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Hanf Magazin: Herr Hertel, was befähigt Sie dazu, grundlegende Aussagen zur Entwicklung der Hanf-Textilproduktion zu treffen?
Hr. Hertel: In meiner beruflichen Vita habe ich mittlerweile 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Hanfverarbeitung sammeln können. Hinzu kommt mein grundsätzliches großes Interesse an technischen Fragen und Zusammenhängen. 1991 gründete ich, zusammen mit zwei befreundeten Gleichgesinnten, die Firma Colour Connection, mit dem Ziel fairen Handel zu treiben. 1994 wurde Hanf als textiler Rohstoff zum Hauptinteresse der geschäftlichen Aktivitäten.
Schnell wurde damals klar, dass die Hanfverarbeitung als solche mit einem gigantischen technologischen Rückstand zu kämpfen hat. Während der Prohibition von Hanf hat die Technik in der Textilproduktion genauso große Fortschritte gemacht wie in der Automobilindustrie. Doch der Hanf blieb im Gegensatz zu Baumwolle und Kunstfasern außen vor.
Dieses hat umgehend meinen technischen „Spieltrieb“ geweckt und als wir in rumänischen Hanffabriken begonnen haben zu arbeiten, gelang es mir in kurzer Zeit, die damals verfügbaren Qualitäten zu verbessern und diese zu einem neuen Standard zu entwickeln. Zur Veranschaulichung kann man hierbei den Nm Standard (Feinheit des Garns) nehmen. Zu Beginn war die feinste Standardqualität Nm 12, zwei Jahre später etablierte sich Nm 18 als neuer Standard, der qualitativ auch insgesamt hochwertiger war, und anschließend arbeiteten wir bereits an der Entwicklung eines Nm 24 Standards. Zu dieser Zeit hatten wir einen eigenen Vertragsanbau und haben uns bei der Fasergewinnung in der Hanfschwinge (Maschine zur Hanffasergewinnung) engagiert. Hauptsächlich wurde jedoch Detailarbeit beim Verspinnen der Fasern geleistet, aber auch Qualitätssicherung beim Verweben und Weiterverarbeitung implementiert.
Im Jahr 2000 wurde ich zum Ehrendirektor der rumänischen Hanf- und Leinenunion gewählt.
Hanf Magazin: Warum haben Sie heutzutage keinen rumänischen Hanf im Angebot?
Hr. Hertel: Die Privatisierung der rumänischen Staatsbetriebe und entsprechend der gesamten Hanfindustrie, der gesamten Landwirtschaft bis hin zum fertigen Produkt war gekennzeichnet von Korruption und kriminellen Machenschaften. Leider hat sich dabei auch der Rest der westeuropäischen Hanfindustrie (Belgien, Italien) nicht mit Ruhm bekleckert und mit Scheininvestitionen sichergestellt, dass Ihnen aus Rumänien keine zukünftige Konkurrenz entstehen konnte. Das Tragischste dabei war, dass die vorhandene Technik zum allergrößten Teil auf dem Schrottplatz gelandet ist. Für viele dieser Maschinen gibt es bis heute keinen adäquaten Ersatz in der Industrie. Für uns war das Ende der Produktion in Rumänien spätestens mit der Zerstörung der Hanfschwinge in Oradea erreicht. Diese war als Einzige in der Lage ausreichende Mengen an Hanffasern in einer Qualität zu produzieren, wie sie für hochwertiges Textil eine Voraussetzung sind.
Unser langjähriger Partner Steve Logothetis, welcher hauptsächlich mit Schnüren, Seilen und sehr groben Stoffen gearbeitet hat, konnte noch einige Jahre diese gröberen Qualitäten in Rumänien produzieren. Doch selbst hierfür war ab 2005 kein entsprechendes Rohmaterial mehr vorhanden.
Hanf Magazin: Wie machen das dann die Anbieter von rumänischem Hanf, die man weiterhin im Internet findet?
Hr. Hertel: Betrug! Seit der „Wiederentdeckung“ von Hanf wird im Bekleidungsbereich kräftig betrogen. Die Anfangsjahre waren hierbei wohl am schlimmsten. Da fand man bei ökologischen Labels Anzüge aus angeblich 100 % Hanf, in denen noch deutlich die Baumwollsamen erkennbar waren.
Selbst bei echten rumänischen Produkten handelte es sich zum großen Teil, um Leinen statt Hanf und auch Produzenten aus Ungarn waren nicht in der Lage selbst die gröbsten Hanfgarne ohne Zusatz von mindestens 20 % Polyester herzustellen.
Damals entwickelten einige amerikanische Marken auch die Mär vom biologischen Hanf aus Rumänien, welcher gegenüber dem chinesischen angeblich viel nachhaltiger sei. Mit dieser Geschichte versuchen scheinbar noch heute Firmen Geld zu verdienen. Es ist ein Fakt, dass es seit fast zwei Jahrzehnten keine Textilien aus rumänischen Hanf mehr gibt. Textilien, die als solche beworben werden, enthalten entweder gar keinen Hanf oder wurden aus chinesischen Garnen in Rumänien gewebt.
Hanf Magazin: Ist China heutzutage marktbeherrschend und wenn ja, warum?
