Wenn über die Legalisierung von Cannabis gesprochen wird, werden weltweit gewisse Argumente in den Raum geworfen, die vermuten lassen, dass eine Veränderung im Umgang mit dem natürlichen Genussmittel nur zu mehr Schwierigkeiten in der Gesellschaft führen muss. Gegner einer Cannabisfreigabe stützen sich dabei gerne auf schwer nachvollziehbare Aussagen, die in erster Linie Gefahren für Leib und Wohl sowie oft für Heranwachsende bedeuten würden.
Inwieweit diese zutreffen könnten, lässt sich dagegen schwer nachweisen, da schließlich bislang erst wenige Länder auf dem Planeten diesen Schritt gewagt haben, Cannabis von der Liste der verbotenen Substanzen vollständig zu entfernen. Sicher ist aus Sicht von Befürwortern der Freigabe aber, dass die Situation nicht schlechter werden kann, wenn sich die Staatsmacht auf wirkliche Kriminelle konzentrieren kann und friedliebende Marihuana-Nutzer nicht länger verfolgt werden. Natürlich wird in diesen Kreisen auch unterstützt, dass man Regeln aufstellt, die einen Missbrauch seitens Jugendlicher verhindern und die dafür sorgen, dass nur qualitätsgeprüfte Waren ihren Weg zum erwachsenen Endkonsumenten finden.
In Ländern, in denen Cannabis zu Genusszwecken erwachsener Bürger mittlerweile legalisiert worden ist, kann man versuchen herauszufinden, wie man die Legalisierung vernünftig angeht und aus gemachten Fehlern lernt. So bietet sich beispielsweise Kanada an, dort gemachte Erfahrungswerte zu analysieren und im Fall der Fälle für das Vorhaben im eigenen Land gewisse Vorkehrungen zu treffen, um ein noch besseres Ergebnis zu erzielen. Hier hat just Professor Michael J. Armstrong von der Brock Universität einen Artikel unter dem Titel „Cannabis in Kanada: Entlarvende Mythen über die tatsächlichen Auswirkungen der Legalisierung“ verfasst, der Auskunft über Veränderungen seit der Cannabisfreigabe zu geben versucht. Ohne mahnenden Zeigefinger und mit den Gegebenheiten im Blick.
Freies Gras = Goldrausch oder Tragödien?
Armstrong weist darauf hin, dass noch vor dem Jahr 2018, als bevor Cannabis in Kanada legalisiert wurde, auch dort die Befürchtungen existierten, dass die Freigabe eine Tragödie für das Gesundheitswesen des Landes bedeuten könne. Andere wiederum sahen das große Potenzial und gingen von einem neuen „Goldrausch“ aus, den das große Geschäft mit Gras herbeiführen könnte. Seither hätten Forscher, wie er selbst, sich damit beschäftigt, die tatsächlichen Auswirkungen der Cannabislegalisierung zu untersuchen und mussten dabei oft feststellen, dass es gewisse Entwicklungen schon lange vor der Legalisierung gegeben hat, die sich danach aber weiterzogen. Auch gab es Dinge, die erwartet worden sind, welche aber bislang nicht eintrafen.
Alle Erkenntnisse könnten dazu genutzt werden, anderen Ländern zu helfen, die derzeit mit ähnlichen Unsicherheiten bezüglich ihrer eigenen Legalisierungspläne zu kämpfen haben. Politiker auf der ganzen Welt haben schließlich stets unterschiedliche Aussagen über die Auswirkungen der Legalisierung auf ihre Länder gemacht, die sich oft nicht wirklich nachvollziehen ließen. Laut Armstrong hätte beispielsweise in den Vereinigten Staaten der Gouverneur von Nebraska, Pete Ricketts, erklärt, Cannabis sei eine „gefährliche Droge“, die Kinder töten könne.
Und auch der bayrische Politiker Markus Söder habe bereits ähnliche Bedenken geäußert. Andernorts, wie in Kenia, schlug der dortige Präsidentschaftskandidat George Wajackoyah die Legalisierung und Kommerzialisierung von Cannabis als Mittel zum Abbau der kenianischen Staatsschulden vor. Die Meinungen gehen also immer noch weit auseinander. In Anbetracht dieser Debatten könnten daher die kanadischen Erfahrungen mit der Legalisierung von Cannabis den Ländern, die sich auf demselben Terrain bewegen, wertvolle Erkenntnisse liefern, meint Professor Armstrong.
Anstieg aufseiten der Nutzer
Viele Personen waren im Vorfeld besorgt, dass die Legalisierung von Cannabis einen enormen Anstieg des Konsums auslösen und zu „Horden bekiffter Teenager“ führen würde. Die Gegner der Legalisierung argumentierten diesbezüglich, dass jeder Anstieg des Konsums ein Beweis darstellen würde, dass die Legalisierung gescheitert sei. Wie auf TheConversation.com aber berichtet wird, hatte der Prozentsatz der Erwachsenen, die Cannabis konsumieren, jedoch schon vor 2018 stetig zugenommen. Es überrasche daher auch nicht, dass er nach der Legalisierung weiter anstieg. Erhebungen der kanadischen Regierung beziffern die Konsumquote auf neun Prozent im Jahr 2011, 15 Prozent im Jahr 2017 und 20 Prozent im Jahr 2019.
