateinamerikas, wo die Regulierungen und Legalisierungen sukzessive umgesetzt wurden bzw. werden, wie Uruguay (Staatsmonopol), Chile, Kolumbien, Peru oder Argentinien.
„Nun geht es um die Implementierung“, beharrt Snapp: „Wir werden mit dieser Legislative kein besseres Gesetz als dieses erreichen können. Immerhin debattieren sie schon drei Jahre, und es kommt kein zukunftsweisender Input mehr.“ Vielmehr wird das Gesetzesprojekt unterminiert, ausgehöhlt, aufgeweicht und insbesondere in punkto Menschenrechte gab es bedenkliche Vorstöße. „So will man nicht das Delikt des Besitzes auch kleiner Mengen aus dem Strafgesetzbuch streichen“, kritisiert sie. So kann ein jeder, auch wenn er noch so wenig bei sich hat, für 48 Stunden inhaftiert werden, solange wie die anfänglichen Ermittlungen dauern. Bis 28 Gramm ist es straffrei, bis 200 Gramm winkt eine Geldstrafe, darüber, bis fünf Kilogramm kann man sich einer schier unglaublich hohen Geldstrafe sicher sein.
Risikofaktor Parlamentswahlen
„Mexiko wählt am 6. Juni ein neues Parlament sowie in 32 Bundesstaaten deren Parlamente sowie lokale politische Vertreter, und das ist unsere Sorge aktuell“, sagt Snapp: „Es kann sein, dass der politische Wille, das Gesetz in die Praxis umzusetzen, dadurch geschwächt wird.“ Bereits im Wahlkampf haben Politiker Angst, durch ihr Engagement für die Legalisierung in der Wählergunst zu sinken. Und die Stimmen mehren sich, die einen neuerlichen Aufschub für das Inkrafttreten fordern.
Am 30. April war der Stichtag, dann entscheidet sich, ob das Gesetz durchgeht, oder ob es neuerlich zu einer Runde an Abänderungsmöglichkeiten geht. Eine Art Endlosschleife wäre das Worst-Case-Scenario. „Denn der gesamte Legalisierungsprozess wurde von der Zivilgesellschaft gestartet, getragen und fast ans Ziel gebracht“, sagt Snapp: „Und von Seiten der Politik kann man sich aktuell keine weiteren, fortschrittlichen Inputs erwarten.“
So darf man hoffen, dass Mexikos bevorstehende Marihuana-Legalisierung Realität wird, und der links-progressive Präsident Andrés Manuel López Obrador Mexiko durch seine Unterschrift unter dem Gesetz sein Land zum größten legalen Cannabismarkt der Welt macht. Bestenfalls ist das bereits geschehen, wenn das Hanf Magazin erschienen ist – und Du es in den Händen hältst. Nach mehreren Dekaden des „Kriegs gegen die Drogen“, und die enorme ökonomische und politische Macht der Kartelle von Sinaloa oder Jalisco, ist der Schritt Marihuana zu legalisieren, ist ein essenzieller, um einen Ausweg aus der nicht endenden Gewaltspirale zu finden, in die das Land gesunken ist.
Zentausende Ermordete sind die tragische Bilanz für die Drogenlieferungen an den profitablen, illegale Drogenmarkt der USA nördlich der Grenze, der die Macht der Kartelle zementiert. Nun weniger mit Cannabis (auf 66 Mrd. US-Dollar wird der illegale Cannabis-Markt in den USA auch nach der Legalisierung in zahlreichen Staaten geschätzt), aber immer mehr mit Heroin und synthetischen Drogen, wie Crystal Meth. Mexikos Marihuana-„Legalize it!“ wird die Kartelle nicht brechen, die auf andere Substanzen ausweichen, und der Durst nach diesen ist beim Abnehmer groß, aber zumindest schwächen.