Wer träumt nicht vom Eigenheim? Eigentlich nur der, der schon eines besitzt. Das Ziel oder der Wunsch, sein Geld nicht monatlich einem Vermieter in den Rachen zu werfen, ist wohl etwa so alt wie das Konzept der Miete selbst. Jedermann würde anstelle der Miete für sein Geld doch lieber das Besitzrecht an seiner Bleibe erwerben. Der große Hausbau steht allerdings für viele Menschen nicht zur Debatte. Wer hat heute noch Geld für einen Neubau, das Grundstück oder die Nerven für das lang andauernde Bauprojekt? Diese Punkte sind nur ein Teil der Begründung für den Tiny House Trend, der vorwiegend die jüngeren Generationen begeistert.
Mit einem Tiny House wollen die Leute nicht nur Geld sparen. Es geht vielen darum, eine neue Lebensqualität zu bekommen, abseits von Konsum und dem Ersticken in einem Sammelsurium von unnötigem Besitz. Ein Tiny House macht das Leben pur und reduziert es aufs Wesentliche. Die Reduktion von Besitz bedeutet hier einen Zugewinn an Leben. Wenn man dieses Konzept noch um den Faktor Bauen mit nachhaltigen Baustoffen erweitert, entsteht ein neues, enorm positives Lebensgefühl. Der Hanfingenieur Henrik Pauly hat ein solches kleines Hanfhaus, also Tiny Hemp House, kürzlich fertigstellen können.
Hanf Magazin: Ihr habt gerade kürzlich ein Hanf-Tiny-House fertiggestellt. Ein solches Projekt finde ich, wie viele unserer Leser wahrscheinlich auch, sehr reizvoll. Wie bist Du eigentlich dazu gekommen, mit Hanf zu bauen?
Henrik Pauly: Für Nutzhanf begeistere ich mich schon seit meinem 11. Lebensjahr – damals war ich im Hanfhaus in Reutlingen. Ich war fasziniert davon, was man alles aus nur einer Pflanze machen kann! Das ging so weit, dass ich in der Schule meine mündlichen Abschlussprüfungen in Deutsch, Englisch und sogar Französisch über Nutzhanf hielt. Nach einer Ausbildung zum Stahlbetonbauer studierte ich Bauingenieurwesen. Bei der anschließenden Arbeit auf Großbaustellen wuchs in mir von Projekt zu Projekt die Unzufriedenheit, da ich mich mit großen Shoppingcentern und Bürokomplexen weder identifizieren konnte – noch wollte.
Vor drei Jahren hatte ich dann ein Bauprojekt in Berlin und lernte das Hanf Museum kennen, wo ich für kurze Zeit an den Wochenenden ehrenamtlich mitgearbeitet hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt glaubte ich, nahezu alles über die Hanfpflanze und was man aus ihr machen kann, zu wissen. Doch im Hanf Museum sah ich dann zum ersten Mal diesen massiven Dämmstoff aus Hanf und Kalk. Noch dazu bekam ich im Museumsshop das Buch von Steve Allin „building with hemp“ in die Finger – ein Buch über das Bauen mit Hanf. Einige Recherchen führten mich bald darauf zum internationalen Hanfbau-Symposium, welches jedes Jahr an einem anderen Ort der Welt veranstaltet wird. Meine Neugier war geweckt und ich buchte kurz entschlossen einen Flug nach Brüssel, um mehr über die Menschen zu erfahren, die bereits jahrelang mit dem Baustoff Hanf arbeiten und ihn erforschten.
Es war überwältigend und faszinierend, die Hanfbau-Fachleute aus aller Welt kennenzulernen! Zu meiner Überraschung war ich nicht der einzige Deutsche auf diesem Symposium. Wir trafen uns von da an regelmäßig, um uns darüber auszutauschen, wie der Hanfbau in Deutschland vorangebracht werden könnte – es war die Geburtsstunde des Hanfbau-Kollektives, dem mittlerweile Hanfbau-Experten aus ganz Deutschland angehören. Ich fand heraus, dass es in Deutschland bisher nur eine Handvoll Hanfkalk-Projekte gegeben haben muss. Das wollte ich ändern und habe für mich eine Nische und gleichzeitig die Chance entdeckt, etwas Nachhaltiges und wirklich Sinnvolles mit meinem Beruf anzufangen.
