Bedingt durch die Coronapandemie, dem darauffolgenden Bau-Boom sowie diversen Problemen bei der Containerwirtschaft, fehlen der Baubranche weltweit essenzielle Materialien – liefert Hanf die Lösung für diesen Baustoffmangel? Vom Mangel betroffen sind insbesondere Holz, Zement und Stahl sowie Kunststoffe und Dämmmaterial. Während Holzalternativen, Kunststoffprodukte und Dämmung längst aus Hanf hergestellt werden können, rückt vorwiegend der sogenannte Hanfbeton (engl. Hempcrete, oder lime hemp concrete (LHC)) weiter in den Fokus der Industrie.
Was ist Hanfbeton?
Hanfbeton ist ein Verbundwerkstoff, bestehend aus Wasser, einem kalkhaltigen Bindemittel sowie den Schäben der Hanfpflanze. Letztere sind holzige Teilchen, die bei der Gewinnung von Hanffasern anfallen.
Je nach Anwendungsgebiet kann Hanfbeton entweder als gepresster Ziegel oder analog zum herkömmlichen Spritzbeton angewendet werden. Der 3D-Druck von Fertigbauteilen ist ebenfalls möglich. Auch bogenförmige Bauteile sind machbar, sodass komplexere Konstruktionen kein Problem darstellen. Frischer Hanfbeton kann nur bei Temperaturen oberhalb von 5 °C verwendet werden, da Kalk ansonsten nicht sauber aushärten kann bzw. bei Frost sogar „erfriert“.
Durch den produktionsbedingt hohen Lufteinschluss weist das Material eine hervorragende thermische und akustische Dämmleistung auf. Es ist dabei dampfdurchlässig und nicht entflammbar. Das Material kann je nach Verarbeitung zur Konstruktion von Wänden, Böden und Dächern eingesetzt werden. Durch das vergleichsweise geringe Gewicht kann ein flacheres Fundament zur Anwendung kommen.
Hanfbeton ist umweltfreundlich
Der vorteilhafte CO₂-Fußabdruck gilt als herausragendes Merkmal des Werkstoffes. In der Theorie kann Hanfbeton netto negativ hergestellt werden und kann als Negativemissionstechnologie bezeichnet werden. Die Hanfpflanze bindet in ihrer Wachstumsphase atmosphärisches CO₂ mittels Fotosynthese und das gebundene Kohlendioxid bleibt für den gesamten Lebenszeitraum des damit konstruierten Gebäudes eingeschlossen.
Eine vereinfachte Rechnung verdeutlicht diese Aussage:
Ein Hektar Hanf liefert einen Ertrag von etwa 8 Tonnen, aus denen – neben anderen wertvollen Erzeugnissen – 4,8 Tonnen Schäben gewonnen werden. Darin sind ungefähr 10 Tonnen CO₂ gebunden.
Für einen Kubikmeter Hanfbeton-Wand werden 100 kg Hanfschäben sowie 220 kg Kalkbinder benötigt. Während der Hanf ca. 202 kg CO₂ bindet, werden bei der Verarbeitung des Kalkbinders ca. 94 kg CO₂ emittiert. Daraus folgen rein rechnerisch 108 kg absorbiertes CO₂.
Eine herkömmliche Ziegelwand (1 m2) bedeutet einen CO₂-Ausstoß von ca. 100 kg/m2. Eine damit vergleichbare 30 cm starke Wand aus Hanfbeton bindet dagegen 40 kg/m2. Rechnet man dieses Ergebnis auf die Größe eines durchschnittlichen Wohnhauses, werden bis zu 50 Tonnen CO₂ gebunden. (Die Rechnung ist einer Studie von Bedlivá und Isaacs (2014) entnommen). Weiterhin ist das Material sowohl biologisch abbaubar als auch recycelbar.
CO2-Bindung ist nicht immer gegeben
Hanf hat eine geringe Schüttdichte, was sich negativ auf die Lagerungs- und Transportkosten auswirkt und damit auch indirekt für einen höheren Energieaufwand sorgt. In Bezug auf die Verringerung der Treibhausgasemission ist es deshalb nicht unerheblich, dass der verwendete Hanf möglichst standortnah produziert wird, um die Transportwege möglichst kurzzuhalten.
Üblicherweise kann Hanfbeton nicht ohne Weiteres für tragende Wände eingesetzt werden, was eine Unterkonstruktion aus anderen Materialien erfordert. Diverse Studien (bspw. Mukherjee/MacDougall 2013) weisen zwar darauf hin, dass hochverdichteter Hanfbeton (>715 kg/m3) auch direkte Lasten aufnehmen kann, doch scheint dies zulasten der CO₂-Bilanz zu gehen. Als grobe Richtlinie gilt: Ab einer Dichte von mehr als 300 kg/m3 wird mehr CO₂ emittiert als durch den Hanfanbau gebunden wird (vgl. Arehart/Nelson/Srubar 2020). Allerdings hängt diese Rechnung stark vom verwendeten Bindematerial ab, sodass ein Innovationsspielraum für weniger CO₂-intensive Mischungen bleibt.
Bauwerke aus Hanf
Hanf-Architektur ist keine moderne Erscheinung: Der „Nakamura-Wohnsitz“ in Nagano, Japan ist eines der ältesten erhaltenen Gebäude, bei dem Hanf als wesentliches Baumaterial für Dach und Innenwände verwendet wurde. Das Gebäude wurde bereits im Jahr 1698 errichtet und gilt heute als nationales Kulturerbe Japans und erfreut sich großer Beliebtheit unter Touristen.
