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Wie jeder Hanffreund weiß, schreitet die Legalisierung in den USA immer weiter voran. Das legale Cannabisgeschäft hat sich längst als gewinnbringender Geschäftszweig mit Milliarden-Umsätzen etabliert. Zahlreiche Geschäftsleute machen ihren Schnitt, Investoren hoffen auf den Green Boom, Promis wie Snoop Dogg oder Mike Tyson versuchen, mit eigenen Cannabis-Brands auf den Zug aufzuspringen und ihren Bekanntheitsgrad in klingende Münze zu verwandeln.
Dabei sind unter den führenden Köpfen der Cannabis-Industrie naturgemäß auch viele, die in der einen oder anderen Form bereits mit Hanf zu tun hatten, als das noch illegal war. Viele davon sind sich bewusst, dass sie großes Glück hatten – oder vielleicht auch nur die richtige Hautfarbe – wegen ihrer Vorliebe für Hanf nicht für lange Jahre im Gefängnis zu landen. Anders als die mindestens 40.000 US-Amerikaner, die heute noch für sogenannte „non-violent offenses“, also nicht gewalttätige Vergehen, im Zusammenhang mit Cannabis hinter Gittern sind – auch in den Bundesstaaten, in denen Cannabis inzwischen legalisiert wurde.
Diese 40.000 nicht zu vergessen, sondern ihnen vielmehr in jeder nur denkbaren Weise zur Seite zu stehen, damit sie möglichst bald wieder in Freiheit sind, ist das Ziel des langjährigen Hanf-Aktivisten Steve DeAngelo, heute erfolgreich als Unternehmer im legalen Cannabisgeschäft. Er ist überzeugt, dass die neu entstandene Cannabis-Industrie aus moralischen Gründen geradezu verpflichtet ist dazu, diesen Gefangenen zu helfen. Deswegen rief er im Herbst 2019 das Last Prisoner Project ins Leben. Von Anfang an mit von der Partie waren sein Bruder Andrew DeAngelo, ebenfalls mit langjähriger Erfahrung in der Legalisierungsbewegung, und Dean Raise, Produzent und Manager verschiedener Musikgruppen, unter anderem der bekannten kalifornischen Reggae-Band Rebelution.
„Bis der letzte von uns frei ist!“
Das spendenfinanzierte Last Prisoner Project hat es sich zum Ziel gesetzt, die führenden Köpfe der Cannabis-Industrie – wie die DeAngelo-Brüder selbst oft genug langjährige Cannabis-Aktivisten – und Menschen aus der Musikbranche, Künstler wie Produzenten, zusammenzubringen, um durchzusetzen, was ihrer Meinung nach nur recht und billig ist. Nämlich die Freilassung aller 40.000 Gefangenen, die wegen Handel, Schmuggel oder auch nur Besitz von Hanf in US-amerikanischen Gefängnissen einsitzen, zum Teil für lange Jahre, manche auch für Jahrzehnte oder sogar für den Rest ihres Lebens.
„Stell dir vor, in der Zelle zu sitzen, für Jahre, Jahrzehnte oder sogar fürs ganze Leben, verurteilt für etwas, das kein Verbrechen mehr ist, während Tausende andere genau dasselbe tun – und damit generationsübergreifenden Wohlstand aufbauen“, heißt es dazu auf der Website des Projektes. Schnell gelang es dem in der Cannabis-Szene bestens vernetzten DeAngelo, bekannte Musiker und Künstler wie Melissa Etheridge, Damien und Stephen Marley oder Hollywood-Schauspieler Jim Belushi als Botschafter für sein Projekt zu gewinnen.
„Wir werden keine Pause machen und wir werden nicht aufhören, bis der letzte Cannabis-Gefangene freigelassen worden ist“, so die Versicherung DeAngelos auf der Website des Projekts.
Drei zentrale Ziele
Das Last Prisoner Project verfolgt drei Ziele, die eng miteinander verbunden sind.
Zunächst einmal ist es das Wichtigste, dafür zu sorgen, dass alle Cannabis-Gefangenen freikommen, entweder aufgrund individueller Begnadigung oder durch staatliche Amnestien. In einer Atmosphäre, die innenpolitisch durch die stetig wachsende Akzeptanz von Cannabis gekennzeichnet ist, heißt es für das Last Prisoner Project, das Momentum zu nutzen, um einerseits Gefängnisinsassen beim Ersuchen nach Begnadigung mit rechtlicher Beratung zu unterstützen und andererseits die einzelnen Bundesstaaten dabei zu beraten, wie man breit angelegte Amnestien durchführen kann.