Hr. Hertel: Lassen Sie mich mit dem „Warum“ beginnen. In China wurde die Hanfindustrie nicht durch eine missratene Privatisierungspolitik zerstört. Man kann sagen, dass die chinesische Hanfproduktion lange Zeit hinter der rumänischen lag. Als wir mit dem Hanf begannen, bekamen wir umgehend Angebote chinesischer Anbieter. Zwei Gegebenheiten haben uns aber lange davon abgehalten, chinesischen Hanf einzusetzen: Erstens wurde aus der Produktion immer ein großes Geheimnis gemacht und für uns kam es nie infrage, Ware aus Fabriken zu kaufen, in denen es uns nicht gestattet war, soziale und ökologische Bedingungen persönlich zu prüfen. Zweitens hatten wir unzählige Tests an Stoffmustern aus China durchführen lassen – mit dem Ergebnis, dass kein Anbieter korrekte Angaben zum tatsächlichen Fasergehalt der Ware machen konnte. Wenn in einem sogenannten 100 % Hanfgewebe ca. 30 % Hanfanteil zu finden war, konnte man schon von einem hohen Anteil sprechen.
Geändert hat sich die Situation erst im Jahr 1999, als wir von einer befreundeten amerikanischen Kollegin einen Fotoreport aus einer chinesischen Hanffabrik bekamen. Es war nicht nur neu, dass Chinesen einen tiefen Einblick in ihre Produktion gewährten, erstaunlicherweise war diese Fabrik zudem gar nicht auf der offiziellen Liste der chinesischen Hanffabriken. Die von uns umgehend angeforderten Stoffmuster waren die Ersten aus chinesischer Produktion, welche tatsächlich 100 % Hanf enthielten.
Es ist meiner Meinung nach eindeutig der Leitung und der Mitarbeiter dieser eigentlichen Baumwollfabrik zu verdanken, dass Hanf in China in den heute verfügbaren Qualitäten erzeugt wird. Man sollte noch immer jegliche Aussagen, insbesondere zum Hanfgehalt, mit Vorsicht genießen – Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Aber die Situation hat sich auch bei anderen Anbietern landesweit verbessert.
Hinzu kommt, dass wir in Rumänien jegliche Innovation, die wir angestoßen haben, selbst investieren mussten. Wenigstens bekamen wir dafür eine 18-monatige Exklusivität auf die daraus entstandenen Produkte zugesichert. In China hingegen wurde bei sämtlichen Äußerungen zu Innovationen eher ein gewisses Desinteresse an den Tag gelegt. Beim nächsten Besuch aber wurden wir von der kompletten Umsetzung, mittels firmeneigener Investitionen, überrascht.
Was letztlich zur heutigen Dominanz Chinas in der weltweiten Hanftextilproduktion geführt hat, ist darüber hinaus ein gewisser Glaube an die Möglichkeiten, die Hanf auch einer modernen Gesellschaft bieten kann, ohne vor hohen Investitionen zurückzuschrecken. Hinzu kommt die Tatsache, dass in China jeder die Vorteile von Hanffasern zu schätzen, weiß, ohne sie negativ zu assoziieren, im Gegensatz zur westlichen Gesellschaft.
Fun Fact: in China haben Konzerne und Brands Hanftextilien im Angebot, welche sie Ihren Kunden in westlichen Ländern niemals „zumuten“ würden.
Hanf Magazin: Warum ist mit den heutigen technischen Möglichkeiten die Hanfverarbeitung zu Textilien noch nicht wiederbelebt worden?
Hr. Hertel: Eine Wiederbelebung findet in China schon statt. Es ist aber auch so, dass in China hinsichtlich des Maschinenbaus die Innovationskraft noch nicht ganz vorhanden ist. Hier sind die westlichen Länder – noch – sehr viel besser aufgestellt, aber denen fehlt es am Glauben in den Rohstoff Hanf und seinen möglichen wirtschaftlichen Erfolg.
Genau aus diesem Grund haben wir im Jahr 2012 die Gesellschaft Bast und Faser GmbH gegründet. Hier wird die Erforschung und Entwicklung von Maschinen zur Gewinnung von Fasermaterial aus nachwachsenden Rohstoffen angestrebt, um zukünftig der Nutzpflanze Hanf wieder den Einzug in verschiedene Bereiche des menschlichen Alltags zu ermöglichen.
Insbesondere hilft uns hoffentlich auch der neuerlich zu spürende Hanf-Boom, vor allem aus Amerika, damit vielleicht doch noch einige große Firmen von den Zukunftschancen dieses Rohstoffes überzeugt werden.
Man muss aber auch klar sagen, dass selbst eine wirtschaftliche Fasergewinnung z. B. in Deutschland, noch lange nicht die gesamte Textilwirtschaft beleben wird, wovon in diesem Land viele träumen. Leider ist bei einem fast ausgestorbenen Industriezweig nicht mehr das nötige Know-how vorhanden, um anspruchsvolle Kleidung herstellen zu lassen. Für die technische Anwendung der Hanffaser z. B. in Verbundwerkstoffen wird aber mittelfristig auch die deutsche Automobilindustrie wenig Alternativen haben, als sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Hanf Magazin: Wie sieht ein Zukunftsszenario aus, in dem Hanfstoffe auch regional wieder produziert werden können? Und was ist dafür nötig, um dort hinzukommen?
Hr. Hertel: Wie bereits erwähnt, glaube ich nicht, dass wir eine komplette Textilindustrie wie einen „Phoenix aus der Asche“ entstehen lassen können, nur weil wir einen besonderen Rohstoff zur Verfügung haben. Investitionen in Spinnereien, Webereien, Strickereien, Färbereien etc. müssten insgesamt wohl gigantisch sein und der Markt dafür bereits existieren. Alternativ, glaube ich, dass Landwirte, die heute schon zu einem großen Teil ihre Hanfsamen, -öl etc. regional vermarkten, dann zukünftig auch ihre Hanfstängel regional zu Faser- und Schäbenprodukten verarbeiten lassen und die hierzulande vorhandene Industrie wie Automobilbau und Bauwirtschaft mit diesem wertvollen Rohstoff versorgen können.