Am 10. Februar wollte die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig mithilfe eines Instagram-Posts belegen, dass Cannabis im Jahr 2020 um ein Vielfaches stärker sei als noch vor 20 Jahren. Das in den 1990er-Jahren weitverbreitete Haschisch habe mit 4,9 Prozent nur einen Bruchteil der Hanfblüten von heute gehabt, postet die CSU-Frau von einem Treffen mit dem bayrischen LKA. Letztere seien 2016 mit durchschnittlich zehn Prozent mehr als doppelt so stark wie noch 1996 (4,8 %) Jahren und ohnehin viel gefährlicher als je zuvor.
Wer in den 1990er-Jahren schon Erfahrung mit Cannabis und Haschisch gehabt hat, wird da hellhörig. Denn das durchschnittliche Haschisch zu dieser Zeit war zwar nicht exorbitant gut, hatte aber gefühlt mehr als die von Ludwig angeführten 4,9 % THC. Zudem war es definitiv stärker als das relativ leichte Gras aus Asien, Afrika oder Südamerika.
Weed hatte aber laut Ludwigs Quelle, dem BKA, nicht erst seit 2016, sondern schon seit 2002 einen angeblich besorgniserregend hohen THC-Gehalt. Damals sprach das BKA von einer Verdoppelung von angeblich 7,5 auf 15 %. Auf deren Homepage [2] steht im „Rauschgiftjahresbericht 2002“ auf Seite 47:
„Exkurs zum möglichen Gefahrenpotenzial von Cannabis: […]. In jüngster Zeit wurde in den Medien verstärkt auf die mögliche Gefahr der psychischen Abhängigkeit durch einen steigenden THC-Gehalt hingewiesen. Vereinzelt wurde sogar von einer Entwicklung hin zur „harten“ Droge gesprochen. Drogenhilfeeinrichtungen melden eine zunehmende Behandlungsnachfrage von jungen Cannabiskonsumenten, die aufgrund steigenden Drogenkonsums verstärkt Hilfemaßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich ergaben aktuelle Untersuchungen des Wirkstoffgehaltes (THC) sichergestellter Cannabis-Proben bei den Landeskriminalämtern und im Bundeskriminalamt im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahre 1999 einen Anstieg des THC von durchschnittlich 7 % auf 15 %.“
Rauschgiftjahresbericht 2002 – Seite 47
Ungewöhnliche Datengrundlage
Eine Nachfrage beim Pressebüro der Drogenbeauftragten ergab, dass Frau Ludwig die Zahlen im Rahmen Ihres Treffens mit dem LKA-Bayern mitgeteilt wurden.
Als Beleg für gab es dann diese Grafik im Anhang der Mail.
Da Ministerien solche komplett unkommentierten Statistiken ohne Quellenangabe normalerweise gar nicht weitergeben, folgte eine zweite Anfrage nach der Datengrundlage, die der Tabelle als Grundlage diente. Das sei das Institut für Therapieforschung München (IFT).
Bei der anschließenden telefonischen Anfrage im IFT gab man sich überrascht, dass das Büro der Drogenbeauftragten unkommentierte Statistiken des Instituts verschickt, um sich dann auf die Suche nach der Datengrundlage der seltsam anmutenden Statistik zu begeben. Nur wenige Stunden später war klar, dass es sich um eine Statistik des BKA aus dem Jahr 1996 handelte. Die belegt den durchschnittlichen THC-Gehalt von 4,9 % bei Haschisch allerdings nicht. Wie auf den ersten Blick leicht zu erkennen ist, lag der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Haschisch zu dieser Zeit zwischen sieben und acht Prozent THC.
Frau Ludwig hat also auf Instagram falsche Zahlen verbreitet. Außerdem fällt auf, dass die von ihr geposteten Zahlen des THC-Gehalts von Cannabis im Jahr 2016 mit zehn Prozent denen ihres eigenen Büros (siehe Grafik) widersprechen. Ihrer Pressestelle zufolge lag der durchschnittliche THC-Wert 2016 nicht bei zehn, sondern bei 12,8 Prozent.
Es wäre sicher falsch, der Drogenbeauftragten hier Absicht zu unterstellen, schließlich wurden ihr die Zahlen vom bayrischen LKA mündlich übermittelt und postwendend herausgeblasen. Der angeblich niedrige THC-Gehalt passt prima in Ludwigs drogenpolitische Konzept. Je niedriger Ausgangswert eines Cannabis-Produkts vor 20 oder 30 Jahren war, desto drastischer ist die anschließende Steigerung, die Cannabisprodukte heute angeblich so gefährlich macht.
Auch Zahlen, die man vom LKA geflüstert bekommt, müssen geprüft werden, bevor sie verbreitet werden und somit politische Relevanz erhalten. Das ist hier nicht geschehen. Spätestens bei der zuvor erwähnten Anfrage sollte dem Team um Ludwig aufgefallen sein, dass man hier falschliegt. Doch statt einer Richtigstellung gibt es unkommentierte Statistiken ohne Quellenangabe, die obendrein fehlerhaft sind. Das Motto ihres Dialogs mit Millionen Cannabis-Konsumenten scheint nach wie vor „Augen zu und durch“.
THC-Gehalt auf Schlingerkurs?
Wenn es um die Steigerung des THC-Gehalts geht, nimmt man es ohnehin nicht so genau. Kombiniert man die Rauschgiftlagebilder der letzten 20 Jahre, mit den vorab erwähnten und Frau Ludwigs aktuellen Zahlen, ergibt sich folgendes Bild:
Der THC-Gehalt bei Cannabisblüten ist zwischen 1999 und 2002 von 7,5 % auf 15 % gestiegen. Dann ist er bis 2016 auf 10 % gesunken, um aktuell wieder auf 13,1 % anzusteigen.
