Die Legalisierungsbestrebungen der deutschen Ampelkoalition lassen nicht nur Cannabis-Konsumierende, sondern auch Befürworter progressiver Drogen- und Sozialpolitik, sowie eine weltweit aufstrebende Industrie, mit hoffnungsvoller Erwartung in die Zukunft blicken. Welchen konkreten Einfluss die geplante Legalisierung zu Genusszwecken auf die Nutzhanfindustrie haben könnte, steht bisher noch nicht zweifelsfrei fest. Eine Gesetzesvorlage wird frühstens zum Jahresbeginn 2023 erwartet.
Sachverständige gehen jedoch davon aus, dass Nutzhanf produzierende maßgeblich von einer solchen Gesetzgebung profitieren könnten. So beispielsweise Lorenza Romanese, Geschäftsführerin der European Industrial Hemp Association (EIHA) – die das Hauptproblem der Industrie klar benennt: die ungerechtfertigte Gleichsetzung von THC-reichem Cannabis und THC-armem Nutzhanf, sowie ein allgemeiner Flickenteppich aus komplexen EU-Vorschriften, nationalen Gesetzen und lästigen Genehmigungsverfahren.
Nutzhanf untersteht dem Betäubungsmittelgesetz – trotz THC-Maximalwert
Dieser unspezifische Blick spiegelt sich bisher auch rechtlich wider, denn trotz der ohnehin niedrigen Grenzwerte der entsprechenden Züchtungen wird der gesetzliche Rahmen der wertvollen Faserpflanze durch das Betäubungsmittelgesetz festgelegt.
Ein Umstand, der sehr praktische Konsequenzen hat, denn nicht selten sehen sich Landwirte, die sich dem legalen Hanfanbau widmen, durch Polizei und Behörden schikaniert. So auch zwei Schleswig-Holsteiner, deren Hanfplantage nur unter der Aufsicht der Kriminalpolizei abgeerntet werden durfte. „Handel mit unerlaubten Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, lautete der Tatvorwurf der Staatsanwaltschaft Itzehoe.
Ähnlich erging es auch drei Jungunternehmern aus dem hessischen Fulda, die des „Bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln“ beschuldigt wurden. Es folgte eine Durchsuchung der Firmengebäude, sowie eine Sicherstellung von zahlreichen Produkten. Laut zuständiger Oberstaatsanwältin solle überprüft werden, ob sich die angebotenen Produkte unterhalb des zulässigen Grenzwertes von 0,2 % THC bewegen.
Auch der Handel bleibt vor entsprechenden Vorgängen nicht gefeit. Hanfshops, Reformhäuser und sogar Supermärkten sahen sich in der Vergangenheit bereits mit Razzien konfrontiert. Eine LIDL-Filiale in München, die kurzzeitig Hanf-Lebensmittel ins Angebot aufnahm, musste alle entsprechenden Produkte an die Polizei aushändigen.
Kriminalisierung trotz minutiöser Antragsverfahren
Die entsprechende Berichterstattung sendet alles andere als gute Signale an Landwirtschaft, Investoren und Abnehmer. Der Ärger und die Verunsicherung sind entsprechend groß bei den Betroffenen, denn der Hürdenlauf, den die Erzeuger absolvieren müssen, bis der erste Hanf auf den Feldern wächst, ist alles andere als einfach. Angebaut werden dürfen ausschließlich zertifizierte Hanfsorten, die im gemeinsamen Sortenkatalog für landwirtschaftliche Pflanzenarten freigegeben wurden, entsprechende Saatgutetiketten müssen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (kurz: BLE) vorgelegt werden.
Die betreffenden Anbauflächen müssen der BLE minutiös mitgeteilt werden (sogenannte Anzeigepflicht). Nicht zu vergessen ist dabei die Meldung über den Beginn der Blüte für den Anbau von Nutzhanf gemäß § 28 Absatz 2 der InVeKoS, oder: „Blühmeldungˮ. Kontrollen des THC-Gehaltes durch Probenentnahmen sind keine Seltenheit. Geerntet werden darf frühestens, wenn ein Freigabeschein von der Bundesanstalt vorliegt, oder eine Probeentnahme stattgefunden hat.
Die penible Einhaltung dieser Vorschriften schützt die Bauern – respektive die Abnehmer im Großhandel – jedoch keineswegs vor bösen Überraschungen: Denn wenn der bereits erwähnte THC-Grenzwert von 0,2 % überschritten wird, muss die gesamte Ernte im Zweifel vernichtet werden. Wohlgemerkt, dass der Grenzwert in einigen Ländern deutlich darüber liegt (in Italien 0,6 % Tschechien 1,0 %) und selbstverständlich keinen Aufschluss über die Qualität des Hanfes liefern kann. Es wundert darum auch kaum, dass weniger innovationsfreudige Landwirte dem flächendeckenden Hanfanbau auf deutschen Feldern noch eher zögerlich gegenüberstehen.
