Das Cannabis-Medizingesetz ist durch.
Inzwischen sind es über 1000 Patienten in Deutschland, die aufgrund ihrer Ausnahmegenehmigung nach § 3 Abs. 2 BtMG Marihuanablüten aus der Apotheke beziehen dürfen. Weitere Patienten dürfen bereits Fertigarznei, die Cannabinoide enthält, verwenden. Diese Patienten dürfen das, konnten es jedoch im realen Leben oft genug nicht. Sie mussten bis auf wenige Ausnahmen diese Marihuanablüten oder die Fertigarznei selbst bezahlen.
Die Kosten dieser Medikamente lagen bei 200 bis 2000 Euro pro Monat, eine Summe, die manchen in den finanziellen Ruin getrieben hat. Die Not ist so groß, viele Patienten sind so verzweifelt, dass viele von ihnen sogar über Jahre für ihr Recht geklagt haben. Deswegen dürfen die Ersten per richterlicher Einzelfallentscheidung jetzt ihr eigenes Marihuana anbauen. Ein Dorn im Auge der Bundesregierung, weswegen das Cannabis-Medizingesetz auf den Weg gebracht wurde. Dieses wurde am 19.01.2017 im Bundestag einstimmig beschlossen, vom Bundesrat ratifiziert und trat damit am 10. März 2017 in Kraft.
Die Situation
Patienten mussten erst einmal einen Arzt finden, der sich viel Zeit für sie nimmt. Der Arzt musste zuerst alle erdenklichen Medikamente „am Patienten ausprobieren“. Das war in den ersten Jahren schlimmer, inzwischen sind diese „Versuchsreihen“ nicht mehr ganz so umfassend. Dennoch musste der Arzt glaubhaft belegen, dass für seinen Patienten keine der gängigen Behandlungsmöglichkeiten eine genügende Linderung erbringen wird. Damit gibt es nur Marihuana, welches diese genügende Linderung vom Leiden erwirkt. Aufgrund dieser belegten Einzelfallsituation muss die BfArM die Ausnahmegenehmigung ausstellen, wenn sie den gut begründeten Antrag nicht begründet ablehnen kann. Der Patient durfte nach der Bewilligung monatlich eine festgelegte Höchstmenge Marihuana aus der Apotheke beziehen. Dieses Marihuana hatte er bis auf wenige Ausnahmefälle selbst zu bezahlen.
Dabei muss erst einmal eine Apotheke gefunden werden, die viel bürokratische Arbeit auf sich nimmt, um das Marihuana an die Patienten abgeben zu dürfen. Nur aus dieser einen einzigen Apotheke konnte der Patient sein Marihuana beziehen. Bis auf Ausnahmen kann er sich damit nur im Schengenraum legal bewegen. Aber auch für Reisen im Schengenraum müssen noch immer vor Reiseantritt Schengen-Dokumente ausgefüllt und bewilligt werden. Fertigarzneimittel werden bereits die ganze Zeit per BtM Rezept verschrieben. Aber auch hier zahlen die Patienten selbst, wenn sie sich nicht gerade in stationärer Unterbringung befinden. Auch hier sind die Preise für die meisten Patienten nicht zu bewältigen.
Die Änderungen mit dem Cannabis-Medizingesetz
Jeder Arzt, der es möchte und für notwendig hält, kann seinen Patienten seit 2007 cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel verschreiben. Er muss dafür nur ein BtM Rezept erstellen, wie diese auch für Opiate, viele Benzodiazepine, Ritalin oder andere Medikamente verwendet werden. Diese Medikamente sind wegen ihres Missbrauchspotenzials besonders riskant, weswegen neben dem normalen Rezept das BtM Rezept eine noch höhere Sicherheitshürde darstellt. Der Aufwand der Verschreibung ist für den Arzt etwas höher und dennoch reine Routine. Die Verschreibungen werden jedoch anders kategorisiert und geprüft. Deswegen ist es für Ärzte dank dem Cannabis-Medizingesetz von nun an nur noch ein Bruchteil vom Aufwand, wenn sie ihren Patienten Marihuanablüten verschreiben möchten.
Sie können ohne umfassend belegte „Patientenversuche“ einfach das nötige BtM Rezept ausstellen und den Patienten in die Apotheke schicken. Dabei müssen die Krankenkassen dieses Marihuana in „besonders schweren und chronischen Fällen“ erstatten, wenn durch andere Medikamente keine genügende Wirkung zu erwarten ist. Diese Definition ist so ungenau, dass die Patienten bei den zu erwartenden Ablehnungen weiterhin klagen und auch gewinnen werden. Wer als Patient hingegen vermögend ist und selbst zahlt, der kann auch mit weniger schlimmen Erkrankungen sein Marihuana mit einem Privatrezept aus den Apotheken holen. Es wird jedoch weiterhin das Problem für die Patienten auftreten, dass sie erst einmal einen mitwirkenden Arzt finden müssen.
