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Das Null Kilometer Haus aus Hanf
In Gedanken erinnert sich Kristaps Eglitis an den Geschmack der traditionellen lettischen Hanfsamenbutter auf den üppigen und bunten Märkten und an das Aroma von Hanfblüten. Diese Erinnerungen stammen aus seiner Kindheit im ländlichen Lettland vor ungefähr 40 Jahren.
Als er hörte, wie Menschen auf einmal über CBD sprachen, wusste er nicht einmal, dass es sich dabei um eines von vielen Cannabinoiden der Hanfpflanze handelt. Es dauerte bis ins Jahr 2015, als Kristaps wirklich auf Hanf aufmerksam wurde und herausfand, dass man Hanfbeton für den Bau von Häusern verwenden kann. Von diesem Zeitpunkt an begann für Kristaps bis zur Entwicklung und Veröffentlichung des HurdMaster MD1000 Hemp Micro Decorticator, ein Gerät zum Schälen von Hanfstängeln, gegen Ende des Jahres 2019 eine beschwerliche Reise mit jeder Menge Entdeckungen über die Pflanze und Innovationen für die Nutzung ihres gesamten Potenzials.
Nach dem Abschluss einer Kunsthandwerk-Ausbildung zum Metallbauer mit Anfang 20 übernahm Kristaps die Werkstatt seines Vaters in zweiter Generation und verbrachte viel Zeit mit der passionierten Herstellung von Schmuck und industriellem Metallschweißen. Der Wunsch, funktionelles Design und handgemachte Objekte miteinander zu verbinden, ist sein Markenzeichen und entfachte den Wunsch, letztlich ein eigenes Haus für seine Familie zu bauen.
An diesem Punkt trafen sein praktisches Arbeitsverständnis auf die vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten der Hanfpflanze. In Polen traf Kristaps auf seinen Mentor, den Belgier Wolf Jordan und es entwickelte sich die Idee, ein Haus aus Hanfbeton zu bauen.
Die sechsköpfige Familie suchte ohnehin gerade nach einer Möglichkeit, dem lauten Stadtzentrum von Riga Lebewohl zu sagen, um mehr Zeit in der Natur verbringen zu können und angesichts vier heranwachsender Kinder mehr Platz zur Verfügung zu haben.
Kristaps‘ Traum von einem Haus aus Hanfbeton wurde immer stärker und stärker. Begünstigt wurde der Wunsch auch durch das Familienanwesen auf halber Strecke zwischen der Hauptstadt Riga und der Ostsee, in der Stadt Ādaži: Der perfekte Ort, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Das Gelände des alten Familienanwesens war sogar groß genug, um für die Produktion des Rohmaterials für die Dämmarbeiten am bestehenden Blockhaus ein entsprechend großes Hanffeld anzulegen.
Dank dieser Möglichkeit musste sich Kristaps nicht weiter, mit der schwierigen Aufgabe auseinanderzusetzen, den Rohstoff für den Bauprozess in seinem eigenen Land aufzutreiben. Der grundlegende Hauptbestandteil von Hanfbeton sind Schäben aus dem inneren Kern des holzigen Hanfstängels, gemischt mit Kalkstein und einem Bindemittel. Nicht einmal die lettische Hanfgemeinde konnte ihm bei seiner Suche nach Hanfschäben in Lettland behilflich sein. Als die Setzlinge auf dem Feld rund um das zukünftige Familienhaus aus der Erde kamen, musste man einen Weg finden, den in nur dreieinhalb Monaten erntereifen Hanf zu verarbeiten.
Anstatt für diesen Schritt eine Verarbeitungslinie einzusetzen, stieß Kristaps auf die sperrige Erfindung des australisch-lettischen Erfinders Voldemars Cirulis: Ein mittelgroßer, aber ineffizienter Dekortikator, der die Schäben von der Bastfaser der Pflanze trennt.
Dank seines technischen Verständnisses begann er sofort damit, die bestehende Maschine in ein viel kleineres und effizienteres Gerät umzuwandeln, das leicht in seinem Auto von der Metallwerkstatt zu dem ländlichen Grundstück in Ādaži transportiert werden konnte.
Was als eine Erfindung zur Selbsthilfe begann, um seinem persönlichen Traum vom Bau eines eigenen Einfamilienhauses zu verwirklichen, entwickelte sich zu einem robusten, hocheffizienten und zugleich handlichen Dekortikator für Hanfbauern, die unabhängig von weit entfernten Verarbeitungslinien und hohen Transportkosten für das benötigte Rohmaterial sein wollen.
Die Schäben sind nur eines von vielen Produkten, die der Hurdmaster herstellen kann. Um den Preis von 10.000 € pro Maschine zu rechtfertigen, ist er in der Lage, neben Schäben auch Tiereinstreu, Pflanzenstreu und Dünger zu produzieren. Mithilfe ein paar kleiner Erweiterungen wird er in Zukunft sogar die sehr wertvollen Hanffasern aufspalten können.
Nur ein Jahr nach der Begegnung mit Wolf Jordan verbringt Kristaps fast jedes Wochenende auf dem Land, wo er Hanfbeton herstellt und allmählich die Außenwände des Hauses baut.