Die CSU-Frau sollte sich als Drogenbeauftragte mal eine halbe Stunde mit der jüngsten Geschichte des Agrarprodukts Cannabis auseinandersetzen, um zu verstehen, weshalb Gras und Hasch heute stärker sind als vor 25 Jahren. Nachdem man in den Niederlanden Anfang der 1990er-Jahre angefangen hatte, Cannabis professionell unter Licht anzubauen, gab es ein ganz neues Produkt. Das hatte mehr THC als das bis dato relativ schwache Cannabis aus Ghana, Thailand oder Kolumbien. Der höhere Wirkstoffgehalt lag in zwei Ursachen begründet, die die Niederlande bereits zum Weltmarktführer bei der Produktion von Treibhausgemüse gemacht hatten:
- optimale Bedingungen dank niederländischer Gewächshaustechnik
- Selektion wirkstoffreicher Sorten durch die Züchter
Bis Sorten und Technik auch auf Deutschlands Schwarzmärkten verfügbar waren, hat es dann ein bis Mitte/Ende der 1990er-Jahre gedauert. Als dann auch Orange Bud, Ak-47 oder Hash Plant gab, hat sich das Anfang des Jahrtausends natürlich auch beim THC-Wert der beschlagnahmten Cannabisblüten niedergeschlagen.
Das gestreckte Hasch aus Marokko, das Mitte der 1990er-Jahre einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 7 bis 8 % (nicht 4,9 %, siehe Grafik 2) aufwies, fand angesichts der neuen Sorten kaum noch Abnehmer. Also besann man sich im Rif eines Besseren und fing an, besseres Hasch mit neuem Saatgut aus Europa zu produzieren. Heute ist die Standard-Platte, die vor 20 Jahren den Markt dominiert hat, dank der Indoor-Konkurrenz aus Europa recht selten geworden und der Durchschnittswert von 2018, den Frau Ludwig erwähnt, scheint mit 16 % realistisch.
Negative Auswirkungen des sinkenden CBD-Gehalts waren lange unbekannt
Parallel zur Indoor-Revolution ist der CBD-Gehalt in Cannabis gesunken. Das haben die im Untergrund tätigen Züchter aber erst gemerkt, als der CBD-Gehalt vor knapp zehn Jahren relevant wurde. Vorher hat sich niemand dafür interessiert, wie viel CBD im Hasch oder im Weed war.
Das erklärt auch viele Userberichte aus den 1990er Jahren, das neue „Gras aus Holland mache zu high.“ Doch das lag nicht, wie viele Medien damals vermuteten, an neuen, genmanipulierten Untergrund-Sorten, sondern am fehlenden CBD.
Nachdem es erste Hinweise auf die antipsychotische Wirkung von CBD gegeben hatte, hat das renommierte Londoner King‘s College 2013 im Rahmen einer Studie [3] herausgefunden, dass nicht der THC-Menge alleine, sondern vor allen Dingen das THC-CBD Verhältnis für die Intensität des Highs und auch für nicht gewollte Folgen des Konsums verantwortlich ist. Seit Bekanntwerden dieses Phänomens haben sich viele Indoor-Züchter erfolgreich der Zucht von Sorten gewidmet, die ein ausgeglichenes THC-CBD Verhältnis haben. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien [4]die antipsychotische Wirkung [5] von CBD.
Das niederländische Trimbos Institut [6] veröffentlichte 2016 einen Bericht [7] über Probekäufe in Coffeeshops. Demzufolge war der CBD-Gehalt von importiertem Hasch exorbitant höher als der von einheimischen Produkten aus dem Kunstlicht-Gewächshaus. Mit durchschnittlich 7,7 Prozent lag er fast siebenmal höher bei inländischem Weed. Doch anstatt sich dieser doch einigermaßen komplexen Entwicklung langsam bewusst zu werden, werfen Drogenbeauftragte und auch die von ihr unterstützten Präventionsprogramme die gezinkte Karte vom gefährlich hohen THC-Gehalt immer wieder aufs Spielbrett.
Mit zweierlei Maß
Auch die Messmethoden scheinen nicht sehr transparent. Während das stärkste Cannabis aus der Apotheke gerade mal 25 % THC enthält, berichtet die Polizei immer wieder von Spitzenwerten von bis zu 44 %. So starkes Cannabis gibt es nicht einmal im Rahmen der Weed-WM, dem High Times Cup.
Die Berliner Polizei hatte 2018 auf Nachfrage, wie es zu den exorbitanten Unterschieden in Forensik und Medizin komme, geantwortet:
„ […]. .Es werden Cannabinol (CBN), Cannabidiol (CBD), THC und THC-Säuren nebeneinander erfasst und quantifiziert. Eine Summe von THC und THC-Säuren nach entsprechender Umrechnung ergibt dann den THC-Gehalt. Dieser THC-Gehalt kann dann höher als mit den von Ihnen erwähnten Methoden anderer Labore (Anm. des Autors: Labore, die medizinisches Cannabis testen) ausfallen.“
Antwort der Berliner Polizei aus dem Jahr 2018
Obwohl es die Testlaboratorien die gleiche DIN-Norm erfüllen müssen, können beim Messen von illegalem und legalem Weed aufgrund der Methodik unterschiedliche Ergebnisse herauskommen? Das verstehe, wer will.
Der THC-Gehalt ist die letzte Bastion der Betonköpfe
Schaut man sich die Dokumentation der THC-Werte und die Medienberichte seit der letzten 20 Jahre an, fällt auf, dass ständig von exponentiellen Steigerungen die Rede ist – obwohl das BKA schon 2002 eine „Entwicklung hin zur harten Droge“ beklagt hatte. Das eigentliche Problem hingegen wird nie angesprochen: Ein Schwarzmarkt gibt keine Auskunft über den Wirkstoffgehalt oder gar das THC-CBD Verhältnis eines Cannabis-Produkts. Deshalb ist die Gefahr, Cannabis zu hoch zu dosieren, ungleich höher als bei einem regulierten Produkt, dessen THC-Gehalt dem Konsumenten bekannt ist. Aber dieser Standpunkt stellt für eine CSU-Drogenbeauftragte genau die rote Linie dar, die öffentlich nicht überschritten werden darf.
Zuzugeben, dass nicht der THC-Gehalt, sondern Intransparenz und Repression die größten Gefahren bergen, wäre ein Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Politik. Also tut die Drogenbeauftragte alles, um die Mär vom ständig steigenden und kreuzgefährlichen THC-Gehalt aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch, nennen wir es mal sehr eigenwillige Interpretationen alter Statistiken.