Den mitwirkenden Arzt finden
Die meisten Ärzte werden dem Marihuana noch immer sehr skeptisch gegenüberstehen. Die einen sind voreingenommen und möchten ihren Standpunkt nicht ändern. Die anderen verfügen über keine Erfahrungswerte. Sie wissen noch nicht, welche Sorte oder welche Anfangsdosis sie in den jeweiligen Situationen verschreiben müssen. Wer als Patient seinen Arzt anspricht, sollte deswegen nicht damit beginnen: „Ich habe mal gehört, …“. Der richtige Anfang für das Gespräch mit dem Mediziner wäre: „Ich war für mehrere Wochen in den Niederlanden und habe dort Marihuana geraucht. Mit der Sorte x und der Dosis y habe ich mich viel besser gefühlt.“ Der Arzt hat also bereits die Erfahrungswerte vom Patienten und muss mit diesem nicht mehr experimentieren.
Es erklärt sich von allein, dass es sich um keinen erfundenen „Holland Urlaub“ handeln soll, sondern der Patient wirklich bereits aus Erfahrung berichtet. Wer das noch nicht kann, sollte seinen nächsten Urlaub in den Niederlanden buchen. Er soll jedoch nicht erwarten, dass dortiges Coffeeshop Marihuana für seine Erkrankung optimal wirkt. Wer in Deutschland mit dem einen Arzt nicht weiter kommt, kann immer noch zu einem anderen Mediziner gehen, der ihm das benötigte Marihuana auf BtM Rezept vielleicht doch verschreibt. In vielen Situationen ist es ähnlich, dass Patienten erst nach einiger Zeit den für sie passenden Mediziner finden. Mit dem neuen Cannabis-Medizingesetz sind die Aussichten auf die Verschreibung von Marihuanablüten oder cannabinoidhaltigen Fertigarzneimitteln jedoch erheblich besser als vorher.
Im Zweifelsfall die Kosten einklagen:
Wer sein BtM Rezept erhält, der erhält nicht automatisch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Hier kann erwogen werden, die Kasse zu wechseln oder zu klagen. Wer klagen möchte, soll das vorab mit dem behandelnden Arzt besprechen und möglichst schon im Vorfeld entsprechende Untersuchungen und Befunde über sich ergehen lassen. Vor einer Klage soll unbedingt noch der außergerichtliche Weg mit neuer Beantragung, Widerspruch und einem Schreiben vom Anwalt versucht werden. Wenn es wirklich zu einer Klage kommt, ist diese Vorgeschichte sehr wichtig, um vom Richter Recht zu erhalten. Dabei ist es möglich, dass die Kosten rückwirkend wenigstens zum Teil erstattet werden.
Wenn ein Patient jedoch „noch gar nicht so krank“ ist und dennoch einen Mediziner findet, der ihm Marihuanablüten verschreibt, da diese ihm helfen, dann ist die Kostenübernahme sehr unwahrscheinlich. Es geht hier eben nicht darum, dass der Kiffer seinem Arzt eine Geschichte erzählt, um auf Allgemeinkosten kiffen zu können. Genau das soll vermieden werden, weswegen vermutlich auch in 20 Jahren für potente Marihuanablüten und potente Fertigarzneimittel (mit hohem THC Gehalt) die Kassen nicht automatisch zahlen werden. Wenn die Marihuanablüten oder die Fertigarzneimittel mit Cannabinoiden medizinisch notwendig sind und nicht gleichwertig durch andere Medikamente ersetzt werden können, dann werden die Kassen zahlen müssen. Es liegt also immer auch an der stichhaltigen Begründung durch den Patienten und Mediziner, ob die Kosten erstattet werden.
Verschreibung über Privatrezept
Es gibt einen Trick, um Ärzte schneller zum Mitwirken zu bringen. Diese stellen Rezepte aus, die möglicherweise von ihrem Budget heruntergehen. Mit diesem müssen sie jedoch das ganze Jahr auskommen. Nur bei schweren chronischen Erkrankungen gehen die Kosten für Medikamente nicht vom fiktiven Ärztebudget runter. Ob es schwerwiegend und chronisch ist, wäre vielleicht eine Auslegungssache, weswegen einige Ärzte den Patienten keine Cannabismedizin verschreiben werden. Diese können um das Ausstellen von einem Privatrezept gebeten werden. Der Patient zahlt zuerst selbst, kann aber dennoch die Kostenübernahme durch die Kassen beantragen und sogar einklagen, wenn der Arzt mitwirkt und alle Befunde und Gutachten ausstellt.
