„Die Polizei findet sieben Leichen auf dem Gelände einer illegalen Marihuana-Farm in der südkalifornischen Kleinstadt Aguanga“ – „Die Polizei von Fresno zerstört bei einer Razzia 30.000 illegal angebaute Marihuanapflanzen“ – „Beamte vollstrecken Durchsuchungsbefehl und zerstören 52.000 nicht lizenzierte Cannabispflanzen, beschlagnahmen sieben Feuerwaffen und stellen mehr als 27.000 Dollar Bargeld sicherׅ“
Solche und ähnliche Schlagzeilen in der Presse Kaliforniens – hier nur eine kleine Auswahl aus den Monaten August und September 2020 – sind keine Seltenheit. Sie werfen ein Schlaglicht auf ein Phänomen, das man eigentlich hoffte, mit der Legalisierung von Cannabis in den Griff zu bekommen: Den illegalen Anbau von Marihuana.
In der Tat war es eines der Hauptziele im Zusammenhang mit der Legalisierung den Schwarzmarkt auszutrocknen. Inzwischen weiß man allerdings, dass diese Erwartung unrealistisch war. Nicht nur, dass der Schwarzmarkt die Legalisierung überlebt hat, in manchen US-Bundesstaaten ist er sogar gewachsen. In keinem anderen Bundesstaat aber ist der illegale Anbau von Marihuana ein größeres Problem als in Kalifornien, wo geschätzte 80 % des verkauften Cannabis aus nicht legalen Quellen stammen.
Ein paar Zahlen können helfen, das Phänomen zu verdeutlichen. Im Jahr 2019 wurden in Kalifornien fast 1 Million illegal angebaute Hanfpflanzen beschlagnahmt. Dabei wurden 148 Menschen festgenommen und 168 Waffen sichergestellt. Der Wert des beschlagnahmten Cannabis lag laut Behördenangaben bei über 1,5 Milliarden Dollar, was ungefähr dem gesamten Jahresumsatz des legalen Cannabis-Marktes entspricht.
Warum aber ist es auch nach der Legalisierung so attraktiv, Cannabis illegal anzubauen?
Gründe für den illegalen Anbau
Der Hauptgrund dafür, dass der Schwarzmarkt die Legalisierung überlebt hat, ist wohl der hohe finanzielle Aufwand, der für eine legale Kultivierung notwendig ist. Alleine die Antragsgebühren für eine Lizenz für kommerziellen Anbau schlagen, je nach Größe und Art der Anpflanzung, unter Umständen mit bis zu mehreren Hunderttausend Dollar zu Buche. Dazu kommt eine jährliche Gebühr für die Erneuerung dieser Lizenz.
Um überhaupt eine Lizenz beantragen zu können, muss man einen bis ins Detail ausgearbeiteten Businessplan vorlegen, inklusive Berücksichtigung sämtlicher Umweltauflagen. Die Kosten für die nötige professionelle Beratung für einen solchen Antrag gehen schnell in die Zehntausende von Dollar. Doch nicht nur der finanzielle Aufwand ist hoch. So muss zum Beispiel jede Pflanze, sobald sie eine Wuchshöhe von 20 cm erreicht, mit einem eigenen Barcode versehen werden.
Ein weiterer Grund liegt darin, dass sich im Laufe der Jahrzehnte rund um den illegalen Anbau eine ausgeprägte Subkultur entwickelt hat. Der außergesetzliche Anbau blüht, soweit es Kalifornien betrifft, insbesondere im sogenannten Emerald Triangle, einem Gebiet im Norden des Bundesstaates, das seinen Namen aufgrund der Menge an Cannabis trägt, die hier produziert wird. Das Dreieck umfasst die Counties Humboldt, Mendocino und Trinity.
Seit 1968, dem viel besungenen Summer of Love, wird hier Marihuana angebaut. Marihuana anzubauen, hat sich in dieser Region über die Jahrzehnte zum Way of Life entwickelt. Nicht zufällig heißt es vom Emerald Triangle, dass hier so gut wie jeder direkt oder indirekt mit der Kultivierung von Cannabis zu tun hat. Kalifornien ist bis heute der größte Versorger mit illegal angebautem Marihuana für den gesamten Rest der USA. Eine neue Untersuchung der Forschungsgruppe New Frontier Data kam kürzlich zu dem Ergebnis, dass in Kalifornien satte 58 % des in den gesamten USA angebauten Marihuanas produziert werden.
Dazu kommt die relativ geringe Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Sobald Marihuana in einem Bundesstaat legalisiert wird, entstehen zahlreiche legale Cannabis-Farmen. Je mehr legale Farmen es gibt, desto geringer ist die Gefahr für illegale Anpflanzungen, entdeckt zu werden. Je geringer die Wahrscheinlichkeit, entdeckt und bestraft zu werden, desto geringer ist natürlich auch die Bereitschaft illegaler Anbauer, ihr Geschäft in legale Bahnen zu überführen.