Hanf Magazin: Wie viele Gebäude hast Du schon unter Verwendung von Hanf realisiert? Werden es mehr?
Henrik Pauly: Die letzten zwei Jahre waren davon geprägt, Materialien zu testen, Rezepturen auszuprobieren, Modelle zu bauen und mein Hanfbau-Netzwerk auszubauen. Diese Zeit war sehr wertvoll und hat den Grundstein für mein Unternehmen gelegt. Nachdem ich an einigen Projekten bereits mitgewirkt habe, war das Haus bei Berlin nun mein erstes eigenes Projekt. Ich war maßgeblich für die Ausführungsplanung und den Hanf-Bau verantwortlich. Derzeit erstelle ich die Planung für weitere Hanfkalk-Projekte und habe inzwischen einen ersten Mitarbeiter in meinem Planungsbüro. Erfreulicherweise bekomme ich sehr viele Anfragen für Hanfbau-Projekte aus ganz Deutschland und werde deshalb in diesem Jahr voraussichtlich in ganz Deutschland tätig sein. Ich bin daher guter Dinge, dass die Nachfrage nach Hanf-Gebäuden Bestand haben wird und auch im nächsten Jahr weitere Hanf-Gebäude entstehen werden.
Hanf Magazin: Was würdest Du sagen, was sind die größten Unterschiede beim Realisieren eines Hanf-Gebäudes? Ist es schwieriger, einfacher, oder im Prinzip im Ablauf gleich wie ein herkömmlicher Bau?
Henrik Pauly: Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, sind Hanfbau-Projekte vom Anspruch her mit herkömmlichem Bauen vergleichbar. Wie erwähnt gibt es jedoch in Deutschland noch kaum Handwerker, Architekten und Ingenieure, die sich mit Hanf-Baustoffen gut auskennen oder darin Erfahrung haben. An dieser Stelle ist für den Erfolg eines Hanfbau-Projektes in jedem Fall für die Planung und Ausführung ein Hanfbau-Spezialist von essenzieller Bedeutung. Denn der Teufel steckt oft im Detail – hier sind Erfahrung und Fachwissen gefragt. Deshalb widme ich mich mit meiner Firma zu 100 % nur Hanfbau-Projekten. Vom Anspruch auf der Baustelle ist ein Hanfbau-Projekt ähnlich anzusehen. Einfacher deshalb, weil in Summe weniger verschieden Materialien im Gebäude eingesetzt werden, da der Hanfkalk viele Aufgaben gleichzeitig übernehmen kann. Für die Planung und spätere Ausführung ist ein Spezialist, der sich mit Hanf-Baustoffen gut auskennt, von essenzieller Bedeutung.
Hanf Magazin: In Gesprächen mit Hanf-Architekten und Herstellern von Hanf-Baustoffen habe ich erfahren, dass es im deutschsprachigen Raum noch wenige Baubetriebe gibt, die mit Hanf-Baustoffen arbeiten können. Empfindest Du das auch so und denkst Du, dass sich das schnell ändern wird?
Henrik Pauly: Der Mangel an Fachkräften in diesem Bereich ist in der Tat eine Herausforderung, der wir uns im Hanfbau derzeit stellen müssen. Ich sehe an allen Ecken und Enden einen Bildungsbedarf. Vom Handwerker bis zum Planer, wir müssen alle mitnehmen. Um diesem Defizit zu begegnen, veranstalte ich regelmäßig Workshops und Seminare über das Bauen mit Hanf. Doch die Seminare sind erst der Anfang. Was wir brauchen, sind konkrete Bauprojekte, um unser Wissen anzuwenden und die entstehenden Erfahrungen auszutauschen. Im Winter wird es erstmals ein Planer-Seminar geben, in welchem ich Architekten und Ingenieure für Hanf im Bauwesen schule. Durch die Seminare und Projekte in den letzten zwei Jahren habe ich mittlerweile ein starkes Netzwerk von Hanfbau-Spezialisten, auf das ich bei anstehenden Projekten zurückgreifen kann.
