In Deutschlands Hauptstadt kennt man sie – die Selbsthilfegruppe Synanon, die mit ehemaligen Drogenabhängigen in einigen handwerklichen Bereichen aktiv ist. Synanon verspricht bei Einhaltung strikter Regeln jedem hilfesuchenden Süchtigen die Chance auf ein neues Leben ohne Drogen. Unter diesen hat die Suchtselbsthilfe jedoch in gewisser Weise den Ruf einer Sekte, da anstatt Therapeuten ehemalige Abhängige über die Neuankömmlinge wachen und privates Eigentum erst einmal tabu ist. Verlangt wird dazu totale Abstinenz, was von Fachleuten nicht unbedingt als erfolgversprechend bezeichnet wird.
Doch Synanon hat auch Befürworter, wie beispielsweise den ehemaligen Bürgermeister Berlins Eberhard Diepgen (CDU/1984 -1989 & 1991 – 2001), der ein Mitglied des Kuratoriums der Stiftung ist. Dieser hat sich nun in einem offenen Brief zusammen mit der Diplompolitologin Prof. Barbara John (CDU) an die Regierende Bürgermeisterin Berlins gewandt und die Pläne der Ampelkoalition, Cannabis für Genusszwecke Erwachsener zu legalisieren, kritisch kommentiert. Gesundheitsminister Karl Lauterbach soll auch zu den Empfängern des Schreibens gehören.
Es sei keine mutige politische Entscheidung von der Ampel-Regierung, Cannabis künftig wie Eiscreme, Alkohol oder Zigaretten für den Genusskonsum von über 18-jährigen Erwachsenen freizugeben. Dies käme einer Verbeugung vor einer sorglosen Freizeitlobby gleich, heißt es in dem Schreiben vom 27. Januar an die Regierende Bürgermeisterin von Berlin. Den Befürwortern der Freigabe fehle der Blick auf die leidgeprüften Angehörigen von Drogenabhängigen, weshalb man auf die großen Gefahren der Legalisierung von Cannabis hinweisen wolle. Ein 12-seitiges Schreiben wurde aus diesem Grund neben dem Brief aufgesetzt, dass den „Mythos des gesunden Kiffens“ mit einem Beitrag von Prof. Dr. Erich Kasten und Jill Johansen zu entzaubern versucht.
Es wird darin auf die gestiegenen Wirkstoffmengen im Cannabis eingegangen sowie die veränderten Konsummuster, die junge Leuten schon morgens unter der Woche zum Joint greifen lassen würden. Synanon selbst erklärt, dass jährlich knapp 400 Menschen an die Tür klopfen würden, um Hilfe zu suchen. Bei den meist polytoxisch unterwegs seienden Drogenkonsumenten habe Cannabis stets eine Rolle in ihrer Drogenkarriere gespielt und keiner der nun ohne Drogen lebenden Personen würde das natürliche Rauschmittel als ungefährlich bezeichnen.
Appell an die politischen Verantwortlichen
Die geplante Freigabe von Cannabis stünde laut dem Kuratoriumsvorsitzenden Peter Rohrer zusätzlich im kompletten Widerspruch zu den Bemühungen, auch das Konsumverhalten im Bezug zu Tabak und Alkohol stärker einschränken zu wollen. Alle politischen Verantwortlichen seien daher aufgerufen, sich dem Legalisierungsversuch von Cannabis entgegenzustellen. Es würde von den Befürworten sträflich vernachlässigt, dass der Genuss von Marihuana eine tragende Bedeutung für den Weg zu weiteren Drogen besitze.
Zusätzlich wird vor den erheblichen gesundheitlichen Schäden gewarnt, die alleine von dem natürlichen Rauschmittel ausgehen würden. Auch das Gesundheitssystem würde durch die Bemühungen der Ampelparteien stärker belastet werden, schließlich sprächen Kinder- und Jugendärzten davon, dass ein durch die Legalisierung erleichterter Zugang zu mehr Sucht und somit auch einem verstärkten Auftreten weiterer psychischer Störungen führen werde. Prognostiziert wird ebenfalls, dass der Plan, auf mehr Jugendschutz und Prävention zu setzen, nicht gelingen könne.