Zur Info: Mit dem Cannabis-Medizin Gesetz sind die Marihuanablüten in den Apotheken leider erst einmal noch teurer als zuvor, da sie in diesen granuliert werden. Wer seinen Arzt bittet, auf dem Rezept zu vermerken, dass er ganze und keine granulierten Marihuanablüten erhalten soll, der kann diesen Kostensprung umgehen.
Marihuanablüten oder Fertigarznei mit Cannabinoiden?
Was ist denn jetzt der Unterschied zwischen Marihuanablüten und cannabinoidhaltigen Fertigarzneimitteln? Bei den Marihuanablüten sind alle Wirkstoffe der Pflanze enthalten. Jede Sorte hat dabei ihre eigenen Schwerpunkte sowie die Wirkstoffmengen mit jeder Ernte etwas schwanken können. Bei dem Fertigarzneimittel Dronabinol ist hingegen nur der Wirkstoff Delta 9 trans Tetrahydrocannabinol enthalten, im Sativex sind es Delta 9 THC und Cannabidiol. Vielen Patienten können isolierte Cannabinoide der Hanfpflanze sehr gut helfen. Vermutlich genauso vielen Patienten hilft es jedoch nicht so gut, als wenn sie die gesamten Marihuanablüten der richtigen Sorte für sich verwenden. Die Cannabinoide haben alle ihre Wirkung für sich. Sie können sich in ihrer Wirkung jedoch ergänzen oder anders beeinflussen. Weiterhin sind in den Marihuanablüten Terpene, die für sich selbst keine Wirkung entfalten. Sie können jedoch die Wirkung der Cannabinoide positiv beeinflussen, wodurch wiederum einige Patienten profitieren. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Patient Marihuanablüten rauchen müsste. Er kann diese zudem vaporisieren, Extrakte unter die Zunge geben, die Extrakte zum Backen verwenden oder auch Hautprobleme mit Salben behandeln.
Wenn einfach ein Vollauszug aus den Marihuanablüten gewonnen wird, sind immerhin auch alle Wirkstoffe enthalten. Mit den Extrakten kann jedoch anderes gearbeitet werden, um Wirkstoffschwankungen in den Cannabismedikamenten noch effektiver zu vermeiden. Es liegt allerdings auch an den Patienten, dass sie ihre persönliche Konsumform finden. Selbst wenn es diese Vollauszüge gibt, werden viele dennoch weiterhin rauchen oder vaporisieren. Genau an diesen Stellen sollen die Patienten ein Mitspracherecht behalten, da auch die Art und Weise vom Konsum ein wichtiger Punkt in der Behandlung mit Marihuana darstellt.
Die Motivation zum Cannabis-Medizingesetz
Mit der vereinfachten Abgabe von Marihuanablüten soll der Notstand vieler Patienten aufgehoben werden, die sich das teure Marihuana aus den Apotheken derzeit noch nicht leisten können. Nur wegen dieses Notstandes mussten bereits befristete Anbaulizenzen an klagende Patienten vergeben werden. Genau diesen Eigenanbau möchten die Bundesregierung, Pharmaunternehmen, die Mediziner oder auch Apotheker vermeiden. Auch die Möglichkeit zum Eigenanbau wäre keine alleinige Lösung für die Patienten, da viele von ihnen nicht mehr ihr eigenes Marihuana anbauen können und auch niemanden dafür haben.
Bei vielen Patienten hilft eine Marihuanasorte besser, die sie jedoch nicht in der Apotheke bekommen. Es wäre schön, wenn für diese Patienten der Eigenanbau mit geringen Hürden möglich wäre und für die anderen das Marihuana aus den Apotheken von den Kassen bezahlt wird. Die Patienten, die auf eigene Kosten selbst anbauen, würden auch die Krankenkassen entlasten. Dennoch soll genau das verhindert werden. Alles in allem ist dieses neue Cannabis-Medizingesetz trotz zweifelhafter Motivation dennoch ein riesengroßer Schritt in die richtige Richtung. Das deutsche Cannabis Medizingesetz ist in Europa und sogar der ganzen Welt erst einmal eines der fortschrittlichsten.
Es wird einige Jahre dauern, bis die Mediziner sich mit der Thematik vertrauter gemacht haben und aufgrund ihrer Erfahrungswerte schneller Marihuanablüten oder cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel verschreiben. Es liegt jetzt auch an den Patienten, dass sie zu ihren Ärzten gehen und Druck machen. Zudem liegt es an diesen Patienten, dass sie die Kosten von den Krankenkassen zur Not auch einklagen. Es liegt an den Bürgern dieses Landes, wie schnell Cannabismedikamente sich in Deutschland wieder etablieren. Wer es einfach nur abwartet, der kann nicht nur an diesem Punkt lange warten. Gerade Not leidende Patienten können oft genug nicht mehr lange warten und sind darauf angewiesen, dass diejenigen, die noch wenigstens etwas können, den Weg freimachen.