Quellen
[1] instagram.com [2] bka.de [3] kcl.ac.uk [4] ncbi.nlm.nih. [5] ncbi.nlm.nih.gov [6] trimbos.nl/english/? [7] trimbos.nlAm 10. Februar wollte die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig mithilfe eines Instagram-Posts belegen, dass Cannabis im Jahr 2020 um ein Vielfaches stärker sei als noch vor 20 Jahren. Das in den 1990er-Jahren weitverbreitete Haschisch habe mit 4,9 Prozent nur einen Bruchteil der Hanfblüten von heute gehabt, postet die CSU-Frau von einem Treffen mit dem bayrischen LKA. Letztere seien 2016 mit durchschnittlich zehn Prozent mehr als doppelt so stark wie noch 1996 (4,8 %) Jahren und ohnehin viel gefährlicher als je zuvor.
Wer in den 1990er-Jahren schon Erfahrung mit Cannabis und Haschisch gehabt hat, wird da hellhörig. Denn das durchschnittliche Haschisch zu dieser Zeit war zwar nicht exorbitant gut, hatte aber gefühlt mehr als die von Ludwig angeführten 4,9 % THC. Zudem war es definitiv stärker als das relativ leichte Gras aus Asien, Afrika oder Südamerika.
Weed hatte aber laut Ludwigs Quelle, dem BKA, nicht erst seit 2016, sondern schon seit 2002 einen angeblich besorgniserregend hohen THC-Gehalt. Damals sprach das BKA von einer Verdoppelung von angeblich 7,5 auf 15 %. Auf deren Homepage [2] steht im „Rauschgiftjahresbericht 2002“ auf Seite 47:
„Exkurs zum möglichen Gefahrenpotenzial von Cannabis: […]. In jüngster Zeit wurde in den Medien verstärkt auf die mögliche Gefahr der psychischen Abhängigkeit durch einen steigenden THC-Gehalt hingewiesen. Vereinzelt wurde sogar von einer Entwicklung hin zur „harten“ Droge gesprochen. Drogenhilfeeinrichtungen melden eine zunehmende Behandlungsnachfrage von jungen Cannabiskonsumenten, die aufgrund steigenden Drogenkonsums verstärkt Hilfemaßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich ergaben aktuelle Untersuchungen des Wirkstoffgehaltes (THC) sichergestellter Cannabis-Proben bei den Landeskriminalämtern und im Bundeskriminalamt im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahre 1999 einen Anstieg des THC von durchschnittlich 7 % auf 15 %.“
Rauschgiftjahresbericht 2002 – Seite 47
Ungewöhnliche Datengrundlage
Eine Nachfrage beim Pressebüro der Drogenbeauftragten ergab, dass Frau Ludwig die Zahlen im Rahmen Ihres Treffens mit dem LKA-Bayern mitgeteilt wurden.
Als Beleg für gab es dann diese Grafik im Anhang der Mail.
Da Ministerien solche komplett unkommentierten Statistiken ohne Quellenangabe normalerweise gar nicht weitergeben, folgte eine zweite Anfrage nach der Datengrundlage, die der Tabelle als Grundlage diente. Das sei das Institut für Therapieforschung München (IFT).
Bei der anschließenden telefonischen Anfrage im IFT gab man sich überrascht, dass das Büro der Drogenbeauftragten unkommentierte Statistiken des Instituts verschickt, um sich dann auf die Suche nach der Datengrundlage der seltsam anmutenden Statistik zu begeben. Nur wenige Stunden später war klar, dass es sich um eine Statistik des BKA aus dem Jahr 1996 handelte. Die belegt den durchschnittlichen THC-Gehalt von 4,9 % bei Haschisch allerdings nicht. Wie auf den ersten Blick leicht zu erkennen ist, lag der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Haschisch zu dieser Zeit zwischen sieben und acht Prozent THC.
Frau Ludwig hat also auf Instagram falsche Zahlen verbreitet. Außerdem fällt auf, dass die von ihr geposteten Zahlen des THC-Gehalts von Cannabis im Jahr 2016 mit zehn Prozent denen ihres eigenen Büros (siehe Grafik) widersprechen. Ihrer Pressestelle zufolge lag der durchschnittliche THC-Wert 2016 nicht bei zehn, sondern bei 12,8 Prozent.
Es wäre sicher falsch, der Drogenbeauftragten hier Absicht zu unterstellen, schließlich wurden ihr die Zahlen vom bayrischen LKA mündlich übermittelt und postwendend herausgeblasen. Der angeblich niedrige THC-Gehalt passt prima in Ludwigs drogenpolitische Konzept. Je niedriger Ausgangswert eines Cannabis-Produkts vor 20 oder 30 Jahren war, desto drastischer ist die anschließende Steigerung, die Cannabisprodukte heute angeblich so gefährlich macht.
Auch Zahlen, die man vom LKA geflüstert bekommt, müssen geprüft werden, bevor sie verbreitet werden und somit politische Relevanz erhalten. Das ist hier nicht geschehen. Spätestens bei der zuvor erwähnten Anfrage sollte dem Team um Ludwig aufgefallen sein, dass man hier falschliegt. Doch statt einer Richtigstellung gibt es unkommentierte Statistiken ohne Quellenangabe, die obendrein fehlerhaft sind. Das Motto ihres Dialogs mit Millionen Cannabis-Konsumenten scheint nach wie vor „Augen zu und durch“.
THC-Gehalt auf Schlingerkurs?
Wenn es um die Steigerung des THC-Gehalts geht, nimmt man es ohnehin nicht so genau. Kombiniert man die Rauschgiftlagebilder der letzten 20 Jahre, mit den vorab erwähnten und Frau Ludwigs aktuellen Zahlen, ergibt sich folgendes Bild:
Der THC-Gehalt bei Cannabisblüten ist zwischen 1999 und 2002 von 7,5 % auf 15 % gestiegen. Dann ist er bis 2016 auf 10 % gesunken, um aktuell wieder auf 13,1 % anzusteigen.