Der Anschein der Ungefährlichkeit würde die geplanten Maßnahmen aushebeln und wie derzeit schon zu mehr Gebrauch und einer größeren Vielfalt der Substanzen führen. Auch bei den Bewohnern der Synanon-Einrichtungen sei dies in der Vergangenheit ersichtlich gewesen. Alkohol, Tabak und Marihuana wären immer dabei, weshalb man hier auf mehr Einschränkungen hoffe und sich keine Freigabe einer weiteren Droge wünschen würde.
Besondere Verantwortung der Landesregierung
Eberhard Diepgen und Prof. Barbara John sehen die Landesregierung Berlins in einer besonderen Verantwortung, da die Hauptstadt Deutschlands bereits jetzt schon als Drogenmetropole wahrgenommen würde. Aus diesem Grund dürfe die Cannabispolitik auch nicht zum Schnellschuss werden. Aktuell wären bereits viele junge Menschen durch ihr Konsumverhalten prädestiniert, Folgeschäden zu entwickeln, die hohe Folgelasten für ein überfordertes Gesundheitssystem bedeuten würden. Die Erfahrungen der Selbsthilfeorganisation Synanon ließen somit einzig vor der geplanten Herangehensweise warnen. Vorschnelle Entscheidungen müssten daher auch laut Kuratoriumsvorsitzenden Rohrer unbedingt vermieden werden.
Die andere Seite der vermeintlichen Realität
Synanon und dessen Kuratoriumsmitglieder scheinen vermutlich tatsächlich besorgt zu sein, dass eine Freigabe von Cannabis zu Genusszwecken die Situation vieler Menschen zum Negativen verändern könnte. Übersehen werden dabei aber jegliche Argumente, die von Befürwortern und neuerdings auch den Regierungsparteien in die Waagschale geworfen werden. Dass der Schwarzmarkthandel für die leichte Zugänglichkeit auch bei unter 18-Jährigen verantwortlich ist, wird ausgeblendet.
Dass Cannabis mittlerweile schon länger nicht mehr als Einstiegsdroge betrachtet werden kann, sondern oft Süchtigen aus der Opioid-Falle, dem übermäßigen Alkoholkonsum und anderen Schwerstabhängigkeiten helfen konnte, will nicht wahrgenommen werden. Dass selbst Koordinatoren aus der Suchthilfe einen gewaltigen Unterschied zwischen den Gebrauch seitens Jugendlichen und Erwachsenen machen und dies in der Diskussion um die Freigabe nicht vermischen, zeigt die Gewichtung der Bemühungen von Synanon.
Anstatt die steigenden Konsumentenzahlen und den steigenden Suchtmittelgebrauch auf die fehlgeleitete Drogenpolitik der Vergangenheit zurückzuführen, sieht man im Versuch, die Situation für alle Beteiligten zu verbessern, bereits im Vorfeld nur das Scheitern der politischen Veränderungen voraus. Obwohl es in anderen Ländern seit einiger Zeit gute Erhebungen und Beweise dafür gibt, dass eine Freigabe des natürlichen Rauschmittels Cannabis eine ganze Menge der bestehenden Probleme in diesem Bereich behebt.
Es bleibt daher wünschenswert, dass die Empfänger der Schreiben sich von den jahrelang an der Prohibition festhaltenden Personen nicht aus der Fassung bringen lassen und die einseitige Darstellung direkt erkennen. Dass die von vielen Betroffenen leicht skeptisch betrachtete Suchtselbsthilfestelle Synanon, die ihre Arbeitskraft aus den schweren Abhängigkeiten der freiwilligen Hilfesuchenden bezieht, möglicherweise auch eigene Interessen zu wahren versucht, möchte man dagegen nicht wirklich hoffen.