Es wird fest damit gerechnet, dass in Deutschland ab dem 01.04.2024 der Besitz von bis zu 25 Gram Cannabis während des Aufenthalts im Freien nicht länger strafrechtlich verfolgt werden wird. Mit dem Inkrafttreten des „Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (CanG)“ werden Millionen Cannabiskonsumenten endlich entkriminalisiert und Polizei wie Gerichte können sich zukünftig einen Haufen unnötiger Arbeit sparen.
Doch wie auch in vielen anderen Ländern und US-Bundesstaaten hat die (Teil-)Legalisierung noch weitere Auswirkungen auf die Gesellschaft. So wurden im Ausland beispielsweise zuvor aufgegriffene Cannabisnutzer nach oder sogar schon vor einer Legalisierung von Cannabis von ihrer angeblichen Schuld befreit. In den vergangenen fünf Jahren sorgte dies in den USA insgesamt für eine Menge von über 23 Millionen Delinquenten, denen nicht nur die komplette Freiheit zurückgegeben wurde, sondern deren entsprechenden Daten aus den Strafregistern der Behörden unter den richtigen Umständen gleich gelöscht wurden. Um ein Bild von der Größe dieses Verfahrens zu erhalten, ist ebenfalls ein Beispiel aus Connecticut dienlich, wo schon vor dem ersten legalen Verkauf von Cannabis circa 43.000 Verurteilungen, die im Zusammenhang mit Marihuana standen, gelöscht worden sind.
Hierzulande wird nun ähnliches geschehen, wenn der dringend nötige Umschwung in der Cannabispolitik wie geplant vonstattengehen wird. Doch nicht alle Menschen in Deutschland sind unbedingt erfreut über diese Tatsache, da die „rückwirkende Straffreiheit“ von gewöhnlichen Cannabiskonsumenten mit einer gehörigen Portion Arbeit für Staatsanwaltschaften und Gerichten verbunden sein wird.
Jährlich über 200.000 Strafverfahren wegen Cannabis
Auch wenn der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, noch im vergangenen Jahr darauf aufmerksam machen wollte, dass die Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten wohl zu einer stärkeren Belastung des Justizapparates führen könne, muss eingesehen werden, dass künftig wohl weit weniger Menschen mit dem Gesetz in Konflikt geraten werden. Dies spart Arbeit bei den überlasteten Gerichten, die wohl Wichtigeres zu tun haben, als Privatpersonen aufgrund einer für die Allgemeinheit nicht schädlichen Genussmittelleidenschaft nach langwierigen Prozessen zu bestrafen.
Doch bevor die etwas ruhigere Zeit bei Staatsanwaltschaften und Gerichten aufgrund der „Legalisierung light“ eingeläutet werden kann, wartet aufgrund einer damit verbundenen „rückwirkenden Straffreiheit“ kurzzeitig mehr Arbeit auf die dort Beschäftigen. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass alle Verfahren gegen Personen, die wegen geringem Cannabisbesitzes verurteilt wurden, erneut von Staatsanwaltschaften und Gerichten aufgerollt werden müssen – und zwar ab dem Jahr 2014.
Ebenfalls dürften auffällig gewordene Besitzer von weniger als 25 Gramm Marihuana, ihre bereits gezahlten Geldbußen zurückfordern können. Da in den vergangenen Jahren jährlich mehr als 200.000 Personen in Deutschland wegen Cannabisdelikten ein Problem mit der Staatsmacht hatten, entsteht im Hinblick auf den Zeitraum von fast zehn Jahren jetzt selbstverständlich eine gehörige Zahl potenzieller Kläger, deren zuteil gewordenes Unrecht rückwirkend wieder richtig gerückt werden muss.
Betroffene Inhaftierte sind ab dem 1.04.2024 freizulassen
Elisabeth Stöve, Sprecherin des NRW-Justizministeriums, hat im Gespräch mit dem bereits erwähnten Kölner Stadt-Anzeiger darauf hingewiesen, dass die bevorstehende Gesetzesänderung dafür Sorge tragen würde, dass inhaftierte Personen, die wegen weniger als 25 Gramm im Gefängnis sitzen, ab dem 1.04.204 freizulassen wären. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes wären dazu auch alle noch laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren einzustellen, wird von ihrer Kollegin aus dem niedersächsischen Justizministerium ergänzt.
Wären in Altfällen noch Geld- oder Haftstrafen zu verbüßen, würden diese nicht mehr länger vollstreckt. Doch ganz so einfach gestaltet sich die Situation nicht, da hierzulande nur der „Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz“ im Bundeszentralregister abgespeichert würde und somit alle BtMG-Verfahren nun „händisch“ von den Anklagebehörden ausgewertet gehören. Ohne diese Arbeit wäre es nicht ersichtlich, ob es sich bei den Betroffenen um ein Verfahren aufgrund des Besitzes von Ecstasy, Kokain, Heroin oder Gras gehandelt habe.
Je größer die Jagd, desto größer die Arbeit
Bundesländer und Kommunen, in denen die Jagd auf Kiffer in der Vergangenheit besonders stark ausgeprägt war, dürfen sich jetzt auf eine dementsprechende Rekapitulation ihrer Erfolgsarbeit einstellen. Laut Frau Stöve lägen die Fallzahlen allein bei größeren NRW-Anklagebehörden im vierstelligen Bereich. Insider im Kölner Justizzentrum würden sogar mit fünfstelligen Kennziffern rechnen. 3.500 hin zu 10.000 Fälle hätte allein Düsseldorf erneut zu überprüfen, und in Bielefeld gäbe es bei mindestens 1.400 Personen einen Überprüfungsbedarf.