Die CSU-Frau sollte sich als Drogenbeauftragte mal eine halbe Stunde mit der jüngsten Geschichte des Agrarprodukts Cannabis auseinandersetzen, um zu verstehen, weshalb Gras und Hasch heute stärker sind als vor 25 Jahren. Nachdem man in den Niederlanden Anfang der 1990er-Jahre angefangen hatte, Cannabis professionell unter Licht anzubauen, gab es ein ganz neues Produkt. Das hatte mehr THC als das bis dato relativ schwache Cannabis aus Ghana, Thailand oder Kolumbien. Der höhere Wirkstoffgehalt lag in zwei Ursachen begründet, die die Niederlande bereits zum Weltmarktführer bei der Produktion von Treibhausgemüse gemacht hatten:
- optimale Bedingungen dank niederländischer Gewächshaustechnik
- Selektion wirkstoffreicher Sorten durch die Züchter
Bis Sorten und Technik auch auf Deutschlands Schwarzmärkten verfügbar waren, hat es dann ein bis Mitte/Ende der 1990er-Jahre gedauert. Als dann auch Orange Bud, Ak-47 oder Hash Plant gab, hat sich das Anfang des Jahrtausends natürlich auch beim THC-Wert der beschlagnahmten Cannabisblüten niedergeschlagen.
Das gestreckte Hasch aus Marokko, das Mitte der 1990er-Jahre einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 7 bis 8 % (nicht 4,9 %, siehe Grafik 2) aufwies, fand angesichts der neuen Sorten kaum noch Abnehmer. Also besann man sich im Rif eines Besseren und fing an, besseres Hasch mit neuem Saatgut aus Europa zu produzieren. Heute ist die Standard-Platte, die vor 20 Jahren den Markt dominiert hat, dank der Indoor-Konkurrenz aus Europa recht selten geworden und der Durchschnittswert von 2018, den Frau Ludwig erwähnt, scheint mit 16 % realistisch.
Negative Auswirkungen des sinkenden CBD-Gehalts waren lange unbekannt
Parallel zur Indoor-Revolution ist der CBD-Gehalt in Cannabis gesunken. Das haben die im Untergrund tätigen Züchter aber erst gemerkt, als der CBD-Gehalt vor knapp zehn Jahren relevant wurde. Vorher hat sich niemand dafür interessiert, wie viel CBD im Hasch oder im Weed war.
Das erklärt auch viele Userberichte aus den 1990er Jahren, das neue „Gras aus Holland mache zu high.“ Doch das lag nicht, wie viele Medien damals vermuteten, an neuen, genmanipulierten Untergrund-Sorten, sondern am fehlenden CBD.
Nachdem es erste Hinweise auf die antipsychotische Wirkung von CBD gegeben hatte, hat das renommierte Londoner King‘s College 2013 im Rahmen einer Studie [3] herausgefunden, dass nicht der THC-Menge alleine, sondern vor allen Dingen das THC-CBD Verhältnis für die Intensität des Highs und auch für nicht gewollte Folgen des Konsums verantwortlich ist. Seit Bekanntwerden dieses Phänomens haben sich viele Indoor-Züchter erfolgreich der Zucht von Sorten gewidmet, die ein ausgeglichenes THC-CBD Verhältnis haben. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien [4]die antipsychotische Wirkung [5] von CBD.
Das niederländische Trimbos Institut [6] veröffentlichte 2016 einen Bericht [7] über Probekäufe in Coffeeshops. Demzufolge war der CBD-Gehalt von importiertem Hasch exorbitant höher als der von einheimischen Produkten aus dem Kunstlicht-Gewächshaus. Mit durchschnittlich 7,7 Prozent lag er fast siebenmal höher bei inländischem Weed. Doch anstatt sich dieser doch einigermaßen komplexen Entwicklung langsam bewusst zu werden, werfen Drogenbeauftragte und auch die von ihr unterstützten Präventionsprogramme die gezinkte Karte vom gefährlich hohen THC-Gehalt immer wieder aufs Spielbrett.
Mit zweierlei Maß
Auch die Messmethoden scheinen nicht sehr transparent. Während das stärkste Cannabis aus der Apotheke gerade mal 25 % THC enthält, berichtet die Polizei immer wieder von Spitzenwerten von bis zu 44 %. So starkes Cannabis gibt es nicht einmal im Rahmen der Weed-WM, dem High Times Cup.
Die Berliner Polizei hatte 2018 auf Nachfrage, wie es zu den exorbitanten Unterschieden in Forensik und Medizin komme, geantwortet:
„ […]. .Es werden Cannabinol (CBN), Cannabidiol (CBD), THC und THC-Säuren nebeneinander erfasst und quantifiziert. Eine Summe von THC und THC-Säuren nach entsprechender Umrechnung ergibt dann den THC-Gehalt. Dieser THC-Gehalt kann dann höher als mit den von Ihnen erwähnten Methoden anderer Labore (Anm. des Autors: Labore, die medizinisches Cannabis testen) ausfallen.“
Antwort der Berliner Polizei aus dem Jahr 2018
Obwohl es die Testlaboratorien die gleiche DIN-Norm erfüllen müssen, können beim Messen von illegalem und legalem Weed aufgrund der Methodik unterschiedliche Ergebnisse herauskommen? Das verstehe, wer will.
Der THC-Gehalt ist die letzte Bastion der Betonköpfe
Schaut man sich die Dokumentation der THC-Werte und die Medienberichte seit der letzten 20 Jahre an, fällt auf, dass ständig von exponentiellen Steigerungen die Rede ist – obwohl das BKA schon 2002 eine „Entwicklung hin zur harten Droge“ beklagt hatte. Das eigentliche Problem hingegen wird nie angesprochen: Ein Schwarzmarkt gibt keine Auskunft über den Wirkstoffgehalt oder gar das THC-CBD Verhältnis eines Cannabis-Produkts. Deshalb ist die Gefahr, Cannabis zu hoch zu dosieren, ungleich höher als bei einem regulierten Produkt, dessen THC-Gehalt dem Konsumenten bekannt ist. Aber dieser Standpunkt stellt für eine CSU-Drogenbeauftragte genau die rote Linie dar, die öffentlich nicht überschritten werden darf.
Zuzugeben, dass nicht der THC-Gehalt, sondern Intransparenz und Repression die größten Gefahren bergen, wäre ein Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Politik. Also tut die Drogenbeauftragte alles, um die Mär vom ständig steigenden und kreuzgefährlichen THC-Gehalt aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch, nennen wir es mal sehr eigenwillige Interpretationen alter Statistiken.
