Nach der Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken 2014 und ersten Ansätzen zur Entkriminalisierung seit 2016 wurde Cannabis in Illinois zum 1. Januar 2020 auch als Genussmittel legalisiert. Damit war Illinois mit seiner Metropole Chicago der elfte Bundesstaat der USA, in dem Anbau, Transport, Weiterverarbeitung und Verkauf von Marihuana über die medizinische Verwendung hinaus staatlich geregelt wurden.
Legalisierung von oben
Der Illinois Cannabis Regulation and Tax Act 1 unterscheidet sich wenig von den entsprechenden Gesetzen in anderen Bundesstaaten. Erwachsene ab 21 Jahren, die in Illinois leben, dürfen bis zu 30 Gramm Marihuana oder eine von der Wirkstoffmenge vergleichbare Quantität an Hanfkonzentraten oder mit Hanf versetzten Lebensmitteln erwerben und besitzen, aber nicht in der Öffentlichkeit konsumieren. Für Besucher von außerhalb gelten die halben Mengen. Im Unterschied zu anderen Bundesstaaten ist in Illinois allerdings der Eigenanbau zu Genusszwecken nicht erlaubt.
Gleichzeitig gibt es aber auch große Unterschiede zu anderen US-Bundesstaaten, in denen der Cannabis-Konsum erlaubt wurde. So wurde der Legalisierungsprozess in Illinois nicht per Volksabstimmung angestoßen, sondern von der Regierung unter Gouverneur J. B. Pritzker in die Wege geleitet. Neu war in Illinois auch die Verbindung mit dem Bemühen um mehr soziale Gerechtigkeit.
Illinois und der War on Drugs
Insbesondere Chicago, die drittgrößte Stadt der USA, und hier in ganz besonderem Maß Schwarze und Latinos, hatte seit den 70er-Jahren schwer unter dem War on Drugs zu leiden, weitaus schwerer als ihre weißen Mitbürger. Viele Stadtviertel, in denen primär verarmte Hispanics und Afroamerikaner lebten, waren gezeichnet von diesem „Kampf gegen die Drogen“, der von Anfang an vor allem als Feldzug der Regierung gegen „Drogen“-Konsumenten, und hier in erster Linie gegen Schwarze und Hispanics, geführt wurde.
Bis zu 80 % der wegen Drogenvergehen in US-Bundesgefängnissen Einsitzenden waren Schwarze oder Latinos, bis zu 60 % waren es in den Gefängnissen der Bundesstaaten. Angehörige dieser Minderheiten wurden öfter kontrolliert und zu härteren Strafen verurteilt. Wie John Ehrlichman, ein ehemaliger Top-Berater von Präsident Nixon, der diesen Krieg gegen große Teile der eigenen Bevölkerung Anfang der 70er-Jahre vom Zaun gebrochen hatte, erst kürzlich öffentlich eingestand, war das auch keineswegs Zufall. Der War on Drugs war von Anfang an in erster Linie als politisches Mittel gedacht, um mutmaßliche Gegner der Nixon-Regierung, also vor allem Linke und Angehörige von Minderheiten, zu kriminalisieren.
Die tiefen Wunden, die dieser offen rassistische Feldzug der Gesellschaft über die Jahrzehnte geschlagen hatte, wenigstens teilweise zu heilen, war eines der wesentlichen Ziele von Gouverneur Pritzkers Legalisierungs-Initiative.
Social equity
„Social equity“, soziale Gerechtigkeit, war die Parole, mit der Pritzker für sein Vorhaben warb. Das Instrument, mit dem er dieses Ziel erreichen wollte, war neben dem Ende der Kriminalisierung von Hanf-Konsumenten vor allem die wirtschaftliche Entwicklung der vom War on Drugs am stärksten betroffenen Wohngegenden. Ermöglichen sollten dies eine erleichterte Teilhabe am Cannabisgeschäft sowie zusätzliche Investitionen des Staates in den betroffenen Stadtteilen, finanziert mit Steuereinnahmen und Lizenzgebühren aus dem Cannabisgeschäft.
Ergänzen sollte diese Maßnahmen eine großangelegte Amnestie für Gefängnisinsassen, die wegen geringfügiger Vergehen im Zusammenhang mit Hanf verurteilt worden waren, darunter – fast überflüssig zu erwähnen – überproportional viele Schwarze und Latinos. Gleich zu Jahresbeginn 2020 sprach Gouverneur Pritzker dann auch mehr als 11.000 solche Begnadigungen aus. Bis 2025 hat sich die Regierung von Illinois das Ziel gesetzt, 77.000 Cannabis-Häftlinge zu amnestieren.