Hanf Magazin: Auch wenn der Begriff Tiny House nicht ganz streng definiert ist, verstehen viele darunter ein mobiles Haus, das auf Rädern steht. In Deutschland sind da in der Regel bestimmte Voraussetzungen einzuhalten, insbesondere in den Abmessungen und im Gewicht. Kann man diesen Voraussetzungen mit Hanf als Baustoff gut gerecht werden oder ist es eher schwierig?
Henrik Pauly: Für ein kleines Tiny-House auf einem PKW-Anhänger mit nur 3,5 t zulässigem Gesamtgewicht ist Hanfkalk einfach zu schwer. Hier würde ich auf Hanfwolle zurückgreifen, welche extrem leicht im Gewicht ist und als Stopfwolle eingesetzt auch zu 100 % natürlich ist. Leider ist das Problem bei mobilen Tiny Houses allgemein, dass sie wegen ihrer leichten Bauart kaum Wärme-Speichermasse haben. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Mit einer LKW-Wechselbrücke als Unterkonstruktion kann ein Tiny House bereits gut mit Hanfkalk gebaut werden, was Reinhold Straub in der Ausgabe 06 vom November 2019 (siehe Fotos dort) beweist. Hier wurde die gesamte Gebäudehülle, also Boden, Wände und Decke in Kombination mit einem Holzständerwerk aus Hanfkalk gebaut. Der Einsatz von Hanfkalk lohnt sich also immer dann, wenn das zulässige Gesamtgewicht größer als 3,5 t ist.
Hanf Magazin: Stell Dir vor, ein Leser liest jetzt diesen Bericht und möchte gern direkt mit der Planung eines Hanf-Tiny-House beginnen. Worauf sollte er sich einstellen? Was sollte er unbedingt berücksichtigen?
Henrik Pauly: Zuallererst braucht er/sie eine Genehmigungsplanung vom Architekten und eine Baugenehmigung von der zuständigen Behörde. Auch sollte sich die angehende Bauherrin/ der angehende Bauherr vorab von einem Architekten eine realistische Kostenschätzung erstellen lassen, um die Finanzierung von Anfang an im Überblick zu behalten. Erfahrungsgemäß sind das die wichtigsten zwei Punkte, die zu Beginn eines Projektes geklärt werden sollten. Und er/sie sollte sich natürlich unbedingt darauf einstellen, zukünftig in einem gesunden und ökologischen Haus zu leben und sich pudelwohl zu fühlen.
Hanf Magazin: Mit welchem Aufwand bezüglich Zeit und Geld sollte man unbedingt rechnen, bevor man solch ein Tiny House Projekt angeht?
Henrik Pauly: Für ein vergleichbares Projekt wie das bei Berlin (27 m2) lagen die Materialkosten für den Hanfkalk bei 3.500 EUR. Hätte man die Außenwand als klassischen Holzrahmenbau (Holzplatten, Zwischensparrendämmung und Holzweichfaserdämmung) gebaut, wären die Materialkosten bei über 5.000 EUR gewesen. Die Lösung mit Hanfkalk war also nicht nur deutlich günstiger, sondern auch ökologischer, da Hanfkalk im Gegensatz zu dem anderen Wandaufbau frei von Formaldehyd, Polymeren und anderen Klebstoffen ist. Insgesamt sollte man für solch ein Tiny House zwischen 70.000 € und 120.000 € für das gesamte Projekt berechnen – abhängig davon, wie viel du selbst Hand anlegst und welche (primär technische) Ausstattung gewünscht ist.
Für die Planung und Baugenehmigung solltest du mindestens zwei bis drei Monate einkalkulieren, bevor du mit dem Bauen beginnen kannst. Die reine Bauzeit des Hauses geht dann sehr schnell: Vom Fundament bis zum fertigen Haus sind es mit Ausnahme vom Putz an den Wänden nur drei bis vier Wochen! Den Putz sollte man erst auftragen, wenn der Hanfkalk fertig durchgetrocknet ist. Das ist bei dem Tiny House nach maximal drei Monaten der Fall. Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Haus kannst du also ca. 6 bis 8 Monate rechnen.