Quellen
[1] instagram.com [2] bka.de [3] kcl.ac.uk [4] ncbi.nlm.nih. [5] ncbi.nlm.nih.gov [6] trimbos.nl/english/? [7] trimbos.nlAm 10. Februar wollte die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig mithilfe eines Instagram-Posts belegen, dass Cannabis im Jahr 2020 um ein Vielfaches stärker sei als noch vor 20 Jahren. Das in den 1990er-Jahren weitverbreitete Haschisch habe mit 4,9 Prozent nur einen Bruchteil der Hanfblüten von heute gehabt, postet die CSU-Frau von einem Treffen mit dem bayrischen LKA. Letztere seien 2016 mit durchschnittlich zehn Prozent mehr als doppelt so stark wie noch 1996 (4,8 %) Jahren und ohnehin viel gefährlicher als je zuvor.
Wer in den 1990er-Jahren schon Erfahrung mit Cannabis und Haschisch gehabt hat, wird da hellhörig. Denn das durchschnittliche Haschisch zu dieser Zeit war zwar nicht exorbitant gut, hatte aber gefühlt mehr als die von Ludwig angeführten 4,9 % THC. Zudem war es definitiv stärker als das relativ leichte Gras aus Asien, Afrika oder Südamerika.
Weed hatte aber laut Ludwigs Quelle, dem BKA, nicht erst seit 2016, sondern schon seit 2002 einen angeblich besorgniserregend hohen THC-Gehalt. Damals sprach das BKA von einer Verdoppelung von angeblich 7,5 auf 15 %. Auf deren Homepage [2] steht im „Rauschgiftjahresbericht 2002“ auf Seite 47:
„Exkurs zum möglichen Gefahrenpotenzial von Cannabis: […]. In jüngster Zeit wurde in den Medien verstärkt auf die mögliche Gefahr der psychischen Abhängigkeit durch einen steigenden THC-Gehalt hingewiesen. Vereinzelt wurde sogar von einer Entwicklung hin zur „harten“ Droge gesprochen. Drogenhilfeeinrichtungen melden eine zunehmende Behandlungsnachfrage von jungen Cannabiskonsumenten, die aufgrund steigenden Drogenkonsums verstärkt Hilfemaßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich ergaben aktuelle Untersuchungen des Wirkstoffgehaltes (THC) sichergestellter Cannabis-Proben bei den Landeskriminalämtern und im Bundeskriminalamt im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahre 1999 einen Anstieg des THC von durchschnittlich 7 % auf 15 %.“
Rauschgiftjahresbericht 2002 – Seite 47
Ungewöhnliche Datengrundlage
Eine Nachfrage beim Pressebüro der Drogenbeauftragten ergab, dass Frau Ludwig die Zahlen im Rahmen Ihres Treffens mit dem LKA-Bayern mitgeteilt wurden.
Als Beleg für gab es dann diese Grafik im Anhang der Mail.
Da Ministerien solche komplett unkommentierten Statistiken ohne Quellenangabe normalerweise gar nicht weitergeben, folgte eine zweite Anfrage nach der Datengrundlage, die der Tabelle als Grundlage diente. Das sei das Institut für Therapieforschung München (IFT).
Bei der anschließenden telefonischen Anfrage im IFT gab man sich überrascht, dass das Büro der Drogenbeauftragten unkommentierte Statistiken des Instituts verschickt, um sich dann auf die Suche nach der Datengrundlage der seltsam anmutenden Statistik zu begeben. Nur wenige Stunden später war klar, dass es sich um eine Statistik des BKA aus dem Jahr 1996 handelte. Die belegt den durchschnittlichen THC-Gehalt von 4,9 % bei Haschisch allerdings nicht. Wie auf den ersten Blick leicht zu erkennen ist, lag der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Haschisch zu dieser Zeit zwischen sieben und acht Prozent THC.
Frau Ludwig hat also auf Instagram falsche Zahlen verbreitet. Außerdem fällt auf, dass die von ihr geposteten Zahlen des THC-Gehalts von Cannabis im Jahr 2016 mit zehn Prozent denen ihres eigenen Büros (siehe Grafik) widersprechen. Ihrer Pressestelle zufolge lag der durchschnittliche THC-Wert 2016 nicht bei zehn, sondern bei 12,8 Prozent.
Es wäre sicher falsch, der Drogenbeauftragten hier Absicht zu unterstellen, schließlich wurden ihr die Zahlen vom bayrischen LKA mündlich übermittelt und postwendend herausgeblasen. Der angeblich niedrige THC-Gehalt passt prima in Ludwigs drogenpolitische Konzept. Je niedriger Ausgangswert eines Cannabis-Produkts vor 20 oder 30 Jahren war, desto drastischer ist die anschließende Steigerung, die Cannabisprodukte heute angeblich so gefährlich macht.
Auch Zahlen, die man vom LKA geflüstert bekommt, müssen geprüft werden, bevor sie verbreitet werden und somit politische Relevanz erhalten. Das ist hier nicht geschehen. Spätestens bei der zuvor erwähnten Anfrage sollte dem Team um Ludwig aufgefallen sein, dass man hier falschliegt. Doch statt einer Richtigstellung gibt es unkommentierte Statistiken ohne Quellenangabe, die obendrein fehlerhaft sind. Das Motto ihres Dialogs mit Millionen Cannabis-Konsumenten scheint nach wie vor „Augen zu und durch“.
THC-Gehalt auf Schlingerkurs?
Wenn es um die Steigerung des THC-Gehalts geht, nimmt man es ohnehin nicht so genau. Kombiniert man die Rauschgiftlagebilder der letzten 20 Jahre, mit den vorab erwähnten und Frau Ludwigs aktuellen Zahlen, ergibt sich folgendes Bild:
Der THC-Gehalt bei Cannabisblüten ist zwischen 1999 und 2002 von 7,5 % auf 15 % gestiegen. Dann ist er bis 2016 auf 10 % gesunken, um aktuell wieder auf 13,1 % anzusteigen.
