Schon vor der deutschen Bundestagswahl 2021 war es in nahezu allen Wahlprogrammen der Parteien ersichtlich, dass sich die Dinge bezüglich Cannabis im Land endlich zum Besseren ändern könnten. Einzig die AfD und die Union (CDU/CSU) hielten an ihren bisherigen Meinungen fest, dass eine Freigabe von Hanf zu Genusszwecken Erwachsener kontraproduktiv wäre und einzig der Konsum in der gesamten Bevölkerung ansteigen würde.
Glücklicherweise finden sich diese beiden Parteien nun aber auf der Oppositionsseite wieder, sodass die jetzt regierenden Ampelparteien aus SPD, Grünen und FDP sich schon während der Koalitionsverhandlungen auf eine Cannabis-Legalisierung in Deutschland einigten. Doch der Zeitplan ist noch äußerst ungewiss und lässt viel Platz für Spekulationen. Während der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir schon die Bauern Deutschlands auf ihren Feldern Hanf anbauen sieht, so zweifeln Szenekenner an einer raschen Umsetzbarkeit der gefassten Pläne. Manch einer rechnet sogar erst mit der Legalisierung von Cannabis ab Januar 2024.
Landwirte zeigen bereits Interesse
Der Grünen-Politiker und neu im Amt sitzende Agrarminister Cem Özdemir ist positiv gestimmt. Er sagte gegenüber Bild am Sonntag, dass viele Landwirte bereits Interesse zeigten, zukünftig auf den lukrativen Cannabismarkt zu setzen. Özdemir ist sich sicher, dass der Anbau von Hanf starten würde, sobald der Bundestag der Legalisierung zugestimmt hat.
Die CDU könne das jetzt schließlich nicht mehr länger verbieten. Er plädiere weiterhin für einen staatlich lizenzierten Markt, in welchem Fachgeschäfte Personen ab 18 Jahren zwecks der Befriedigung von Rauschbedürfnissen bedienen dürften. Freuen würde er sich darüber, dass der Irrsinn des Cannabisverbotes dann endlich enden würde, auch wenn die Gesetzesänderung nicht als Aufforderung zu verstehen sei, dass volljährige Bürger sich fortan „die Birne wegkiffen“ sollten.
Gut Ding will Weile haben
Ganz so schnell wird die anstehende Legalisierung aber nicht vonstattengehen, ist der Unternehmer Niklas Kouparanis überzeugt. Es gäbe doch noch eine Menge Hürden zu überwinden, bevor das Gras in Deutschland auf Feldern gedeihen und anschließend in Geschäften gehandelt werden könne. Kouparanis weist im Gespräch mit IPPEN.MEDIA darauf hin, dass Deutschland mit seinen 80 Millionen Einwohnern den größten legalen Cannabismarkt der Welt ausmachen würde. Es wäre ein hochkomplexes und stark reguliertes Geschäftsfeld, das die Ampelkoalition eröffnen wolle. Seiner Meinung nach dürfe man nicht vor Januar 2024 mit einer Freigabe von Cannabis für den Freizeitgebrauch rechnen, weil besonders eine Tatsache dieses Vorhaben nicht nur erschweren sondern nahezu verhindern würde.
Deutschland ist aufgrund der Mitgliedschaft in der UN an das 1961 verabschiedete Einheitsabkommen über Betäubungsmittel gebunden und könne daher Cannabis überhaupt nicht legalisieren. Erst ein Austritt aus der UN-Convention würde die Schritte ermöglichen. Das ginge frühestens zum Januar 2023, wenn die Bundesregierung zuvor bis 01. Juli 2022 einen passenden Gesetzesentwurf vorlegen und durch Bundestag und Bundesrat bekäme. Da während der Pandemie in den kommenden sieben Monaten jedoch wohl kaum ein vernünftiger Entwurf verfasst werden könne, würde dieses Szenario wohl erst im Januar 2024 eintreten, ist sich Kouparanis sicher.
Aus Fehlern lernen
Neben den rechtlichen Fragen müsse für die Ampelkoalition aber auch die Logistik im Hauptaugenmerk liegen. Bereits nach der Freigabe von Medizinalhanf hätten sich die Probleme diesbezüglich gezeigt, sodass die Parteien hier unbedingt hinzuschauen hätten, damit ähnliche Fehler vermieden werden können. Es brauchen einen „Dialog auf Augenhöhe“ an einem runden Tisch, der alle Interessengemeinschaften der Cannabis-Legalisierung beteilige. Beim medizinischen Cannabis hätten Kommunikationsschwierigkeiten die Oberhand gehabt und Ärzte, Apotheken sowie Behörden wären nach dem einfachen Durchwinken des Gesetzes im Stich gelassen worden. Die komplette Überregulierung habe dann auch dazu geführt, dass es vier Jahre brauchte, bis die natürliche Medizin aus Deutschland stammte.
Beim medizinischen Cannabis waren immerhin internationale Importe möglich, was bei dem Genussmittel aktuell nicht erlaubt ist. Daher müssten auch hier einheitliche Regeln aufgestellt werden, damit Deutschland nicht vollständig auf die heimische Produktion angewiesen ist, was die Ware natürlich verknappen und damit den Weg zum illegal agierenden Händler forcieren würde. Besser früh als spät müsse daher an einem Regelwerk gearbeitet werden, das einen Flickenteppich auf EU-Ebene verhindere und auch Grenzüberquerungen im Schengenraum absichere.
Schwarz- oder Weissmarkt
Ein großes Ziel der Legalisierung liegt in der Austrocknung des Schwarzmarkthandels. Auch hier müssen viele Aspekte in die Umsetzung der Freigabe einfließen. Der CEO der Bloomwell Group, Niklas Kouparanis, schätzt aber, dass die Schritte weniger Probleme bereiten werden als bei der Medizinalhanf-Einführung. Der Bund setze schließlich auf die Steuereinnahmen und erhoffe sich, den Schwarzmarkt austrocknen zu können. Hier müssten aber auch die richtigen Stellschrauben gedreht werden, damit dieses Vorhaben gelingen kann. Zum einen müsste das Vertriebsnetz flächendeckend aufgebaut werden und auch der Versandhandel gehöre genehmigt.
Dazu geselle sich die Preisfrage, die laut dem Unternehmer nicht über den gängigen Schwarzmarktpreisen angesiedelt sein dürfte. Mehr als zehn Euro pro Gramm würde die Konsumenten weiterhin auf den Schwarzmarkt locken. In Kanada war dies zwei Jahre nach der Freigabe noch der Fall, da dort die Preisgestaltung zu hoch und die Zahl der legalen Bezugsquellen zu niedrig gewesen war.
Richtet sich Deutschland nach den funktionierenden Modellen, überstürzt die Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken nicht zu hastig und setzt man die richtigen Leute für die Ausarbeitung des Gesetzes zusammen, dann würde das Land auf lange Sicht von der großen Veränderung profitieren können. Ebenfalls würde in diesem Fall die Signalwirkung mit Sicherheit auf die europäischen Nachbarn wirken, sodass „der einzige richtige Weg“ von vielen weiteren Ländern endlich eingeschlagen werden könne. Also lieber richtig statt schnell.