Im von Cannabiskonsumenten bislang besonders gefürchteten Bayern hätten allein die Münchner Staatsanwaltschaften laut dem bayerischen Justizministerium schon „mehrere Tausend Verfahren“ auf mögliche Haftentlassungen durchleuchtet. Frühe Schätzungen sprechen davon, dass auch in Niedersachsen mehr als 16.000 Ermittlungs- und Vollstreckungsverfahren anfallen könnten. Da manche Cannabisvergehen auch mit anderen Delikten wie Diebstahl oder Raub in Verbindung stehen könnten, erhöhe sich der Arbeitsaufwand insgesamt noch einmal. Gerichte dürften in diesen Fällen somit neue Urteile verfassen, bei denen der Besitz eines legalisierten Genussmittels dann nicht mehr länger eine Rolle spielen darf.
Weitere Komplikationen für den Rechtsstaat
Während andere Aspekte dieser „rückwirkenden Straffreiheit“ nur von Vorteil für die betroffenen Nutzer von Marihuana sind, so machen die wiedererlangten Rechte dem Justizapparat weitere Probleme. Gezahlten Geldbußen dürfen schließlich von den Verurteilten zurückverlangt werden, wenn nicht mehr als die mehrfach genannte 25-Gramm-Grenze den Tatbestand ausmacht. Sogar Schadensersatz könne seitens säumiger Zahler von den jeweiligen Bundesländern geltend gemacht werden, falls sie eine Ersatzstrafe verbüßen mussten. Ein Verfahrensstau scheint daher insgesamt vorprogrammiert. Da diesbezüglich keine Übergangsfristen vorgesehen wären, müsse die Justiz hunderttausende Fälle bis zum 1. April abgearbeitet haben, da sonst das Strafgesetzbuch greifen würde.
In diesem Fall würden sich Amtsträger strafbar machen, falls sie es versäumen, die Strafvollstreckung gegen jene Betroffenen rechtzeitig einzustellen. Laut dem CanG wären diese nämlich unschuldig. Ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand bestehe dazu darin, dass Verurteilte bei der Staatsanwaltschaft die Löschung ihrer Drogeneinträge im Bundeszentralregister beantragen könnten, um ihr Leben wieder mit einer reinen Weste zu gestalten. Aus NRW-Justizkreisen hieß es daher, dass man nicht wisse, wie man diese Aktenberge angesichts der prekären Personalsituation bei der Justiz stemmen solle. Alle dort beschäftigen Mitarbeiter wären stinksauer.
Kritik laut ausgesprochen
Nicht nur die Beschäftigten in der Justiz und den Staatsanwaltschaften scheinen mit den Anforderungen unzufrieden, die das CanG an sie stellt. Auch Kathrin Wahlmann (SPD), die Justizministerin aus Niedersachsen, wirft Karl Lauterbach handwerkliche Fehler bei der Entwicklung des Gesetzes vor. Das CanG würde in seiner derzeitigen Form nicht für eine Entlastung sorgen, sondern das Gegenteil bewirken und die betroffenen Organe vor einen immensen Verwaltungsaufwand stellen. Sie würde nicht tatenlos zuschauen, wie der Justizapparat mit „unsinnigen Verwaltungsaufgaben lahmgelegt“ werde. Die Kollegen wären jetzt schon bis ans Limit gefordert, weshalb Frau Wahlmann mittels Gesprächen auf Bundesebene dafür sorgen möchte, dass das Gesetz bezüglich dieser Punkte nachgebessert werde.
Der CDU-Landtagsabgeordnete Jörg Geerlings, der eine Stelle als Vize-Vorsitzender im NRW-Rechtsausschuss innehat, kritisiert lieber gleich das gesamte Gesetz mit den alten Floskeln, dass der Gesundheitsschutz von jungen Menschen nachhaltig geschädigt würde – Hirnschädigungen und so weiter. Die Umsetzung des CanG werde aber auch zu einem „hohen behördlichem Kontrollaufwand, vielen neuen Streitfragen und zahlreichen Gerichtsverfahren“ führen. Ebenfalls würden Nachweisschwierigkeiten sowie ein großer Ermittlungsaufwand der Staatsanwaltschaft „aufgebürdet“.
Doch Gesundheitsminister Karl Lauterbach – und die Befürworter des künftigen Gesetzes – bleiben überzeugt: Man kann mit einer „stark verringerte Anzahl der gerichtlichen Strafverfahren wegen cannabisbezogener Delikte“ rechnen und „weniger Strafgerichtsverfahren aufgrund von Handlungen, die den Anbau und den Besitz von Cannabis zum Zwecke des Eigenkonsums [betreffen]“ voraussagen. Dass somit nach der Bewältigung der nun zu leistenden Aufarbeitung alter und „unnötiger“ Strafverfahren wegen geringer Mengen Cannabis eine Zeit der Ruhe für Gerichte und Staatsanwaltschaften betreffend dieses Themas warten könnte, wird von den aktuell Betroffenen nicht erkannt.
Dafür sehen die zuvor mit übermäßigem Elan gejagten Konsumenten des seit tausenden Jahren im Einsatz befindlichen Nutz- und Heilkrautes endlich das Ende der Prohibition und können die Rückkehr in ein Leben ohne berechtigte Furcht vor der Staatsmacht fröhlich am eigenen Leib erfahren. Das sollte einem zu lange ungerecht arbeitenden Justizapparat ein paar Überstunden wert sein – bei circa 4,5 Millionen friedlichen Cannabisnutzern im Erwachsenenalter in Deutschland.