In der Sendung Streitkultur des Deutschlandfunks vom 10.6.2017 wurde über die Frage diskutiert, ob Cannabis in Deutschland legalisiert werden sollte. Teilnehmer des Gesprächs waren der Soziologe Dr. Bernd Werse auf der Seite der Befürworter und der Psychiater Prof. Rainer Thomasius auf der Seite der Legalisierungsgegner.
Die Kontrahenten
Dr. Bernd Werse ist Mitarbeiter und Mitbegründer des Centre for Drug Research (CDR) an der Goethe-Universität Frankfurt. Seit 2001 wird dort sozialwissenschaftliche Drogenforschung betrieben und empirische Forschung mit akademischer Lehre verbunden. Dr. Bernd Werse setzt sich für eine streng regulierte Freigabe von Cannabis ein.
Prof. Rainer Thomasius ist Psychiater und am Hamburger Universitätsklinikum. Er ist einer der bekanntesten Legalisierungsgegnern in Deutschland und wird in den Medien häufig als kritische Stimme in der Legalisierungsdebatte herangezogen. Immer wieder lobt er die aktuelle deutsche Drogenpolitik und konservative Politiker, insbesondere die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler, sind meistens auf einer Linie mit ihm.
Die Debatte
Bereits in ihren Eröffnungsstatements wird deutlich, wie unterschiedlich die Standpunkte der beiden Wissenschaftler sind. Werse macht zunächst deutlich, dass er die Kriminalisierung von Drogenkonsumenten schon aus rechtsphilosophischen Gründen ablehnt. Das Strafrecht müsse „Delikten vorbehalten sein, bei denen es Geschädigte gibt, bei Drogen schädigt man sich aber höchstens selbst“. Die Tatsache, dass Konsumenten in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden, hält er für nicht effektiv und zu teuer. Er plädiert für eine streng regulierte Freigabe von Cannabis, denn nur so könne es Qualitätskontrollen geben und ein sinnvoller Jugendschutz würde dadurch erst ermöglicht. Cannabis sei in Deutschland weit verbreitet und „eine Regulierung wäre der deutlich bessere Weg, mit dieser gesellschaftlichen Realität umzugehen“.
Ganz anders argumentiert Thomasius. Er setzt sich gegen die Cannabislegalisierung ein, da „der Gebrauch von Cannabis, insbesondere bei jungen Menschen, im Falle einer Legalisierung zunehmen würde“. Außerdem wäre diese „mit der Gefahr einer Suchtentwicklung und ungünstigen Folgen auf körperliche, psychische und geistige Gesundheit“ verbunden. Thomasius lobt die aktuelle deutsche Drogenpolitik und deren Erfolge im europäischen Vergleich. Für Thomasius wäre die Legalisierung ein „höchst unsozialer Akt“ und würde „vor allem Kinder und Jugendliche aus ungünstigen sozialen Verhältnissen sowie mit geringen Bildungschancen hart treffen, da diese Gruppe besonders verführbar und suchtgefährdet ist“.
Die offensichtliche Uneinigkeit der beiden Kontrahenten zieht sich durch den gesamten Verlauf der Debatte. Sie bleiben ihren Argumentationslinien und ihrer ursprünglichen Meinungen treu und bekräftigen ihre Standpunkte mit den jeweils passenden Studien. Besprochen werden zwar wichtige Themen, wie beispielsweise die Suchtgefahr, Cannabis als Einstiegsdroge, der Schwarzmarkt oder die Zahl der Cannabiskonsumenten in Deutschland, doch insbesondere Prof. Rainer Thomasius zeigt keinerlei Bereitschaft andere Argumente und wissenschaftliche Ergebnisse zuzulassen.
So verneint er auch die am Ende der Sendung gestellte Frage, ob er aus dem Streitgespräch irgendwelche neuen Erkenntnisse gewonnen habe. Die augenscheinliche und sture Uneinigkeit der beiden Wissenschaftler sorgt leider auch beim interessierten Zuhörer für einen überschaubaren Erkenntnisgewinn. Legalisierungsgegner werden es mit Thomasius halten, Befürworter mit Werse. Immerhin, für Skeptiker und Unentschlossene könnte das Streitgespräch Anhaltspunkte liefern. Sollte die Deutungshoheit beim Thema Cannabis weiterhin in den Händen der konservativen Wissenschaftler und Politiker liegen oder braucht es neue und interdisziplinäre Erkenntnisse, um eine sachliche und vor allem zeitgemäße Legalisierungsdebatte zu führen?