Nach der Legalisierung habe zwar es einen Schub, der über den anhaltenden Trend hinausging, gegeben, doch ein Teil davon könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass die Menschen jetzt insgesamt offener mit dem Cannabiskonsum umgingen. Zudem habe sich der Cannabiskonsum von Teenagern nach der Freigabe im Jahr 2018 kaum verändert. Dies würde darauf hindeuten, dass Teenager, die Cannabis konsumieren wollten, es bereits damals sehr leicht von illegal agierenden Dealern kaufen konnten. Also insgesamt keine wirklich nutzbaren Argumente, die gegen eine kontrollierte Freigabe sprechen.
Gesundheitliche Aspekte
Auch die gesundheitlichen Auswirkungen waren früh ein bedeutendes Thema, als Kanada über die Legalisierung von Cannabis debattierte, berichtet Armstrong in seinem Artikel. Kanadas früherer Premierminister, Stephen Harper, behauptete damals, Cannabis sei „unendlich viel schlimmer“ als Tabak. Sein Nachfolger, Justin Trudeau, sagte stattdessen, die Legalisierung würde die Gesundheit „schützen“, was auch in Deutschland mittlerweile vom Gesundheitsminister hierzulande immer wieder gerne in Gesprächen angebracht wird. Die Wirklichkeit zeige, dass die cannabisbedingten Krankenhausaufenthalte von Erwachsenen bereits vor 2018 zunahmen und danach weiter anstiegen.
Im Vergleich zu Anfang 2011 war die Rate in Ontario im Jahr 2018 etwa dreimal und im Jahr 2021 etwas fünfmal so hoch. Das Wachstum nach 2018 sei laut dem Professor aber wiederum teilweise auf die Legalisierung zurückzuführen und teilweise ein anhaltender Trend – möglicherweise auch wieder aufgrund der verringerten Angst vor Strafverfolgung. Einige gesundheitliche Auswirkungen wären laut Armstrong jedoch schwerwiegender. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte von Kindern aufgrund von versehentlichem Cannabiskonsum wäre erheblich gestiegen. Bei Kindern unter 10 Jahren verneunfachte sich die Zahl der Besuche in der Notaufnahme und die Zahl der Krankenhausaufenthalte versechsfachte sich. Hier sollte also bei einer Legalisierung besonders darauf geachtet werden, um derartigen Probleme schon im Vorfeld entsprechend entgegenzuwirken. Edibles sollten daher wohl besser wirklich nicht aussehen wie Süßigkeiten für Kinder.
Die Fahrsicherheit im Blick
Auch die Strafverfolgungsbehörden in Kanada waren besorgt, dass die Legalisierung von Cannabis zu mehr Beeinträchtigungen am Steuer führen könnten. Die Polizei beklagte früh, dass sie nicht über die notwendige Ausrüstung zur Feststellung von Beeinträchtigungen durch Cannabis verfüge. Doch selbst jetzt lässt sich das nicht eindeutig sagen. Die Forschung darüber, ob die Legalisierung tatsächlich zu mehr Cannabis am Steuer geführt hat, sei leider bisher nicht schlüssig. Bedauerlicherweise würde in den Regierungsberichten oft nicht angegeben, welche Substanzen die Beeinträchtigungen der Fahrer verursacht hätten, weshalb hier keine klaren Aussagen zu machen sind.
Man wisse aber, dass die Zahl der Verhaftungen wegen Fahrens unter Drogeneinfluss – egal mit welcher Substanz, mit Ausnahme von Alkohol – vor und nach 2018 zugenommen haben. Im Vergleich zu 2011 hätten sich die Festnahmen wegen Fahrens unter Drogeneinfluss bis 2017 ungefähr verdoppelt und bis 2020 rund vervierfacht. Auch die Anzahl von Verletzungen bei Verkehrsunfällen, bei denen Cannabis im Spiel gewesen sein soll, wäre kontinuierlich angestiegen. Im Vergleich zu 2011 waren die Verletzungsraten in Ontario im Jahr 2017 etwa doppelt so hoch und im Jahr 2020 knapp dreimal so hoch. Doch die Forschung darüber, ob die Legalisierung tatsächlich zu einer Zunahme von Cannabis am Steuer geführt hat oder nicht, wäre weiterhin leider nicht ganz schlüssig, so Armstrong. Im Mai 2023 berichteten schließlich kanadische Forscher nach Datenanalysen, dass weder die Legalisierung von Marihuana für Erwachsene noch die Zunahme des Einzelhandelsverkaufs von Cannabis mit einem Anstieg von Kraftfahrzeugunfällen in Toronto verbunden gewesen wären.