Hanf Magazin: Welche Teile eines Gebäudes können generell gut mit Hanf gebaut werden, an welchen Stellen macht es weniger Sinn, bzw. wo ist es schwieriger?
Henrik Pauly: Der massive Bau- und Dämmstoff Hanfkalk kann hervorragend in allen Bereichen der Gebäudehülle eingesetzt werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass Hanfkalk auf unterschiedliche Weise verarbeitet werden kann: Als Mauerwerk, Fertigteil, vor Ort gemischt und in die Schalung eingebracht, oder gesprüht. Am häufigsten kommt Hanfkalk in Außenwänden in Verbindung mit einem Holzfachwerk und Ständerwerk zum Einsatz. Aber auch im Fußbodenaufbau, in Geschossdecken und auf dem Dach wird Hanfkalk erfolgreich eingesetzt. Für Innenwände wähle ich gerne Lehm-Baustoffe wie Hanf-Lehm-Schüttungen und Hanf-Lehm-Bauplatten, da Lehm die Luftfeuchtigkeit im Gebäude sehr gut reguliert.
Hanf Magazin: Welche Eigenschaften hat ein Hanfgebäude, die ein herkömmliches Haus vielleicht nicht hat, oder in denen es zumindest benachteiligt ist?
Henrik Pauly: Der klare Vorteil von Hanfgebäuden ist die Diffusionsoffenheit und das Verhältnis von Wärmedämmung zu Wärmespeicherung. Was man Textilien aus Hanf häufig nachsagt, stimmt auch bei Häusern aus Hanf: Cool when it’s hot; hot when it’s cool! Damit ist gemeint, dass sich Häuser aus Hanf im Sommer nicht so sehr aufheizen wie konventionell gebaute Massivhäuser mit Wärmedämmverbundsystem. Das liegt an der Kondensationsenergie, die durch die diffusionsoffene Bauweise und den Einsatz von Hanfkalk unterstützt wird. Im Volksmund sagt man: „Die Wände können atmen.“ Doch das ist bei Weitem nicht alles. Es ist vielmehr der konsequente Einsatz von natürlichen Baustoffen und eine vernünftige und gut durchdachte Planung, die ein Haus aus Hanf so lebenswert machen. Weitere Informationen findet man hierzu auf meiner Homepage.
Hanf Magazin: Sowohl die Verwendung von Hanf allgemein als auch Tiny Häuser sind aktuelle Trends. Beides hat etwas damit zu tun, dem Leben einen gewissen Mehrwert zu geben. Wie wird sich das entwickeln? Sind eigentlich rechtliche Erleichterungen für die bisher im Baurecht wenig berücksichtigten Tiny Häuser in Sicht?
Henrik Pauly: Hier möchte ich mit einem Beispiel beginnen. Noch vor 10 Jahren gab es in Deutschland nur wenige Bioläden, und diese wurden milde belächelt. Heute gibt es in jeder Stadt gleich mehrere Bioläden, Unverpackt-Läden erobern neue Territorien und jeder Supermarkt hat eine Bio-Linie. Ich ziehe bei diesem „Bio-Trend“ gerne einen Vergleich zum ökologischen Bausektor. Dabei muss man wissen, dass sich auf dem Bau alles immer etwas verzögert entwickelt. Ich bin mir sicher, dass wir noch einen großen „Öko-Aufschwung“ in den nächsten Jahren erleben werden. Hanf wird aus dem ökologischen Bauen nicht mehr wegzudenken sein, dafür hat Hanf einfach zu viele Vorteile. Auch glaube ich, dass die Tiny Häuser eine Antwort auf die so wichtige Unabhängigkeit und Freiheit der jungen Generationen sind.
Es wird vielleicht noch 10 bis 20 Jahre brauchen, bis es völlig normal sein wird, mit Hanf zu bauen. Aber die Zeit wird kommen. Rechtliche Erleichterungen für Tiny Häuser habe ich bisher nur regional in einzelnen Kommunen erlebt. Aber Politik geht ja schließlich vom Volke aus.
photocredit: @Lara-Marie Krauße