Auch die Organisierte Kriminalität trägt ihren Teil dazu bei, dass die illegale Cannabis-Kultivierung in Kalifornien nicht ab-, sondern zunimmt. So haben die mexikanischen Kartelle, die über lange Jahrzehnte viel Geld mit dem Schmuggel von Marihuana in die USA verdient haben, ihre Cannabis-Plantagen inzwischen zu einem großen Teil in die USA selbst verlegt. Erstens wurde der Schmuggel über die Südgrenze der USA immer aufwendiger zu organisieren und damit immer teurer, und zweitens litt die Qualität des geschmuggelten Marihuanas unter den Begleiterscheinungen des illegalen Transports. Wer eine Ware, egal welcher Art, illegal über eine Grenze bringen will, ist natürlich interessiert daran, in dem zur Verfügung stehenden Raum eine möglichst große Menge dieser Ware unterzubringen. Um möglichst viel Marihuana über die Grenze bringen zu können, wurde es vor dem Verladen stark gepresst. Dadurch sank die Qualität, aus Mexiko importiertes Marihuana war in den USA nicht mehr konkurrenzfähig.
Diesem Problem suchten die Kartelle dadurch zu begegnen, dass sie den Anbau in die USA selbst verlegten, vorzugsweise in abgelegene Gegenden wie Nationalparks oder National Forests. Gelingt es den kalifornischen Sicherheitsbehörden, eine illegal betriebene Farm hochzunehmen, stellt sich oft heraus, dass die Verhafteten Landarbeiter und Tagelöhner aus Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern sind, die von den Kartellen mit relativ guten Verdienstmöglichkeiten angelockt werden, gleichzeitig aber wenig Ahnung haben von den verschiedenen Gesetzen und Regelungen, die sie mit ihrem Tun übertreten.
Ökologisches Desaster durch illegalen Anbau
Oft haben die illegalen Anpflanzungen desaströse Auswirkungen auf die Umwelt. So finden die Behörden, wenn sie eine illegale Plantage ausheben, oft nicht nur Berge von Müll, sondern auch stark umweltschädliche Chemikalien, die zudem oft völlig unsachgemäß gelagert werden. Außerdem verändern die illegalen Farmer oft den natürlichen Lauf von Bächen, um ihre Felder zu bewässern.
Auch die Fauna leidet schwer. Durch den Einsatz hochgiftiger Pestizide und anderer Chemikalien werden Fischotter, Bären, Füchse, Luchse, Berglöwen, Eulen und zahlreiche andere Arten gefährdet, und das nicht nur als Kollateralschaden. Immer wieder wurde in den letzten Jahren auch beobachtet, dass Wildtiere gezielt vergiftet werden. So fand man bereits mit Pestiziden behandelte, an Haken aufgehängte Köder in der Umgebung illegaler Cannabis-Farmen, genauso wie tote Geier, die offensichtlich nach dem Fressen von vergiftetem Aas verendet waren.
Wie giftig diese Chemikalien sein können, zeigt das Beispiel Carbofuran. Von diesem immer wieder auf illegalen Pflanzungen sichergestellten Insektizid reicht ein Viertel eines Teelöffels, um ein 300 Kilo schweres Wildtier zu töten. Um die illegalen Plantagen vor tierischen Schädlingen zu schützen, wird oft auch Rattengift eingesetzt, das die Tiere, die es fressen, und das sind keineswegs nur Ratten, innerlich verbluten lässt.
Konsum illegal angebauten Marihuanas
Lebt man in einem Land, in dem Cannabis noch immer illegal ist, und sieht Bilder von den Dispensaries, den offiziellen Verkaufsstellen in den USA, mit all den verschiedenen Sorten Marihuana, die zu Preisen gehandelt werden, die vergleichbar sind mit dem, was man im eigenen Land für auf der Straße gekauftes Gras bezahlen muss, über das man nichts weiß, das in keiner Weise kontrolliert wird, weder was Anbaumethoden noch was Reinheit oder Qualität betrifft, kann man sich zunächst kaum vorstellen, warum illegales und damit in keiner Weise kontrolliertes Marihuana immer noch so viele Abnehmer findet.
Der größte Anreiz für Konsumenten, auf illegal angebautes Weed zurückzugreifen, ist sicherlich der niedrigere Preis. Legales Marihuana kostet etwa 40 bis 50 % mehr als illegal angebautes, weil der Käufer letztlich sowohl die Steuerlast als auch die Kosten für die Lizenzen trägt. Zudem legen viele Konsumenten ihre alten Gewohnheiten nicht ab, nur weil Marihuana legalisiert wird. Viele beziehen ihr Gras auch weiterhin von denselben Verkäufern wie vor der Legalisierung.
