Frankreich zählt in der Europäischen Union zum zweitgrößten Cannabiskonsumenten, obwohl die Strafen für den Genuss und Handel mit dem natürlichen Genussmittel beachtlich ausfallen können. Laut einer Untersuchung der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht haben in Frankreich knapp 45 Prozent aller 15- bis 64-jährigen Personen bereits einmal in ihrem Leben Cannabis ausprobiert.
Doch eine Legalisierung von Cannabis scheint noch in weiter Ferne, auch wenn die Entwicklungen in Deutschland mit Spannung beobachtet werden. Auch wurde erst vor knapp einem Jahr ein neuer Antrag seitens grüner Politiker eingebracht, der die Debatte der Cannabisfreigabe zwecks Finanzierung der Sozialversicherung neu anregte. Ebenfalls sprach sich der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltrat im Januar 2023 für die Entkriminalisierung von Cannabis für den Freizeitgebrauch für Erwachsene aus.
Die medizinische Versorgung von Patienten mit dem pflanzlichen Heilmittel wird in Frankreich ebenfalls etwas ernster genommen als der Genusskonsum. Seit 2020 prüft die französische Gesundheitsbehörde daher mittels einer auf zwei Jahre ausgelegten Cannabis-Studie, wie die medizinische Verwendung von Cannabis ermöglicht werden könne. Unter anderem bei Epilepsie, Multipler Sklerose und in der Palliativmedizin sollte Cannabis die Einsatzfähigkeit erhalten, doch da die Verschreibungsrate in bestimmten Regionen bislang sehr gering ausfiel, verlängerte man das Programm um ein Jahr bis Anfang 2024. Nun hat sich Aurélien Rousseau, der französische Gesundheitsminister, dahin gehend geäußert, den Zugang zu medizinischem Cannabis für Patienten im ganzen Land gewähren zu wollen.
Nicht mehr in diesem Jahr
Obwohl es einen wachsenden Druck von verschiedenen Gruppen wie gewählten Vertretern, parteiübergreifenden Parlamentariern, Ärzten und Wissenschaftlern bezüglich der Versorgung von medizinischem Cannabis gegeben hat, blieb der französische Gesundheitsminister standhaft. Aurélien Rousseau weigerte sich, sich zu verpflichten, den Zugang zur Naturmedizin noch in diesem Jahr landesweit zu ermöglichen. Rousseau hat jedoch in diesem Zusammenhang bestätigt, dass die eingeschlagene Richtung, den Zugang zu medizinischem Cannabis für Patienten zu ermöglichen, in Frankreich in jedem Falle fortgesetzt werden wird.
Laut cannabissciencetech.com macht er für die Verzögerung das „mangelnde Engagement“ für ein voll etabliertes medizinisches Cannabisprogramm verantwortlich. Dieses wäre seiner Meinung nach zu gewissen Teilen auf die mangelhafte „europäische Marktzulassung“ zurückzuführen. Doch der französische Gesundheitsminister hofft, dass diese benötigten Regelungen bis zum Jahr 2025 fertiggestellt sein könnten. Da es bis dahin noch ein langer Weg ist, hat er bestätigt, dass das das medizinische Cannabis-Experiment des Landes fortgesetzt werden wird, was für die aktuell 2.540 Patienten einen gewissen Trost darstellen sollte.
Enttäuschung aufseiten der grünen Industrie
In der Europäischen Union haben mittlerweile 17 Mitglieder medizinisches Cannabis legalisiert, was Branchenvertreter, Investoren und Befürworter von medizinischem Cannabis auch nicht zu erwähnen scheuen. Darunter fallen Länder wie das Vereinigte Königreich, Deutschland und die Schweiz. Aurélien Rousseau wurde während einer Sitzung des Sozialausschusses der Nationalversammlung am 11. Oktober 2023 zu diesem Thema befragt, während Wochen vor diesem Treffen das Gesetz zur Finanzierung der sozialen Sicherheit (PLFSS) von der Regierung veröffentlicht worden ist. Dieser Gesetzestext bestimmt die Zuweisungen von Mitteln für das kommende Jahr und viele Personen, die in der Cannabisbranche tätig sind, waren schwer enttäuscht, dass das medizinische Cannabis-Experiment im PLFSS-Gesetzentwurf nicht mit einem Wort erwähnt wurde.
Während die Branche gehofft hatte, dass die PLFSS ein Budget für das laufende Experiment mit medizinischem Cannabis bereitstellen und auf eine allgemeine Einführung hinweisen würde, fehlte in dem Dokument jeglicher Hinweis auf medizinisches Cannabis. Die Parlamentsabgeordneten werden daher nun wohl Teile des Gesetzes ausarbeiten und über Änderungen abstimmen, bevor es dann final und offiziell in Kraft treten wird. Der Gesundheitsminister äußerte sich auf spezifische Fragen dahin gehend, dass das Cannabis-Experiment zu einem klinischen Feedback geführt habe, das einen Nutzen für die Patienten aufzeigte.
Compassionate Access
In Bezug auf die europäische Zulassung erwähnte der Gesundheitsminister die Möglichkeit, dass diese bis 2025 nicht erteilt werden könnte. Rousseau schlug daher vor, dass die Regierung zum sogenannten „Compassionate Access“ übergehen sollte, einem speziellen System, das Patienten den Zugang zu bestimmten Medikamenten ermögliche, welche sich eigentlich noch in der Entwicklung befänden. Während des Treffens versicherte Rousseau, dass die Regierung die Aktion unterstützen und „einen Änderungsantrag vorlegen wird, damit natürlich alle Teilnehmer dieses Experiments weiterhin davon profitieren können“.
Man wolle einen angepassten Status anwenden, der es erlaube, das Experiment im eindeutigen Zeitverlauf zu betrachten. Obwohl die Lage um das medizinische Cannabis-Experiment in Frankreich offiziell noch ungeklärt ist, kann man aktuell also eigentlich davon ausgehen, dass es über den Stichtag im März 2024 hinaus fortgesetzt werden kann. Am 10. Oktober, einen Tag vor der Anhörung, veröffentlichte eine Gruppe von Befürwortern eine gemeinsame Erklärung in der lokalen Zeitschrift Liberation.
Zu diesen zählten auch gewählte Vertreter der Linken, der Mitte und der Rechten sowie der Suchtapotheker René Maarek und Dr. Nicolas Authier, die das Experiment in Zusammenarbeit mit der nationalen Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Gesundheitsprodukten (ANSM) durchführen. In dem Text weisen die Unterzeichner darauf hin, dass sich das Experiment an einem „entscheidenden Wendepunkt“ befände, da es in sein drittes Jahr gehe. Sie forderten in ihrem Schreiben die offizielle Einführung von medizinischem Cannabis in Frankreich ab dem nächsten Jahr und erklärten, dass es eine „echte ethische und klinische Notwendigkeit“ für Patienten darstellen würde, unproblematisch an das natürliche Arzneimittel gelangen zu können.
„Der Verzicht auf den allgemeinen Zugang zu medizinischem Cannabis im Jahr 2024 wäre ein Verrat an denjenigen, die insbesondere an Krebs, Epilepsie, Multipler Sklerose oder anderen chronischen Schmerzen leiden“, so die Unterzeichner der Erklärung.