Ein Blick auf das Thermometer bestätigt die Hitzewelle, die Lettland im Mittsommer 2019 fest im Griff hat. Greta und Frida, die jüngsten Töchter der Familie, suchen Abkühlung in den schwarzen, mit Wasser gefüllten Baukübeln. Die Mädchen kichern und lachen, während Kristaps die beiden aus seinem Baumaterial jagt, um an diesem heißen Sommertag den Hanfbeton weiter mischen zu können.
Nur noch ein paar Zentimeter Wandaufbau, ehe es Zeit für die Vorbereitungen für die Mittsommerfeier wird, die in diesem Jahr inmitten der wachsenden Hanfpflanzen stattfinden soll. Die Mädchen hatten die Idee, die Pflanzen zu würdigen, die trotz Hitze und Dürre sehr schön wachsen. Nur das Gemüse im Garten hat mit dem Wetter Probleme. Es war Friedas Idee, einen Regenmacher und das traditionelle Musikinstrument namens Trejedeksnis zu der Zeremonie mitzubringen.
„Es ist erstaunlich, zu beobachten, wie die Hanfpflanzen selbst bei einer derartigen Hitze einen Zentimeter pro Tag wachsen“, so Kristaps während er Rhabarber pflückt, der im schützenden Schatten der Pflanzen wächst. Der Wassertank ist fast leer und die Reben haben stagniert, weil sie sich seit Beginn der Hitzewelle vor zwei Wochen nicht mehr weiterentwickeln konnten. Mit begeisternder Stimme zählt Kristaps die zahlreichen nützlichen Eigenschaften des Hanfanbaus auf: „Zu Beginn dachte ich nur darüber nach, ein selbst angebautes Haus zu bauen. Als ich aber im Jahr 2018 das erste Mal Hanf anbaute, stieß ich auf eine ganze Reihe nützlicher Eigenschaften. Hanfpflanzen reinigen die Erde und bereiten sie für neue Feldfrüchte im nächsten Jahr vor. Außerdem absorbiert Hanf wesentlich mehr CO₂, als ich während des Baus erzeuge. Der CO₂-Gehalt, den Hanf während des Anbaus aufnimmt, beträgt ungefähr 67 % des Ausstoßes durch Transportmittel, in Haushalten und Unternehmen. Natürlich interessieren mich auch die medizinische Anwendung und der Freizeitkonsum.“
Eigentlich war die Produktion eines nahezu emissionsfreien Hauses zu Beginn nicht das entscheidende Ziel. Die Entdeckung der positiven Auswirkungen auf die Umwelt haben Kristaps aber nachhaltig beeinflusst.
„Es war nicht einfach, einen Partner für die Produktion des Hurdmaster zu finden und ich habe oft darüber nachgedacht, das ganze investierte Geld lieber für einen schönen Urlaub mit der ganzen Familie zu verwenden. Der Gedanke, dass diese Maschine vielen anderen Menschen wie mir ermöglicht, auf ihrem eigenen Grundstück ein eigenes Haus zu bauen, ohne dabei durch den Transport der Materialien einen hohen CO₂-Ausstoß zu produzieren, war einfach zu gut, um sie ohne Weiteres aufzugeben!“
Selbst Madara, Kristaps Frau, hat sich mit der Erfindung ihres Mannes arrangiert, die ihn oft dazu zwang, Tag und Nacht ohne Familie in seiner Werkstatt zu verbringen, um den Hurdmaster für die Markteinführung fertigzustellen.
Madara wurde sogar zum größten Fan seiner Erfindung. Als Stadtmensch hatte sie Probleme mit der Vorstellung, auf dem Land zu leben. Weit weg von Geschäften und ohne den Luxus, mit dem Rad zur Arbeit bei einem der größten Versicherungsunternehmen in Riga fahren zu können. Mittlerweile liebt sie allerdings die entspannte Atmosphäre rund um die neue Heimat und freut sich auf ein Leben an einem Ort, der langsam über die Jahre nach den Vorstellungen der ganzen Familie geformt wird. Weil immer mehr Menschen aufgrund von Schulden unter die Armutsgrenze fallen und sich die wirtschaftliche Situation in ihrem Land ständig ändert, weiß sie mittlerweile jeden Aspekt eines selbst gebauten Hauses aus den im eigenen Garten wachsenden Hanfpflanzen zu schätzen.
Während es die Teenager Marta und Fric cool finden, dass ihr Vater Hanf anbaut, besteht für die jüngeren Mädchen Frieda und Greta kein Unterschied zwischen den Hanfpflanzen im Garten und dem Gemüse, das die Familie anbaut.
Während Greta gespannt zuhört, als Kristaps ihr den Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Hanfpflanzen erklärt, gehört sie zur ersten Generation an Heranwachsenden, die weiß, dass es so etwas wie ein biologisches Baumaterial gibt, das vollkommen unbedenklich für Kinder ist, die Blumen im Garten düngt und pflegt und bei der Entsorgung keine Schadstoffe hinterlässt. In der Welt eines Kindes kann man daraus im Notfall sogar ein Spielzeug basteln, falls man den Ball zum Spielen vergessen hat. Einfach Wasser, Bindemittel und Kalkstein hinzugeben, zusammenpressen und eine halbe Stunde warten. Schon kann es losgehen!