Bislang ist es immer noch nicht sicher, ob die Pläne der Ampelkoalition von der EU bezüglich der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken erlaubt werden können. Noch liegt den verantwortlichen Stellen nach eigener Aussage nicht einmal der entsprechende Antrag vor. Doch das Ende der Cannabisprohibition kann auch ohne grünes Licht der Europäischen Union stattfinden, meinen Experten, da es entsprechende Hebel gäbe, die in diesem Fall angewendet werden könnten.
Da es derzeit aber noch nicht absehbar ist, wie lange sich der vollständige Prozess bis zum Abschluss noch hinziehen könnte, wurde nun zum Jahrestag der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages, der die Legalisierung als Ziel enthält, seitens der Organisation LEAP ein Gesetzesentwurf gefordert, der Konsumenten von Cannabis „sofort“ entkriminalisiert.
Law Enforcement against Prohibition
Die aus Richtern, Polizeibeamten und weiteren Personen mit beruflichem Hintergrund in der Strafverfolgung oder auf dem Gebiet der Strafrechtspflege bestehende gemeinnützige Organisation LEAP setzt sich schon lange für eine Veränderung der Drogenpolitik ein. Da sich jetzt nach einem Jahr ein verbindlicher Zeitplan für die weitere Umsetzung der Cannabislegalisierung nicht vorfinden lässt, fordern die Mitglieder aus Deutschland ein Ende der Strafverfolgung gewöhnlicher Konsumenten. Am 24.11.2022 wurde aus diesem Grund die „Paderborner Erklärung zum Jahrestag des Koalitionsvertrages der Ampel-Koalition“ veröffentlicht, die einen Gesetzesentwurf zwecks sofortiger Beendigung der Strafverfolgung fordert.
Jährlich würden schließlich weiterhin „180.000 polizeiliche Ermittlungsverfahren und knapp 65.000 strafrechtliche Verurteilungen wegen konsumnaher Delikte des Erwerbs und Besitzes von Cannabis“ durchgeführt. Dies sei nicht länger hinnehmbar und ein rechtspolitischer Skandal. Ein neuer Artikel § 29b müsse nach den Vorstellungen von LEAP in das Betäubungsmittelgesetz eingefügt werden, damit die Straffreiheit bei einem Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis in Kraft treten könne. Ebenfalls solle der Anbau von bis zu drei Pflanzen erlaubt werden – privat oder gemeinschaftlich. Dazu müsse auch der Grenzwert für Fahrzeughalter gesetzlich auf eine Menge von fünf Nanogramm pro Milliliter Blut angehoben werden. All diese Ideen wären ohne Zustimmung der Europäischen Union und auch ohne Zustimmungserfordernis im Bundesrat ohne lange Verzögerungen umsetzbar, so LEAP. Es sei daher an der Zeit, sofort zu handeln.
Grüne dafür – der Rest will warten
Neben LEAP ist nach Informationen des Portals LTO.com auch der Deutsche Anwaltverein und die Partei Die Linke für eine Einstellung der Strafverfolgung von Cannabiskonsumenten. Von den Regierungsparteien, die sich die Legalisierung auf die Fahne geschrieben haben, scheint aber nur die Fraktion der Grünen diese Meinung zu vertreten. Auch wenn Rechtsanwältin und MdB Canan Bayram bei einem derartigen Vorgehen viele Vorteile für den kriminell agierenden Schwarzmarkt entstehen sieht, so stimmt die Politikerin den Argumenten zu, dass „bis zum Abschluss eines langwierigen Gesetzgebungsverfahrens“ die Verfolgung von friedlichen Konsumenten„schnellstmöglich“ beendet werden müsse. Die Kriminalisierung von Kiffern sei falsch. Gegenüber dem genannten Portal sagte sie, dass man deswegen bei den Grünen dafür offen wäre, „die Strafverfolgung von Konsument:innen bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens auszusetzen sowie im Zuge der Legalisierung aller Personen mit Vorstrafen in Bezug auf Handlungen, die in Zukunft nicht mehr strafbar sein sollen, strafrechtlich zu rehabilitieren.“
FDP und SPD sind noch nicht überzeugt
Man dürfe die Entkriminalisierung nicht zeitgleich und komplett von der Legalisierung entkoppeln, sagt dagegen die sucht- und drogenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Kristine Lütke. Unter den nun geforderten Umständen wäre kein Gesundheits- und Konsumentenschutz vorhanden, sodass das Hauptziel des Vorhabens verfehlt werden würde. Ebenfalls würde nur der Schwarzmarkt profitieren, so Lütke. Dies sei bereits in den Niederlanden zu beobachten gewesen, wo sich eine höhere Kriminalität und steigende Konsumentenzahlen unter Jugendlichen abzeichneten. Auch seitens der SPD wird die Forderung nach einer sofortigen Entkriminalisierung skeptisch betrachtet. Die auf das Thema spezialisierte Rechtspolitikerin Carmen Wegge betont, dass die Sozialdemokraten die Legalisierung als Gesamtpaket verstehen würden. Entkriminalisierung und Legalisierung würden zusammen gedacht.
Auch wenn Verständnis für das von LEAP geforderte vorgezogene Entkriminalisierungsgesetz vorhanden sei, so sollte man vor überzogenen Erwartungen warnen. Es würde schließlich seine Zeit brauchen, bis ein solcher Gesetzgebungsprozess umgesetzt werden könne. Die Zeit, in der die Legalisierung nach Plan stattfinden könne, dürfte ihrer Ansicht nach nicht länger dauern. Eine Entkriminalisierung würde dann ohnehin direkt nach dem Beschluss des Legalisierungsgesetzes in Kraft treten, so Wegge. Offen für die Entkriminalisierung sei man seitens der SPD nur dann, falls das „Gesamtpaket“ aufgrund von in Brüssel gefällten Entscheidungen scheitern sollte oder die Umsetzung zu viel Zeit in Anspruch nehmen könnte. Dann würde man die Diskussion über vorgezogene Einzelgesetze in Betracht ziehen.
Gesetzentwurf von Karl Lauterbach gefordert
Da sich nach neusten Informationen aber alle Koalitionsfraktionen nach dem Verbleib eines konkreten Gesetzesentwurfs fragen und sich dort auch über fehlende Unterlagen für die EU gewundert wird, steht Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nun wohl wieder unter zunehmendem Druck.
„Gesundheitsminister Karl Lauterbach muss jetzt einen Gesetzentwurf für die Legalisierung von Cannabis erarbeiten und zeitnah vorlegen. Auf die EU warten und untätig bleiben ist keine Option“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der zuständigen Berichterstatter der Regierungsfraktionen. Eine Verschiebung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag käme für die Fachpolitiker nicht infrage – mit oder ohne Signal seitens der EU. Vielleicht sollte man daher sicherheitshalber doch noch einmal über die sofortige Entkriminalisierung von erwachsenen Cannabiskonsumenten ernsthaft nachdenken.