Die CSU-Frau sollte sich als Drogenbeauftragte mal eine halbe Stunde mit der jüngsten Geschichte des Agrarprodukts Cannabis auseinandersetzen, um zu verstehen, weshalb Gras und Hasch heute stärker sind als vor 25 Jahren. Nachdem man in den Niederlanden Anfang der 1990er-Jahre angefangen hatte, Cannabis professionell unter Licht anzubauen, gab es ein ganz neues Produkt. Das hatte mehr THC als das bis dato relativ schwache Cannabis aus Ghana, Thailand oder Kolumbien. Der höhere Wirkstoffgehalt lag in zwei Ursachen begründet, die die Niederlande bereits zum Weltmarktführer bei der Produktion von Treibhausgemüse gemacht hatten:
- optimale Bedingungen dank niederländischer Gewächshaustechnik
- Selektion wirkstoffreicher Sorten durch die Züchter
Bis Sorten und Technik auch auf Deutschlands Schwarzmärkten verfügbar waren, hat es dann ein bis Mitte/Ende der 1990er-Jahre gedauert. Als dann auch Orange Bud, Ak-47 oder Hash Plant gab, hat sich das Anfang des Jahrtausends natürlich auch beim THC-Wert der beschlagnahmten Cannabisblüten niedergeschlagen.
Das gestreckte Hasch aus Marokko, das Mitte der 1990er-Jahre einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 7 bis 8 % (nicht 4,9 %, siehe Grafik 2) aufwies, fand angesichts der neuen Sorten kaum noch Abnehmer. Also besann man sich im Rif eines Besseren und fing an, besseres Hasch mit neuem Saatgut aus Europa zu produzieren. Heute ist die Standard-Platte, die vor 20 Jahren den Markt dominiert hat, dank der Indoor-Konkurrenz aus Europa recht selten geworden und der Durchschnittswert von 2018, den Frau Ludwig erwähnt, scheint mit 16 % realistisch.
Negative Auswirkungen des sinkenden CBD-Gehalts waren lange unbekannt
Parallel zur Indoor-Revolution ist der CBD-Gehalt in Cannabis gesunken. Das haben die im Untergrund tätigen Züchter aber erst gemerkt, als der CBD-Gehalt vor knapp zehn Jahren relevant wurde. Vorher hat sich niemand dafür interessiert, wie viel CBD im Hasch oder im Weed war.
Das erklärt auch viele Userberichte aus den 1990er Jahren, das neue „Gras aus Holland mache zu high.“ Doch das lag nicht, wie viele Medien damals vermuteten, an neuen, genmanipulierten Untergrund-Sorten, sondern am fehlenden CBD.
Nachdem es erste Hinweise auf die antipsychotische Wirkung von CBD gegeben hatte, hat das renommierte Londoner King‘s College 2013 im Rahmen einer Studie [3] herausgefunden, dass nicht der THC-Menge alleine, sondern vor allen Dingen das THC-CBD Verhältnis für die Intensität des Highs und auch für nicht gewollte Folgen des Konsums verantwortlich ist. Seit Bekanntwerden dieses Phänomens haben sich viele Indoor-Züchter erfolgreich der Zucht von Sorten gewidmet, die ein ausgeglichenes THC-CBD Verhältnis haben. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien [4]die antipsychotische Wirkung [5] von CBD.
Das niederländische Trimbos Institut [6] veröffentlichte 2016 einen Bericht [7] über Probekäufe in Coffeeshops. Demzufolge war der CBD-Gehalt von importiertem Hasch exorbitant höher als der von einheimischen Produkten aus dem Kunstlicht-Gewächshaus. Mit durchschnittlich 7,7 Prozent lag er fast siebenmal höher bei inländischem Weed. Doch anstatt sich dieser doch einigermaßen komplexen Entwicklung langsam bewusst zu werden, werfen Drogenbeauftragte und auch die von ihr unterstützten Präventionsprogramme die gezinkte Karte vom gefährlich hohen THC-Gehalt immer wieder aufs Spielbrett.
Mit zweierlei Maß
Auch die Messmethoden scheinen nicht sehr transparent. Während das stärkste Cannabis aus der Apotheke gerade mal 25 % THC enthält, berichtet die Polizei immer wieder von Spitzenwerten von bis zu 44 %. So starkes Cannabis gibt es nicht einmal im Rahmen der Weed-WM, dem High Times Cup.
Die Berliner Polizei hatte 2018 auf Nachfrage, wie es zu den exorbitanten Unterschieden in Forensik und Medizin komme, geantwortet:
„ […]. .Es werden Cannabinol (CBN), Cannabidiol (CBD), THC und THC-Säuren nebeneinander erfasst und quantifiziert. Eine Summe von THC und THC-Säuren nach entsprechender Umrechnung ergibt dann den THC-Gehalt. Dieser THC-Gehalt kann dann höher als mit den von Ihnen erwähnten Methoden anderer Labore (Anm. des Autors: Labore, die medizinisches Cannabis testen) ausfallen.“
Antwort der Berliner Polizei aus dem Jahr 2018
Obwohl es die Testlaboratorien die gleiche DIN-Norm erfüllen müssen, können beim Messen von illegalem und legalem Weed aufgrund der Methodik unterschiedliche Ergebnisse herauskommen? Das verstehe, wer will.
Der THC-Gehalt ist die letzte Bastion der Betonköpfe
Schaut man sich die Dokumentation der THC-Werte und die Medienberichte seit der letzten 20 Jahre an, fällt auf, dass ständig von exponentiellen Steigerungen die Rede ist – obwohl das BKA schon 2002 eine „Entwicklung hin zur harten Droge“ beklagt hatte. Das eigentliche Problem hingegen wird nie angesprochen: Ein Schwarzmarkt gibt keine Auskunft über den Wirkstoffgehalt oder gar das THC-CBD Verhältnis eines Cannabis-Produkts. Deshalb ist die Gefahr, Cannabis zu hoch zu dosieren, ungleich höher als bei einem regulierten Produkt, dessen THC-Gehalt dem Konsumenten bekannt ist. Aber dieser Standpunkt stellt für eine CSU-Drogenbeauftragte genau die rote Linie dar, die öffentlich nicht überschritten werden darf.
Zuzugeben, dass nicht der THC-Gehalt, sondern Intransparenz und Repression die größten Gefahren bergen, wäre ein Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Politik. Also tut die Drogenbeauftragte alles, um die Mär vom ständig steigenden und kreuzgefährlichen THC-Gehalt aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch, nennen wir es mal sehr eigenwillige Interpretationen alter Statistiken.
