Der Präsident des International Narcotics Control Board (Abk. INCB, Suchtstoffkontrollrat), Cornelis P. de Joncheere, äußert Zweifel daran, ob die internationalen Kontrollverträge zur Drogenbekämpfung noch zeitgemäß sind. Während einer Präsentation zum Jahresbericht 2019 erörterte Joncheere die Entwicklungen, die sich in Bezug auf verschiedene in internationalen Verträgen erwähnten Substanzen ergeben haben. Insbesondere bei Cannabis seien die Drogenkontrollabkommen, wie die Single Convention on Narcotic Drugs von 1961, wahrscheinlich mittlerweile veraltet und überholt.
Drogenkontrollabkommen veraltet
Im nächsten Jahr ist der UN-Vertrag, der Cannabis zu einer verbotenen Substanz macht, 60 Jahre alt. Solange schon wird Cannabis in den Konventionen ähnlich wie Heroin und andere harte Drogen verfolgt und bekämpft. Den tatsächlichen Entwicklungen weltweit, mit Cannabis als Medizin und den vielen progressiven Ansätzen weltweit, wird die Konvention wohl kaum noch gerecht. Wissenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispiel, dass Alkohol und Tabak grundsätzlich gefährlicher sind als Cannabis, haben bislang keine Veränderung an den Konventionen herbeigeführt und sind bis heute nicht berücksichtigt worden.
Sinn und Zweck der Konventionen
Präsident Joncheere hält daher den Zeitpunkt jetzt, bis zum 60. Jubiläum der Single Convention, für geeignet, um die Aktualität und auch die Zweckmäßigkeit des Vertrags zu hinterfragen. Bislang galt das Äußern von Zweifeln an den UN-Konventionen über Suchtstoffe als Tabu beim INCB und so hat seit Jahrzehnten keiner gewagt, an ihnen zu rütteln. Dass Cornelis P. de Joncheere in seiner Funktion als INCB-Präsident dieses Tabu bricht, kommt also für viele unerwartet. Im Grunde bestand eine der Hauptaufgaben des INCB darin, zu kontrollieren, dass die UN-Mitgliedsstaaten sich an die internationalen Drogenkontrollabkommen halten. Somit galt dieses Gremium bisher eher als sehr konservativ in seiner Haltung zu den Verträgen.
Neue Perspektiven für die internationale Drogenpolitik
Kenzi Riboulet-Zemouli, ein unabhängiger Experte für die UN-Drogenpolitik, sieht in dem Tabubruch eine große Chance. Nun, wo die Frage nach Sinn und Aktualität der Single Convention offen im Raum steht, öffnen sich seiner Meinung nach neue Perspektiven für einen wissenschaftlicheren Umgang mit bisher aus ideologischen Gründen verbotenen Substanzen. Bei der Sitzung der Suchtstoffkommission (CND) in Wien werden die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diskutiert. Die Anmerkungen und Zweifel an der Single Convention werden dort sicher ebenfalls Erwähnung finden. Die cannabispolitischen Ansätze der einzelnen beteiligten Nationen gehen mittlerweile so stark auseinander wie nie zuvor. Sollte die CND also die WHO-Empfehlungen strikt ablehnen, so wird damit das Auseinanderdriften der Mitgliedstaaten generell beschleunigt.
Zurück zu den Verboten ist keine Option
Da eine legale Cannabisindustrie für einige Länder einen zunehmend wichtigen Wirtschaftszweig darstellt, ist für manche die Einhaltung des Verbots entsprechend der Single Convention keine realistische Option mehr. Die Suchtstoffkommission ist also gut beraten, sich im Sinne des internationalen Zusammenhalts an den WHO Empfehlungen zu orientieren. Diese sind im Allgemeinen auch eher moderat und nicht übermäßig progressiv. Die WHO fordert definitiv nicht zwingend eine Legalisierung von Cannabis als Genussmittel. Es sollte also eigentlich kein großes Problem darstellen, sich den Empfehlungen anzunähern. Da einige Unterzeichner der Single Convention allerdings Cannabis als Genussmittel bereits legalisiert haben, sollte man es den UN-Mitgliedern auch ermöglichen, solche Gesetzesreformen durchzuführen, ohne dafür sanktioniert zu werden.