Viele Hanffreunde kaufen zudem auch weiter lieber illegal ein, weil es ihr Job nicht zulässt, sich in einer offiziellen Dispensary zu versorgen. So sind etwa Krankenschwestern oder LKW-Fahrer von Entlassung bedroht, wenn ihr Arbeitgeber mitbekommt, dass sie Marihuana konsumieren.
Was kann der Staat gegen den Schwarzmarkt tun?
Die beste Methode gegen illegale Anpflanzungen ist laut einer aktuellen Studie eine fortschreitende Legalisierung. So kamen die Forscher dem Branchenblatt „Marihuana Moment“ zu folge zu dem Ergebnis, dass in Bundesstaaten mit Legalisierung bedeutend weniger illegale Cannabis-Anpflanzungen bestehen als in solchen, in denen der Konsum nach wie vor verboten ist. Die Forscher empfehlen entsprechend, den legalen Anbau auszuweiten, um das Problem der illegalen Pflanzungen vielleicht irgendwann einmal in den Griff zu bekommen.
Nun sind aber Konsum und Anbau von Cannabis in Kalifornien bereits legal. Die Erkenntnisse der angesprochenen Studie lassen sich hier also kaum übertragen, zumindest nicht auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen wird allerdings klar, dass die Anpflanzung von für den Export in andere Bundesstaaten bestimmtem Cannabis in Kalifornien mit Sicherheit abnehmen würde, wenn die Legalisierung USA-weit Realität wäre.
Ein weiteres Problem liegt in der Höhe der Besteuerung. Eines der Hauptargumente für die Legalisierung war ja von Anfang an, dass sich der Staat so zusätzliche Einnahmen verschaffen kann. Gleichzeitig gilt natürlich: Je höher die Steuern und Abgaben, desto größer ist auch die Verlockung für den Konsumenten, illegales und damit wesentlich billigeres Marihuana zu kaufen.
Wendepunkt Corona-Epidemie?
Umstritten ist, wie sich die Corona-Krise auf den Marihuana-Markt auswirkt und längerfristig auswirken wird. So sind auf der einen Seite im Zuge der Pandemie die Verkäufe in Dispensaries gestiegen, und das vor allem aus zwei Gründen. Kontaktbeschränkungen machen es schwieriger, von illegalen Händlern zu kaufen, egal ob im privaten oder öffentlichen Raum. Zudem haben sich die Dispensaries schnell auf die Situation eingestellt, Lieferdienste aufgebaut und die Möglichkeit geschaffen, telefonisch oder online vorzubestellen und dann die vorbestelle Ware im Drive-In-Modus abzuholen. Insgesamt rechnen Beobachter mit einer Umsatzsteigerung im legalen Marihuana-Handel um 25 % gegenüber dem Vorjahr.
Doch es gibt durchaus auch gegenläufige Tendenzen. So wird gleichzeitig mehr illegales Marihuana konsumiert, vor allem weil der niedrigere Preis eine größere Rolle spielt, wenn sich die wirtschaftliche Situation verschlechtert und ein Teil der Konsumenten arbeitslos wird. Eine Rolle spielt wohl auch, dass aufgrund fehlender staatlicher Finanzen die Bekämpfung des illegalen Anbaus zurückgefahren wird.
Ausblick
Corona hin oder her, die Zukunft wird zeigen, ob es gelingt, den Marihuana-Schwarzmarkt in Kalifornien in den Griff zu bekommen.
Eine Ausweitung des legalen Marktes, also Legalisierung auch in Bundesstaaten wie Arizona oder Texas oder gar USA-weit, wäre die Grundlage dafür, dass diese Staaten als Markt für illegal angebautes Gras aus Kalifornien zumindest teilweise wegfallen. Erhöhter Druck auf illegale Anbauer wäre eine weitere Maßnahme, die allerdings auch zusätzliche finanzielle Mittel erfordern würde.
Staatliche Programme und Aufklärungskampagnen könnten die Bereitschaft der Konsumenten erhöhen, legal angebautes Marihuana zu kaufen, auch wenn es teurer ist. Gründe für den Konsum legalen Marihuanas gibt es genug: Größere Auswahl, sachkundige Beratung, kontrollierte Qualität, Anbau unter Berücksichtigung des Umweltschutzes, aber auch das Bewusstsein, dass man mit seinem Geld lieber staatliche Sozial- und Gesundheitsprogramme unterstützt als die Organisierte Kriminalität.
Doch steht all diesen Gründen ein gewichtiges Motiv gegenüber, und das ist der deutlich niedrigere Preis für illegal angebautes Marihuana. Insgesamt rechnen Branchenkenner daher nicht damit, dass der kalifornische Schwarzmarkt in absehbarer Zeit verschwinden oder auch nur wesentlich kleiner werden wird.