Doch auch wer aus dem Gefängnis entlassen wird, leidet meist weiter unter dem Stigma einer kriminellen Vergangenheit. Ein Eintrag wegen „Drogenvergehen“ im Vorstrafenregister ist oft genug das entscheidende Hindernis, wenn es darum geht, Arbeit oder eine Wohnung zu finden oder einen Kredit aufnehmen zu können, um sich eine wirtschaftliche Existenz nach dem Gefängnis aufzubauen. Es ist kein Zufall, dass in den USA die Arbeitslosenrate unter ehemaligen Gefängnisinsassen fünfmal so hoch ist wie im Durchschnitt und dass zwei Drittel aller aus dem Gefängnis Entlassenen innerhalb von drei Jahren wieder im Knast landen. Daher unterstützt das Last Prisoner Project freigelassene Gefangene dabei, entsprechende Einträge im Strafregister löschen zu lassen.
Um ehemaligen Gefängnisinsassen tatsächlich so etwas wie eine berufliche Perspektive bieten zu können, hat das Last Prisoner Project darüber hinaus in Zusammenarbeit mit Unternehmen aus der Cannabisbranche verschiedene Programme entwickelt. So bietet etwa die Firma Harvest, einer der in den USA führenden Anbieter von medizinischem Cannabis, Kurse, die die Teilnehmer dafür qualifizieren sollen, bei einer der Harvest-Filialen in insgesamt sechs US-Bundesstaaten zu arbeiten. Ein anderes Programm, zusammen mit der Firma SCS Gobal Services, spezialisiert auf berufliche Weiterbildung, vermittelt ehemaligen Gefängnisinsassen die nötigen Qualifikationen im Bereich Lebensmittelsicherheit, die sie für einen Job im boomenden Bereich der Cannabis Edibles brauchen.
Die Coronakrise und die Gefängnisse
Noch einmal an Dringlichkeit gewonnen hat das Anliegen des Last Prisoner Projects im Zuge der Coronakrise. Sie hat die Situation in den Gefängnissen zusätzlich verschärft, wegen Überfüllung und mangelnder medizinischer Versorgung sehen DeAngelo und seine Mitstreiter das Wohlergehen von Gefängnisinsassen allgemein in vorher nicht gekanntem Ausmaß gefährdet.
Kurzerhand erweiterte das Last Prisoner Project seine Kampagne um die Forderung nach Freilassung sämtlicher Gefangener, die nur noch weniger als sechs Monate abzusitzen haben, sowie aller über 65-jährigen Gefängnisinsassen, insbesondere mit schlechtem Gesundheitszustand. Zudem kämpft DeAngelo dafür, dass die sonst übliche finanzielle Selbstbeteiligung bei medizinischen Untersuchungen ausgesetzt wird, auch auf dem Hintergrund, dass Gefangene oft für weniger als einen Dollar am Tag arbeiten müssen und daher einfach nicht die finanziellen Mittel haben, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen. Zudem sollen die Justizvollzugsanstalten den persönlichen oder wenigstens telefonischen Zugang zu allen Gefangenen gewährleisten, auch wenn Corona bedingt ein Lockdown verhängt wird.
Erfolgsaussichten
Können Steve DeAngelo und seine Unterstützer ihre Ziele erreichen, insbesondere was die Freilassung der 40.000 Cannabis-Gefangenen betrifft? Der erfahrene Cannabis-Aktivist ist zuversichtlich: „Das Bewusstsein wächst. Die Leute begreifen, dass man Menschen nicht weiter für etwas bestrafen kann, was inzwischen nicht mehr unter Strafe steht“, heißt es dazu auf der Website des Projekts.
In der Tat scheint DeAngelo mit seinem Last Prisoner Project den Nerv des Zeitgeistes zu treffen. Jüngst bekannt gewordene Pläne staatlicher Amnestien für Cannabis-Gefangene in Nevada und Colorado sprechen dafür. Zudem ist das Projekt eingebettet in einen größeren Trend, der das boomende Cannabisgeschäft in immer stärkerem Maße mit dem Thema sozialer Gerechtigkeit verknüpft.