Gut Ding braucht Weile und manchmal benötigt es sogar viele Jahre an Geduld, Durchhaltevermögen und Visionskraft, um eine Idee zu verwirklichen und wahr werden zu lassen. Solche und noch mehr Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich im September 2020, mitten in einer weltweit schwierigen Zeit im Nachtzug von Mailand nach Wien zurückfahre und glücklich auf eine Papiertasche voller Hanfstoffe blicke. Froh darüber, dass es möglich war, diese Reise nach diesem herausfordernden, pandemischen Frühjahr überhaupt wieder antreten zu können. Und dann diese schöne Überraschung in Mailand!
Auf einmal verknüpfen sich viele Fäden aus der Vergangenheit und ergeben ein schönes Webbild, um es in textiler Sprache zu sagen. Vor fünf Jahren, als ich das erste Mal nach Mailand fuhr, stattete ich derselben Firma wie dieses Mal einen Besuch ab: Maeko Tessuti. Damals frisch entdeckt auf der Internetplattform „Interloom“, einem Online-Vermittlungsmarktplatz für Produzenten und Labels im Bereich nachhaltiger Materialien, hatte ich Kontakt aufgenommen und erste Muster von verschiedenen Hanfstoffen zugesandt bekommen. Angetan von deren Qualität und Vielfalt beschloss ich, mit einer befreundeten Designerin hinzufahren, um mehr über die Herstellungsweise, den Ursprung der Fasern etc. zu erfahren. Ich wollte für meine Kreationen einwandfrei rückverfolgbare, nachhaltig hergestellte Stoffe verwenden und musste zu meinem Bedauern feststellen, dass dies ganz und gar nicht einfach war.
Schon zum damaligen Zeitpunkt war offensichtlich, dass die europäische Textilindustrie in puncto Hanfverarbeitung nicht mehr viel zu bieten hatte, dass die Wertschöpfungskette zurück bis zum Hanffeld bei den meisten Herstellern intransparent war und auch vieles Nachfragen nicht viel ans Licht brachte. Auch an Maeko Tessuti hatte ich einen kleinen Fragenkatalog vorsorglich schon einmal ins Italienische übersetzt, geschickt und nie beantwortet bekommen. Doch ich ließ mich nicht entmutigen und tauchte trotz kurzfristiger Terminabsage mit meiner Freundin an der Adresse der Firma am Mailänder Stadtrand auf.
Wir hatten Glück. Wir trafen auf Mauro Vismara, den Firmengründer, der aufgrund der Teilnahme an der Stoffmesse Première Vision in Paris gerade schwer beschäftigt war. Ich stellte meine Fragen auf Englisch und musste aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten einsehen, dass alles, was ich in diesem Moment bekommen konnte, fein gewebte und gestrickte Hanfstoffe waren, deren Schönheit mich von Anfang an bezauberten, selbst wenn die Herkunft der Rohfaser in China liegen sollte. Dass der Hanf in Italien versponnen, gefärbt, gewebt oder verstrickt wurde, und zwar unweit von Mailand, zum Beispiel in Como, wusste ich schon damals und im Vergleich zu anderen Herstellern war das schon viel. Die Jahre vergingen und ich bestellte immer wieder in kleinen Mengen und fuhr 2019 wieder hin.
Der Firmenstandort war zwar noch immer am Stadtrand in einem Souterrain, das als Stofflager und Büro diente, doch am Online-Shop und der Kommunikation nach außen konnte ich positive Entwicklungen feststellen. Hier hatte wirklich jemand eine Vision, die einerseits an das traditionelle Erbe Italiens im Textilbereich anschließen wollte und andererseits einen innovativen und experimentellen Ansatz zulassen konnte und sich als horizontale Service-Agentur für verschiedene Labels im Textilsektor etabliert hatte. Die Frische des Quereinsteigers Mauro Vismara, der 1998 seinen Job als Osteopath aufgegeben hatte und sich von da an der Entwicklung von nachhaltigen, umweltverträglichen Textilien aus Naturfasern widmete, entpuppte sich als kreative Kraft, die ebenso von Cinzia Vismara, Mauros Frau, mitgetragen wurde.
Schließlich sah ich mit Wohlwollen auf ihren Social Media-Kanälen erste Bilder von Hanffeldern in Italien, wo man die für Textilien besonders gelobte Hanfsorte Carmagnola anbaute und erste Experimente anstellte. Man hegte den gleichen Wunsch wie einige Akteure in Deutschland und Österreich, zu denen ich mich auch zähle, nämlich die niedergegangene Textilverarbeitung im Hanfsektor wiederzubeleben und in regionaler Verarbeitung hochwertige Stoffe zu produzieren. Denn warum sollte man das in Europa eigentlich nicht schaffen? Für mich gibt es seit September auf diese Frage eine Antwort und die lautet – es geht. Ich beförderte nämlich solch einen Hanfstoff in diesem September im Nachtzug über die Grenzen und ich freute mich unheimlich dabei, Regionalität im Sinne einer europäischen Idee zu verstehen.
Das Team um Maeko Tessuti hat mich wirklich überrascht bei meinem diesmaligen Besuch. Ihr sogenanntes RIFLOC-Projekt hat erste Früchte getragen. Aus der letztjährigen Carmagnola-Hanfernte in San Mauro Pascoli in der Region Emilia-Romagna ist der erste Hanfstoff entstanden, über dessen Faserherkunft man nun nicht mehr munkeln braucht.
Da die in San Mauro Pascoli geernteten Carmagnola-Fasern mit Hanffasern aus Nordeuropa gemischt wurden, wurde dem Stoff der passende Beiname „Canapa Europea“ gegeben. Die alte Spinnerei, in der die Fasern zu Garn versponnen wurden, befindet sich in Biella und wurde von Mauro Vismara mittlerweile übernommen. Ein wichtiger Schritt, nicht nur zum Verspinnen von Hanffasern, sondern auch zum Verspinnen anderer Naturfasern wie regionaler Wolle und zur Erhaltung der technischen Möglichkeiten und dem Know-how.
Ein erster Durchbruch ist damit jedenfalls geschafft. Hoffentlich mit Vorbildwirkung und Motivationskraft, denn um eine Textilbranche europäischer und umweltfreundlicher zu gestalten, braucht es nicht nur ein Unternehmen, es braucht viele, die das gleiche wollen und an einem Strang ziehen. Und es macht einen Unterschied, wenn man als DesignerIn, SchneiderIn oder HandwerkerIn weiß, welche Leidenschaft, guter Wille und Vision in einem Stoff steckt, den man verarbeitet. Deswegen setze ich mich immer wieder gerne an die Nähmaschine und hoffentlich bald auch wieder in den Zug – dann nach Biella, um die alte Spinnerei zu besichtigen.