Grüne und Linke Gesetzesvorlagen bieten Grund zum Optimismus
Einen vorsichtigen Grund zum Optimismus bieten diverse gesetzliche Vorstöße der Linkspartei und der Grünen. Eine wichtige Argumentationsgrundlage für derzeitige Legalisierungsbestrebungen liefert der „Entwurf eines Cannabiskontrollgesetzesˮ (kurz: CannKG), den die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bereits am 20. März 2015 in den Bundestag eingebracht hat.
Die darin befindlichen Gesetzesänderungen würden eine signifikante Verbesserung für den Nutzhanfanbau bedeuten: So würde der Nutzhanfanbau generell aus dem BtMG gestrichen und die Anzeigepflicht von Nutzhanf generell aufgehoben. Der wissenschaftliche Umgang und Anbau von Nutzhanf wäre entsprechend nicht mehr genehmigungspflichtig, sondern lediglich einer Anzeigepflicht unterworfen.
In einem gemeinsamen Antrag der Grünen und der Linken vom 14.01.2021 mit der Überschrift „Potenziale des Nutzhanfanbaus voll ausschöpfenˮ wird noch weiter präzisiert. So soll der Grenzwert weiter auf mindestens 0,6 Prozent angehoben werden, wobei ein zukünftiger Grenzwert auf umfassender wissenschaftlichen Grundlage gefunden werden soll.
Ferner soll die Sortenzulassung von Nutzhanf nicht weiterhin willkürlich, sondern anhand des voraussichtlichen THC-Gehaltes erfolgen. Zugelassene Sorten, sollen dabei ohne weitere Prüfungen erworben und angebaut werden können. Das anbaubedingte Überschreiten der THC-Grenzwerte durch Umweltfaktoren soll dabei straffrei werden, während die Vernichtung nutzbarer Ernte ausgeschlossen werden solle.
Ampelkoalition: Uneinig bei Cannabis – Einig bei Nutzhanf
Seit der Bundestagswahl 2021, bilden die Grünen mit der SPD und der FDP die Regierungskoalition, wobei die Grünen mit Cem Özdemir den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft stellen.
In den gemeinsamen Koalitionsverhandlungen wurde die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken beschlossen, wobei Gesetzesänderungen bezüglich der Nutzhanfproduktion nicht explizit erwähnt wurden.
Während sich die drei Parteien in Spezifika der Cannabisgesetzgebung noch uneins zu sein scheinen, versprachen sie jedoch gegenüber Branchenvertretern, dass Nutzhanf und CBD-Produkte mit geregelt würden. Aufgrund dieser Sachlage erscheinen gesetzliche Verbesserungen zugunsten der Nutzhanfproduktion als eher wahrscheinlich.
Fazit: Eine Cannabislegalisierung wird den Nutzhanfanbau nachhaltig verändern
Die beiden größten Probleme für Nutzhanf produzierende sind Kriminalisierung und Stigmatisierung. Wird Cannabis legal, so fallen mit großer Wahrscheinlichkeit auch einige bürokratische Hürden für die Produzenten von Nutzhanf. Mit der Liberalisierung von Genuss-Cannabis gerät auch Hanf weiter in den gesellschaftlichen Mainstream und nimmt den Betroffenen einen großen Teil des Stigmas, das der Pflanze zu Unrecht anhaftet.
Aufgrund dieser verringerten Unsicherheit für Produzierende und Investoren wird die Nutzhanfindustrie in den kommenden Monaten und Jahren um einiges lukrativer. Selbstverständlich werden auch einige Nutzhanf-Produzierende den Schritt in das THC-Business wagen – welchen Anteil diese Marktnische bedienen wird und welche Wechselwirkungen sich auf Nutzhanf ergeben, wird die Zeit zeigen.
Unabhängig von der Cannabislegalisierung und sehr zum Wohl des Nutzhanfanbaus tritt zum 1. Januar 2023 die neue gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP) in Kraft, die unter anderem den THC-Höchstgehalt wieder auf 0,3 % erhöht (EIHA). Damit öffnet sich der EU-Sortenkatalog für weitere Sorten, für deren Anbau die Landwirte Direktzahlungen gemäß der EU-Agrarförderung einfahren können.
Es zeichnen sich also sowohl auf bundesdeutscher, als auch auf europäischer Ebene positive Veränderungen für die Nutzhanfindustrie ab. Deutschland kann als bevölkerungsreichstes EU-Land mit einer geglückten Cannabislegalisierung den Grundstein für eine florierende Hanfwirtschaft mit massivem Wachstumspotenzial legen – und das weit über den Genussmittelmarkt hinaus.