Fake-Marihuana auf dem Markt
In der Schweiz taucht seit einem halben Jahr immer häufiger mit synthetischen Cannabinoiden behandelter Nutzhanf auf dem Schwarzmarkt auf. Suchtexperten warnen vor den gefährlichen Auswirkungen dieser künstlichen, im Labor hergestellten Cannabinoide, die unter Umständen sogar lebensgefährlich werden können.
Synthetische Cannabinoide als THC-Ersatz sind kein neues Phänomen. Mit künstlich hergestellten Cannabinoiden aufgepeppte Kräutermischungen werden seit Jahren unter der Bezeichnung „Legal Highs“ mehr oder weniger legal gehandelt und zu Rauschzwecken konsumiert, allen bekannten gesundheitlichen Gefahren zum Trotz. Relativ neu ist allerdings die Masche, THC-armen Nutzhanf damit aufzupeppen und nichts ahnenden Käufern auf der Straße als „normales“ Cannabis anzudrehen. Eine Masche, die europaweit offiziell bereits mehr als 60 Todesopfer gefordert hat. Die Dunkelziffer dürfte allerdings weitaus höher liegen.
Seit ungefähr einem halben Jahr beobachten Szenekenner dieses Phänomen in der Schweiz. So spricht Alexandre Brodard, Leiter der Suchthilfe-Stelle Contact Nightlife in Bern, von ein bis zwei Fällen in der Woche, die ihm und seinen Kollegen bekannt werden. Auch hier darf man wohl von einer wesentlich höheren Dunkelziffer ausgehen. Die Herstellung dieses Pseudo-Marihuanas ist denkbar einfach. Alles, was man dazu benötigt, sind im Labor einfach herzustellende synthetische Cannabinoide, billiger Industriehanf und ein simpler Zerstäuber aus dem Baumarkt, um das im Labor fabrizierte Gemisch aus verschiedenen psychoaktiven Substanzen auf die Hanfblüten zu sprühen.
Das große Problem: Die synthetischen Cannabinoide verteilen sich dabei sehr ungleichmäßig auf den Hanfblüten. Während manche Teile so wenig davon abbekommen, dass gar keine oder zumindest keine nennenswerte Rauschwirkung erzielt wird, ist an anderen Stellen der Blüten die Konzentration so hoch, dass eine Überdosis schon beinahe die zwangsläufige Folge ist.
Was macht synthetische Cannabinoide so gefährlich?
Allerdings ist die ungleiche Verteilung der Cannabinoide auf der Blüte nur ein Teil des Problems. Aber was genau macht diese Substanzen so gefährlich? Zunächst einmal binden sich im Labor produzierte Cannabinoide genauso wie natürlich vorkommende an bestimmte Rezeptoren des Endocannabinoidsystems, meist des Typs CB1, seltener auch CB2. Im Gegensatz zu THC allerdings ist die Bindung synthetischer Cannabinoide an die Rezeptoren ungleich stärker und dauert oft viel länger an. Dadurch ergibt sich ein Wirkpotenzial, das ungleich höher ist als das von THC, insbesondere wenn man auch noch die ungleiche Verteilung auf den Blüten einbezieht.
So wirkt das synthetische Cannabinoid mit dem Namen CUMYL-4CN-BINACA laut Untersuchungen schon ab einer Dosis von 0,1 mg, THC dagegen erst ab einer Menge von 5 bis 10 mg. CUMYL-4CN-BINACA ist in seiner Wirkung also ungefähr 50- bis 100-mal so stark wie THC. Noch verheerender ist die Wirkung von 5F-ADB-PINACA, das etwa 700 Mal so stark ist wie THC. Auch mit synthetischen Cannabinoiden versetztes Haschisch tauchte bereits auf dem Schweizer Schwarzmarkt auf. So brachte die chemische Analyse einer Probe Haschisch in Bern im Februar 2020 ans Licht, dass es mit dem Cannabinoid 5F-MDMB-PINACA versetzt war, das europaweit bereits für gut zwei Dutzend Todesfälle verantwortlich ist.
Kein Wunder, dass der Konsum von mit solchen synthetischen Cannabinoiden versetztem Pseudo-Marihuana oder Pseudo-Haschisch leicht zu geistiger Verwirrung, Wahnvorstellungen und Psychosen führen kann, die auch in massiven Aggressionen münden können, ob gegen sich selbst oder gegenüber anderen. Weitere häufig beobachtete gesundheitliche Auswirkungen sind unter anderem Übelkeit mit Erbrechen, Herzrasen, Bluthochdruck, Krampfanfälle, Ohnmacht oder auch Herzinfarkte. Verstärkt wird die Gefahr einer Überdosierung noch dadurch, dass anderes als bei „normalem“ Cannabis kein CBD enthalten ist, dass die überbordende Psychoaktivität eindämmen könnte. Erschwerend kommt noch hinzu, dass bisher kein Gegenmittel gegen eine Überdosierung mit synthetischen Cannabinoiden bekannt ist. Daher gibt es auch keine wirksame Notfall-medizinische Behandlung.
Sehr schwierig zu erkennen
Wie aber kann man sich als Hanf-Konsument, der auf den Schwarzmarkt angewiesen ist, vor einer Vergiftung mit diesem Fake-Weed schützen? Eine Antwort auf diese Frage ist schwierig, denn man sieht es dem behandelten Hanf nicht an, dass er mit künstlichen Substanzen besprüht wurde. „Er unterscheidet sich weder von Aussehen noch im Geruch von herkömmlichem Cannabis. Allein der mikroskopische Untersuchung lässt eine Bestimmung zu“, erklärt dazu der Züricher Chemiker Christian Bissig.
Als einzige Möglichkeit empfiehlt der Berner Experte Alexandre Brodard, besondere Vorsicht walten zu lassen. „Wenn Ihr konsumiert, lasst es langsam angehen. Ein, zwei Züge – dann warten. Nach zehn bis 15 Minuten müsste klar sein, ob es ein gefährlicher Trip wird“.
Ein typisches Schwarzmarkt-Phänomen
Alles in allem handelt es sich bei dem mit synthetischen Cannabinoiden behandelten Nutzhanf um ein typisches Schwarzmarkt-Phänomen. Wäre Cannabis legal, müsste niemand mehr sein Marihuana aus zweifelhaften, weil von niemandem jemals kontrollierten Quellen beziehen. Eine Regelung, wie in den USA, mit zertifizierten Verkaufsstellen und auf alle Inhaltsstoffe zuverlässig und regelmäßig getestetem Cannabis würde diese Gefahr ausschließen.
Spielte die von der Politik im Zuge der Legalisierungsdiskussion so gerne vorgeschobene Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung wirklich eine Rolle, wäre Legalisierung die einzig logische Antwort. Wer allerdings der Prohibition weiterhin das Wort redet, stärkt nur den illegalen Markt und ist damit letztlich mitverantwortlich für das Problem und alle sich daraus ergebenden Folgen, inklusive der Todesopfer.