Moderner Hanfbeton wurde dagegen erst Mitte der 1980er-Jahre in Frankreich entwickelt, um verfallene Fachwerkhäuser zu renovieren. Vormals wurden die durch beide Weltkriege beschädigten historischen Gebäude mit herkömmlichen Zementmischungen repariert, was durch die fehlende Atmungsaktivität zu enormen Schäden an der Holzkonstruktion führte.
Heute existieren zahlreiche moderne Hanf-Gebäude. Neben Ein- und Mehrfamilienhäusern wurden auch bereits größere Bauvorhaben realisiert, insbesondere solche, bei denen Wert auf Ökobilanz und modernes Design gesetzt wird. Explizit erwähnenswert sind dabei das „Pierre Chevet sports centre“ – ein Sportzentrum, das als erstes öffentliches Hanfbeton-Gebäude in Frankreich gilt, sowie das „Bright Building“ auf dem Campus der University of Bradford (England), welches als bisher größtes Projekt gilt, bei dem Hanfbeton eine Anwendung fand.
Herstellungskapazität: Hoher Spielraum nach oben
In der EU wurden im Jahr 2020 ungefähr 34.000 Hektar mit Hanf bewirtschaftet. Je nach Standortbedingungen können auf dieser Fläche zwischen 90.000 und 200.000 Tonnen Hanf geerntet werden. Sehr wahrscheinlich kann aufgrund der erwarteten Liberalisierung der Cannabispolitik (nicht nur in den europäischen Ländern), auch mit einer entsprechenden Steigerung der Produktion gerechnet werden.
Weltweit steigt der Bedarf für Beton stetig an. Gleichzeitig wird das Thema CO₂-Neutralität immer konkreter, was dem Sektor des Hanfbetons ein hohes Wachstumspotenzial ermöglicht. Doch bis der weltweite Bedarf an Beton durch Hanfalternativen auch nur zu wenigen Prozent gedeckt werden kann, müssen die Herstellungskapazitäten drastisch erhöht werden. In vielen Ländern wird die aufstrebende Hanfwirtschaft durch die restriktive Gesetzeslage ausgebremst. Nur mit dem Freigabeschein der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) darf Hanf legal angebaut werden – obwohl der THC-Gehalt der Nutzhanfsorten eine Verwendung als Rauschmittel gewissermaßen ausschließt. Weiterhin fehlen in Deutschland wichtige Vermarktungsoptionen für die Landwirte. Die hanfverarbeitenden Betriebe im Land lassen sich an einer Hand abzählen – die weiten Transportwege machen den Hanfanbau schlichtweg unattraktiv.
Ausblick
Hanfbeton zeigt sich als aussichtsreicher Kandidat für die klimaneutralen Bauvorhaben der Zukunft. So hat Frankreich unter anderem einen Gesetzesentwurf vorgestellt, nach dem alle neu gebauten öffentlichen Gebäude zu mindestens 50 Prozent aus natürlichen Materialien bestehen müssen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich in Deutschland auf Länderebene ausmachen. Andere europäische Länder werden diesem Beispiel sehr wahrscheinlich folgen, wollen sie ihre CO₂-Ziele erreichen. Holz-Hanf-Mischkonstruktionen könnten dabei eine herausragende Rolle spielen.
Bisher zeigt Hempcrete seine Stärken eher im Bereich von kleinen bis mittelgroßen Bauprojekten, wo der Werkstoff vor Ort in einem aufwendigen Prozess hergestellt wird und dort einen vergleichsweise langen Zeitraum zum Trocknen benötigt. Diverse Anbieter setzen deshalb nun auf Fertigbauteile, die im Werk gepresst und vor Ort aufgebaut werden. Die Aufbauzeit eines Einfamilienhauses kann somit auf eine Woche verkürzt werden. Darüber hinaus wird dadurch eine Verarbeitung unabhängig von der Außentemperatur gewährleistet.
Massive Bauprojekte dagegen, wie sie beispielsweise in China vorangetrieben werden, sind bis auf Weiteres auf den herkömmlichen klimaschädlichen Beton angewiesen – es bleibt abzuwarten, wie weit die Nutzhanfproduktion in den kommenden Dekaden nach oben skaliert werden kann, sodass auch solche Bauvorhaben wenigstens zum Teil auf Hanf setzen können. Die positiven baulichen und ökologischen Eigenschaften sprechen jedenfalls deutlich für eine großflächige Anwendung von Hanfbeton. Das einzige Nadelöhr stellt die noch geringe Nutzhanfproduktion sowie die ausbaufähige Infrastruktur dar. Nun ist die Politik am Zuge, unnötige Hürden beim Hanfanbau zu beseitigen und den Neubau mit Hanf, sowie die verarbeitende Industrie gegebenenfalls durch finanzielle Anreize zu fördern.
Quellen und weiterführende Links
Arehart, J. H./Nelson, W. S./Srubar, W. V. (2020): On the theoretical carbon storage and carbon sequestration potential of hempcrete. In: Journal of Cleaner Production, 266. Jg., S. 121846.
Bedlivá, H./Isaacs, N. (2014): Hempcrete – An Environmentally Friendly Material? In: Advanced Materials Research, 1041. Jg., S. 83–86.
Mukherjee, A./MacDougall, C. (2013): Structural benefits of hempcrete infill in timber stud walls. In: International Journal of Sustainable Building Technology and Urban Development, 4. Jg., H. 4, S. 295–305.