Steigende oder sinkende Verhaftungen
Auch Bedenken hinsichtlich der Kriminalität und sozialer Gerechtigkeit wurden vor der Legalisierung aufgeworfen. Die kanadische Regierung erwartete, dass die Legalisierung die Zeit, die die Polizei für die Durchsetzung von Cannabisbestimmungen aufwenden würde, reduzieren würde. Die Befürworter hofften dagegen auf weniger Verhaftungen von Randgruppen. Doch der Rückgang der Verhaftungen, der durch die Legalisierung ausgelöst wurde, soll nicht sehr groß ausgefallen sein. Das könne aber auch schon daran liegen, dass Verhaftungen wegen illegalen Cannabisbesitzes in Kanada – sowohl unter konservativen als auch unter liberalen Regierungen – bereits lange vor der Legalisierung zurückgegangen waren.
Im Jahr 2018 hätte die Verhaftungsrate bereits um 71 Prozent unter dem Niveau von 2011 gelegen, sodass ein weiterer Rückgang nicht wirklich erwartete werden konnte. 2019 gingen sie zwar erneut zurück, erreichten dann aber die Talsohle und ließ fortan wenig Spielraum für einen weiteren Rückgang. Doch wichtig scheint, dass die Festnahmen wegen illegaler Cannabisdelikte wie Anbau und Handel zwischen 2011 und 2018 um 67 Prozent zurückgegangen sein sollen und sich dieser Trend nach 2018 weitgehend fortsetzte.
Ein florierender Markt
Unternehmen aus der Branche hatten große Hoffnungen, dass die Legalisierung zu einem wirtschaftlichen Goldrausch führen würde. Selbst Investoren aus dem Ausland halfen bei der Finanzierung kanadischer Cannabisunternehmen. Und in den Regierungen gab es früh Debatten über die richtige Verteilung der neuen Steuereinnahmen, berichtet Armstrong. Nach der Legalisierung hätte das Cannabisgeschäft auch in gewisser Weise geboomt, obwohl es in den meisten Provinzen anfangs nicht genügend Geschäfte gab.
Mittlerweile soll es jetzt jedoch mehr als 3.600 Shops in ganz Kanada geben. Deren Umsätze sind von 42 Millionen Dollar im Oktober 2018 auf 446 Millionen Dollar im Juli 2023 angestiegen und machen jetzt einen halb so großen Umsatz wie die gesamten Bierverkäufe in Kanada aus. Doch in einigen Regionen gäbe es inzwischen zu viele Cannabisgeschäfte, weshalb viele Unternehmen Mühe hätten, sich über Wasser zu halten. Infolgedessen hätten einige Unternehmen und ihre Aktionäre schon Milliarden von Dollar verloren. Nur die staatseigenen Cannabisagenturen scheinen durchweg profitabel zu sein, wird berichtet.
Lehren der Legalisierung
Laut Professor Armstrong habe die Legalisierung zwar einige Veränderungen bewirkt, aber sie wäre auch eine Reaktion der Regierung auf Veränderungen gewesen, die bereits im Gange waren. Es würde drei mögliche Lehren geben, die aus der Entwicklung gezogen werden könnten. Als Erstes müsste die Forschung zur Cannabislegalisierung alle bestehenden Trends berücksichtigen. Man könne sich hier nicht einfach auf simple Vorher-Nachher-Vergleiche verlassen. Die Regierungen könnten dabei helfen, indem sie mehr der von ihnen erhobenen Cannabisdaten veröffentlichen würden. Die zweite Lehre sei, dass sich die kanadischen Politiker weniger Gedanken darüber machen sollten, ob die Legalisierung bestimmte Cannabisprobleme verursacht hätte.
Stattdessen sollten sie sich darauf konzentrieren, diese zu beheben, falls sie existieren. Die dritte Lektion richtet sich nach Meinung des Professors an andere Länder, die eine Legalisierung in Erwägung ziehen, wie Deutschland, Dänemark und die USA. Für diese Länder sei die kanadische Erfahrung als wertvolle Fallstudie zu betrachten. Die politischen Entscheidungsträger sollten deshalb ihre eigenen Trends überprüfen, bevor sie die Legalisierung in Angriff nehmen, da die Ergebnisse danach möglicherweise nicht ganz so deutlich ausfielen, wie von ihnen erwartet werden könnte.
Ein Vorbild zu haben, dass ein wenig weiter ist als man selbst, dürfte aber in jedem Fall von Vorteil sein. Professor Micheal J. Armstrong wurde daher wohl auch vom Prüfgremium für die Legalisierung von Cannabis des Bundesgesundheitsministeriums Deutschlands nach seiner professionellen Meinung zur Cannabisfreigabe im Allgemeinen befragt.