Problem Lizenzvergabe
Um das Cannabisgeschäft auch für sozial benachteiligte Gruppen der Bevölkerung zu öffnen, wurden verschiedene Regelungen zur Lizenzvergabe eingeführt. So sollen Bewerber, die aus einem vom War on Drugs überdurchschnittlich betroffenen Stadtviertel kommen, bei der Vergabe bevorzugt werden. Dasselbe gilt für Menschen, die selbst bereits wegen kleinerer Verstöße im Zusammenhang mit Marihuana mit dem Gesetz in Konflikt gerieten oder mit einem davon Betroffenen verwandt sind. Auch der Nachweis, Angestellte zu beschäftigen, auf die mindestens eines dieser Kriterien zutrifft, erhöht die Chance, bei der nächsten Runde der Lizenzvergabe zum Zug zu kommen.
Wer am Verfahren zur Lizenzvergabe teilnehmen will, muss indes erst einmal reichlich Geld auf den Tisch legen. Zur offiziellen Lizenzgebühr in Höhe von 5.000 US-Dollar kommen noch die Kosten für externe Berater, ohne die das in Illinois besonders komplizierte Bewerbungsverfahren kaum erfolgreich zu bewältigen ist, in der Regel noch einmal Zehntausende von US-Dollar. Da Antragsteller aus unterprivilegierten Verhältnissen oft schon an diesen finanziellen Hürden scheitern, richtete der Staat Illinois den Cannabis Business Development Fund ein, einen 12 Millionen US-Dollar schweren Fonds, der sozial benachteiligte Bewerber mit Zuschüssen und Krediten unterstützt. Gespeist wird dieser Fonds aus den staatlichen Einnahmen aus dem Cannabisgeschäft.
Wie schwierig es ist, die wirtschaftliche Teilhabe sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen oder Communities am Cannabisgeschäft tatsächlich zu gewährleisten, wurde allerdings schon bei der ersten Runde der Lizenzvergabe deutlich, die im November 2019 per offizieller Verlosung erfolgte. Um einen möglichst reibungslosen Einstieg in das neue Geschäftsfeld „Recreational Cannabis“ zu gewährleisten, durften sich nur solche Unternehmen um eine Verkaufserlaubnis bewerben, die schon Dispensaries für medizinisches Cannabis betrieben. Da diese Medicinal Dispensaries fast ausschließlich im Besitz europäisch-stämmiger Geschäftsleute sind, gingen Schwarze und Hispanics bei der Verlosung dann auch nahezu leer aus.
Zudem beklagen Kritiker, dass sich größere Unternehmen, die sich mit dem Verkauf von medizinischem Cannabis in Illinois oder im Cannabisgeschäft in anderen Bundesstaaten bereits etabliert haben, unter dem Mäntelchen, Menschen aus sozial benachteiligten Vierteln zu beschäftigen, den neu entstehenden Markt unter den Nagel reißen könnten. Im Gegensatz zu potenziellen Bewerbern aus ärmeren Bevölkerungsgruppen ist es für solche relativ finanzkräftigen Unternehmen um vieles leichter, die für eine qualifizierte Beratung bei der Bewerbung, um eine Lizenz nötigen Mittel aufzubringen.
Ausblick
Selbstverständlich sind soziale Probleme wie die strukturelle Benachteiligung von Afroamerikanern und Latinos in den USA nicht von heute auf morgen zu lösen. Wie die Probleme bei der ersten Runde der Lizenzvergabe deutlich machten, können auch noch so gut gemeinte Initiativen leicht verpuffen, wenn der Unterschied an finanziellen Ressourcen zwischen einzelnen Teilen der Bevölkerung erst einmal so groß geworden ist, dass die sozial benachteiligten Communities gar nicht mehr konkurrenzfähig sind. Wie wichtig es dennoch ist, immer wieder neue Anläufe zu unternehmen, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, zeigen auch die jüngsten Ereignisse in den USA. So richtet sich die „Black Lives Matter“-Bewegung nicht nur gegen exzessive Polizeigewalt gegenüber Schwarzen, sondern ist darüber hinaus eng verbunden mit der Forderung nach mehr sozialer Gerechtigkeit im Allgemeinen.
Es bleibt zu hoffen, dass die Verbindung von Cannabis-Legalisierung und der Förderung sozialer Gerechtigkeit Schule macht, Beispiel wird für andere Bundesstaaten der USA und vielleicht sogar eines Tages über den Großen Teich schwappt, sollte in der europäischen Politik tatsächlich einmal so etwas wie Vernunft einkehren im Hinblick auf Hanf. Zumindest was Colorado und Nevada betrifft, scheint diese Hoffnung nicht unberechtigt zu sein, bereiten doch beide Bundesstaaten zurzeit ein Amnestie-Programm für Cannabis-Häftlinge fast identisch dem in Illinois vor. Auch im Kontext der Förderung sozialer Gleichberechtigung im Cannabis Business kündigte die Regierung von Colorado in der letzten Woche an, ein ähnliches Programm wie in Illinois aufzulegen.
Nachdem Corona bedingt die für Mai geplante nächste Runde der Lizenzvergabe bis mindestens August verschoben wurde, bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Illinois weiter entwickelt und insbesondere, inwieweit Angehörige sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen bei der Vergabe weiterer Lizenzen für Anbau, Transport, Weiterverarbeitung und Verkauf von Cannabis zum Zuge kommen werden.