Quellen
[1] instagram.com [2] bka.de [3] kcl.ac.uk [4] ncbi.nlm.nih. [5] ncbi.nlm.nih.gov [6] trimbos.nl/english/? [7] trimbos.nlAm 10. Februar wollte die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig mithilfe eines Instagram-Posts belegen, dass Cannabis im Jahr 2020 um ein Vielfaches stärker sei als noch vor 20 Jahren. Das in den 1990er-Jahren weitverbreitete Haschisch habe mit 4,9 Prozent nur einen Bruchteil der Hanfblüten von heute gehabt, postet die CSU-Frau von einem Treffen mit dem bayrischen LKA. Letztere seien 2016 mit durchschnittlich zehn Prozent mehr als doppelt so stark wie noch 1996 (4,8 %) Jahren und ohnehin viel gefährlicher als je zuvor.
Wer in den 1990er-Jahren schon Erfahrung mit Cannabis und Haschisch gehabt hat, wird da hellhörig. Denn das durchschnittliche Haschisch zu dieser Zeit war zwar nicht exorbitant gut, hatte aber gefühlt mehr als die von Ludwig angeführten 4,9 % THC. Zudem war es definitiv stärker als das relativ leichte Gras aus Asien, Afrika oder Südamerika.
Weed hatte aber laut Ludwigs Quelle, dem BKA, nicht erst seit 2016, sondern schon seit 2002 einen angeblich besorgniserregend hohen THC-Gehalt. Damals sprach das BKA von einer Verdoppelung von angeblich 7,5 auf 15 %. Auf deren Homepage [2] steht im „Rauschgiftjahresbericht 2002“ auf Seite 47:
„Exkurs zum möglichen Gefahrenpotenzial von Cannabis: […]. In jüngster Zeit wurde in den Medien verstärkt auf die mögliche Gefahr der psychischen Abhängigkeit durch einen steigenden THC-Gehalt hingewiesen. Vereinzelt wurde sogar von einer Entwicklung hin zur „harten“ Droge gesprochen. Drogenhilfeeinrichtungen melden eine zunehmende Behandlungsnachfrage von jungen Cannabiskonsumenten, die aufgrund steigenden Drogenkonsums verstärkt Hilfemaßnahmen in Anspruch nehmen müssen. Tatsächlich ergaben aktuelle Untersuchungen des Wirkstoffgehaltes (THC) sichergestellter Cannabis-Proben bei den Landeskriminalämtern und im Bundeskriminalamt im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahre 1999 einen Anstieg des THC von durchschnittlich 7 % auf 15 %.“
Rauschgiftjahresbericht 2002 – Seite 47
Ungewöhnliche Datengrundlage
Eine Nachfrage beim Pressebüro der Drogenbeauftragten ergab, dass Frau Ludwig die Zahlen im Rahmen Ihres Treffens mit dem LKA-Bayern mitgeteilt wurden.
Als Beleg für gab es dann diese Grafik im Anhang der Mail.
Da Ministerien solche komplett unkommentierten Statistiken ohne Quellenangabe normalerweise gar nicht weitergeben, folgte eine zweite Anfrage nach der Datengrundlage, die der Tabelle als Grundlage diente. Das sei das Institut für Therapieforschung München (IFT).
Bei der anschließenden telefonischen Anfrage im IFT gab man sich überrascht, dass das Büro der Drogenbeauftragten unkommentierte Statistiken des Instituts verschickt, um sich dann auf die Suche nach der Datengrundlage der seltsam anmutenden Statistik zu begeben. Nur wenige Stunden später war klar, dass es sich um eine Statistik des BKA aus dem Jahr 1996 handelte. Die belegt den durchschnittlichen THC-Gehalt von 4,9 % bei Haschisch allerdings nicht. Wie auf den ersten Blick leicht zu erkennen ist, lag der durchschnittliche Wirkstoffgehalt von Haschisch zu dieser Zeit zwischen sieben und acht Prozent THC.
Frau Ludwig hat also auf Instagram falsche Zahlen verbreitet. Außerdem fällt auf, dass die von ihr geposteten Zahlen des THC-Gehalts von Cannabis im Jahr 2016 mit zehn Prozent denen ihres eigenen Büros (siehe Grafik) widersprechen. Ihrer Pressestelle zufolge lag der durchschnittliche THC-Wert 2016 nicht bei zehn, sondern bei 12,8 Prozent.
Es wäre sicher falsch, der Drogenbeauftragten hier Absicht zu unterstellen, schließlich wurden ihr die Zahlen vom bayrischen LKA mündlich übermittelt und postwendend herausgeblasen. Der angeblich niedrige THC-Gehalt passt prima in Ludwigs drogenpolitische Konzept. Je niedriger Ausgangswert eines Cannabis-Produkts vor 20 oder 30 Jahren war, desto drastischer ist die anschließende Steigerung, die Cannabisprodukte heute angeblich so gefährlich macht.
Auch Zahlen, die man vom LKA geflüstert bekommt, müssen geprüft werden, bevor sie verbreitet werden und somit politische Relevanz erhalten. Das ist hier nicht geschehen. Spätestens bei der zuvor erwähnten Anfrage sollte dem Team um Ludwig aufgefallen sein, dass man hier falschliegt. Doch statt einer Richtigstellung gibt es unkommentierte Statistiken ohne Quellenangabe, die obendrein fehlerhaft sind. Das Motto ihres Dialogs mit Millionen Cannabis-Konsumenten scheint nach wie vor „Augen zu und durch“.
THC-Gehalt auf Schlingerkurs?
Wenn es um die Steigerung des THC-Gehalts geht, nimmt man es ohnehin nicht so genau. Kombiniert man die Rauschgiftlagebilder der letzten 20 Jahre, mit den vorab erwähnten und Frau Ludwigs aktuellen Zahlen, ergibt sich folgendes Bild:
Der THC-Gehalt bei Cannabisblüten ist zwischen 1999 und 2002 von 7,5 % auf 15 % gestiegen. Dann ist er bis 2016 auf 10 % gesunken, um aktuell wieder auf 13,1 % anzusteigen.
