Laut Gesetz dürfen Menschen, die Cannabis auf Rezept konsumieren, weiter Auto fahren. Bei Medizinern und Juristen stößt das auf Unverständnis. Der Andrang in den Apotheken ist riesig. Immer wieder melden sie Lieferprobleme. Seit Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland freigegeben wurde, hoffen viele Patienten auf ein Rezept ihres Arztes, um ihre Beschwerden auf natürliche Art und Weise lindern zu können.
Das spiegeln auch die mehr als 13.000 Anträge auf Kostenübernahme bei den gesetzlichen Krankenkassen wider. Im Gegensatz zu anderen Cannabis Konsumenten dürfen Patienten mit einem Rezept nach dem Konsum Auto fahren, solange sie es sich selbst zutrauen und keine Ausfallerscheinungen haben. Vermeintliche Experten warnen nun davor, Patienten im Straßenverkehr bevorzugt zu behandeln. Ab Mittwoch will der Verkehrsgerichtstag in Goslar darüber diskutieren.
Keine Unterscheidung von medizinischen Anwendern und Freizeitkonsumenten
Wird man mit Cannabis am Steuer erwischt, drohen harte und unverhältnismäßige Strafen. Der magische Wert in Deutschland beträgt 1 Nanogramm THC pro Milliliter Blut. Um über diesem Wert zu liegen, muss man sich nicht sofort nach dem Konsum ans Steuer setzen. Durch den individuell unterschiedlichen Abbau von THC in unserem Körper kann es ausreichen, gelegentlich einen Joint zu rauchen und am nächsten Morgen beispielsweise mit dem Auto in eine Polizeikontrolle zu geraten. Urin- oder Bluttest, Führerscheinentzug, Medizinisch Psychologische Untersuchung und Schikane inklusive.
Dabei mache es aus toxikologischer Sicht keinen Unterschied, ob jemand vor Fahrtantritt legal oder illegal konsumiert, stellt Prof. Thomas Baldrup fest. Er ist Referent zum Thema „Cannabiskonsum und Fahreignung“ beim Verkehrsgerichtstag in Goslar. Die Wirkung sei in beiden Fällen gleich: „Weder äußerlich noch analytisch lässt sich medizinisches Cannabis von den auf der Straße erhältlichen Produkten zweifelsfrei unterscheiden.“, so Baldrup.
Schlupfloch im Straßenverkehrsgesetz
Paragraf 24a ahndet neben dem Fahren mit mehr als 0,5 Promille auch das Fahren unter Drogeneinfluss. Er enthält den Zusatz: Geldbuße, Fahrverbot und Punkte in Flensburg entfallen, „wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt“. Dies ist bei Cannabis auf Rezept der Fall.
Die Politik steht dem Ganzen kritisch gegenüber. Seitens des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes heißt es, es gäbe keinen Grund, Cannabis-Patienten gegenüber sonstigen Cannabis-Konsumenten im Fahrerlaubnisrecht bevorzugt zu behandeln. Schließlich gehe es darum, andere Verkehrsteilnehmer zu schützen, so der Vorsitzende Klaus Borgmann. Der Automobilclub AvD kritisiert primär die Selbsteinschätzung der Patienten. „Wer sich ans Steuer setzt, muss nüchtern sein“, sagt ein Sprecher. Das müsse auch für Patienten gelten, die Cannabis als Medizin verwenden. Der deutsche Verkehrssicherheitsrat beklagt indessen, man sei bei der Beratung des Gesetzes nicht beteiligt gewesen.
Entscheidung liegt beim Bundesverwaltungsgericht
Weiterhin diskutiert der Verkehrsgerichtstag in Goslar auch über genauere Grenzwerte für THC im Straßenverkehr und wie man mit Freizeitkonsumenten umgehen soll. Denn selbst, wer das erste Mal von der Polizei unter Cannabis-Einfluss am Steuer erwischt wird, muss den Führerschein abgeben und wird von der Führerscheinstelle als „charakterlich ungeeignet“ zum Führen eines Fahrzeugs eingestuft. Den Lappen gibt es erst wieder, wenn man mindestens 6 Monate Abstinenz nachweisen kann und zusätzlich den oft so bezeichneten Idiotentest (MPU) besteht. Das ist alles mit einem enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden.
Anders sieht es beim Fahren unter Alkoholeinfluss aus. Weist der Fahrer bei einer Verkehrskontrolle einen Blutalkoholwert von bis zu 1,09 Promille auf, schreitet die Fahrerlaubnisbehörde nicht ein. Von einer MPU ganz zu schweigen. Dem Fahrer drohen in diesem Fall ein Bußgeld, 2 Punkte in Flensburg und lediglich ein Fahrverbot von einem Monat. Erst ab 1,1 Promille Alkohol im Blut oder frühestens nach dem zweiten Verstoß muss man mit einem längeren Führerscheinentzug rechnen. Das erkennt auch der Oldenburger Verkehrsanwalt Frank-Roland Hillmann. Die krassen Unterschiede bei der Bestrafung von Cannabis-Konsumenten seien „nicht mehr normal“, so der Fachanwalt, der sich auf dem Verkehrsgerichtstag für mehr Gerechtigkeit starkmachen will.
Einen Lichtblick gibt ein Urteil des bayrischen Verwaltungsgerichtshofes aus dem vergangenen Jahr. Dort entschied man in zweiter Instanz, dass die Behörden bei einer erstmaligen Fahrt unter dem Einfluss von Cannabis nicht ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen automatisch von einer Fahruntüchtigkeit ausgehen dürfen. Nachdem die Revision zugelassen wurde, hat das letzte Wort nun das Bundesverwaltungsgericht.