Die CSU-Frau sollte sich als Drogenbeauftragte mal eine halbe Stunde mit der jüngsten Geschichte des Agrarprodukts Cannabis auseinandersetzen, um zu verstehen, weshalb Gras und Hasch heute stärker sind als vor 25 Jahren. Nachdem man in den Niederlanden Anfang der 1990er-Jahre angefangen hatte, Cannabis professionell unter Licht anzubauen, gab es ein ganz neues Produkt. Das hatte mehr THC als das bis dato relativ schwache Cannabis aus Ghana, Thailand oder Kolumbien. Der höhere Wirkstoffgehalt lag in zwei Ursachen begründet, die die Niederlande bereits zum Weltmarktführer bei der Produktion von Treibhausgemüse gemacht hatten:
- optimale Bedingungen dank niederländischer Gewächshaustechnik
- Selektion wirkstoffreicher Sorten durch die Züchter
Bis Sorten und Technik auch auf Deutschlands Schwarzmärkten verfügbar waren, hat es dann ein bis Mitte/Ende der 1990er-Jahre gedauert. Als dann auch Orange Bud, Ak-47 oder Hash Plant gab, hat sich das Anfang des Jahrtausends natürlich auch beim THC-Wert der beschlagnahmten Cannabisblüten niedergeschlagen.
Das gestreckte Hasch aus Marokko, das Mitte der 1990er-Jahre einen durchschnittlichen THC-Gehalt von 7 bis 8 % (nicht 4,9 %, siehe Grafik 2) aufwies, fand angesichts der neuen Sorten kaum noch Abnehmer. Also besann man sich im Rif eines Besseren und fing an, besseres Hasch mit neuem Saatgut aus Europa zu produzieren. Heute ist die Standard-Platte, die vor 20 Jahren den Markt dominiert hat, dank der Indoor-Konkurrenz aus Europa recht selten geworden und der Durchschnittswert von 2018, den Frau Ludwig erwähnt, scheint mit 16 % realistisch.
Negative Auswirkungen des sinkenden CBD-Gehalts waren lange unbekannt
Parallel zur Indoor-Revolution ist der CBD-Gehalt in Cannabis gesunken. Das haben die im Untergrund tätigen Züchter aber erst gemerkt, als der CBD-Gehalt vor knapp zehn Jahren relevant wurde. Vorher hat sich niemand dafür interessiert, wie viel CBD im Hasch oder im Weed war.
Das erklärt auch viele Userberichte aus den 1990er Jahren, das neue „Gras aus Holland mache zu high.“ Doch das lag nicht, wie viele Medien damals vermuteten, an neuen, genmanipulierten Untergrund-Sorten, sondern am fehlenden CBD.
Nachdem es erste Hinweise auf die antipsychotische Wirkung von CBD gegeben hatte, hat das renommierte Londoner King‘s College 2013 im Rahmen einer Studie [3] herausgefunden, dass nicht der THC-Menge alleine, sondern vor allen Dingen das THC-CBD Verhältnis für die Intensität des Highs und auch für nicht gewollte Folgen des Konsums verantwortlich ist. Seit Bekanntwerden dieses Phänomens haben sich viele Indoor-Züchter erfolgreich der Zucht von Sorten gewidmet, die ein ausgeglichenes THC-CBD Verhältnis haben. Mittlerweile belegen zahlreiche Studien [4]die antipsychotische Wirkung [5] von CBD.
Das niederländische Trimbos Institut [6] veröffentlichte 2016 einen Bericht [7] über Probekäufe in Coffeeshops. Demzufolge war der CBD-Gehalt von importiertem Hasch exorbitant höher als der von einheimischen Produkten aus dem Kunstlicht-Gewächshaus. Mit durchschnittlich 7,7 Prozent lag er fast siebenmal höher bei inländischem Weed. Doch anstatt sich dieser doch einigermaßen komplexen Entwicklung langsam bewusst zu werden, werfen Drogenbeauftragte und auch die von ihr unterstützten Präventionsprogramme die gezinkte Karte vom gefährlich hohen THC-Gehalt immer wieder aufs Spielbrett.
Mit zweierlei Maß
Auch die Messmethoden scheinen nicht sehr transparent. Während das stärkste Cannabis aus der Apotheke gerade mal 25 % THC enthält, berichtet die Polizei immer wieder von Spitzenwerten von bis zu 44 %. So starkes Cannabis gibt es nicht einmal im Rahmen der Weed-WM, dem High Times Cup.
Die Berliner Polizei hatte 2018 auf Nachfrage, wie es zu den exorbitanten Unterschieden in Forensik und Medizin komme, geantwortet:
„ […]. .Es werden Cannabinol (CBN), Cannabidiol (CBD), THC und THC-Säuren nebeneinander erfasst und quantifiziert. Eine Summe von THC und THC-Säuren nach entsprechender Umrechnung ergibt dann den THC-Gehalt. Dieser THC-Gehalt kann dann höher als mit den von Ihnen erwähnten Methoden anderer Labore (Anm. des Autors: Labore, die medizinisches Cannabis testen) ausfallen.“
Antwort der Berliner Polizei aus dem Jahr 2018
Obwohl es die Testlaboratorien die gleiche DIN-Norm erfüllen müssen, können beim Messen von illegalem und legalem Weed aufgrund der Methodik unterschiedliche Ergebnisse herauskommen? Das verstehe, wer will.
Der THC-Gehalt ist die letzte Bastion der Betonköpfe
Schaut man sich die Dokumentation der THC-Werte und die Medienberichte seit der letzten 20 Jahre an, fällt auf, dass ständig von exponentiellen Steigerungen die Rede ist – obwohl das BKA schon 2002 eine „Entwicklung hin zur harten Droge“ beklagt hatte. Das eigentliche Problem hingegen wird nie angesprochen: Ein Schwarzmarkt gibt keine Auskunft über den Wirkstoffgehalt oder gar das THC-CBD Verhältnis eines Cannabis-Produkts. Deshalb ist die Gefahr, Cannabis zu hoch zu dosieren, ungleich höher als bei einem regulierten Produkt, dessen THC-Gehalt dem Konsumenten bekannt ist. Aber dieser Standpunkt stellt für eine CSU-Drogenbeauftragte genau die rote Linie dar, die öffentlich nicht überschritten werden darf.
Zuzugeben, dass nicht der THC-Gehalt, sondern Intransparenz und Repression die größten Gefahren bergen, wäre ein Eingeständnis des Scheiterns der eigenen Politik. Also tut die Drogenbeauftragte alles, um die Mär vom ständig steigenden und kreuzgefährlichen THC-Gehalt aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch, nennen wir es mal sehr eigenwillige Interpretationen alter Statistiken.