Bereits vor der Entkriminalisierung von Cannabis als Genussmittel hatte Deutschland die größte Medizinalcannabisindustrie in Europa. Nach Inkrafttreten des neuen Cannabisgesetzes am 1. April hat die Nachfrage nach Cannabis auf Rezept geradezu dramatisch zugenommen, sodass viele Apotheken und Ärzte an der Grenze ihrer Kapazitäten arbeiten mussten.
Der Umsatz an Medizinalcannabis ist in den Wochen nach der Entkriminalisierung sprunghaft angestiegen und die Branche ist seitdem enorm gewachsen. Der Nachrichtensender ntv zitierte den Geschäftsführer des Kölner Unternehmens Cannamedical, der von einer Verdoppelung des deutschen Marktes für Cannabismedikamente sprach. Ein weiteres Unternehmen, die Bloomwell Group, veröffentlichte Daten, denen zufolge der Anstieg des Geschäfts mit Cannabismedizin bei Ärzten und Apotheken seit dem 1.04.24 um tausend Prozent beträgt.
Wachstum bei Medizinalcannabis trotz Genussmittel-Entkriminalisierung
Der eine oder andere würde vielleicht annehmen, dass mit der Entkriminalisierung von Cannabis als Genussmittel ein Rückgang der Cannabisverordnungen durch Ärzte zu erwarten sei. Manche Patienten, vor allem Selbstzahler, könnten schließlich auf die Idee kommen, sich lieber durch Eigenanbau selbst zu versorgen und sich das Geld für die Apotheke zu sparen. Vor allem aber könnten diejenigen, die das Cannabis als Medizinsystem als eine Möglichkeit genutzt haben, für sich eine Legalisierung des Umgangs mit Cannabis zu erreichen, nun auf das Rezept verzichten und die neue, wenn auch zu stark bürokratisierte, Freiheit nutzen.
Die Realität allerdings sollte sich ganz auf andere Art gestalten, denn ohne den regulierten Handel in Fachgeschäften steht dem Genusskonsumenten fürs Erste keine geeignete Quelle für legales Cannabis zur Verfügung, bis eben auf Arzt und Apotheke. Selbst der, der am 1. April bereits im Besitz von Saatgut war und die ersten Samen direkt gepflanzt hat, muss noch Monate auf die erste Ernte warten. Auch die Anbauvereinigungen waren vorläufig keine Option, schließlich dürfen erst seit dem 1. Juli Anträge gestellt werden, um mit dem Cannabis Club in Betrieb gehen zu können. Hinzu kommt dann noch, dass Cannabis mit der Streichung aus dem Betäubungsmittelgesetz viel leichter und über ein gewöhnliches Standardrezept verordnet werden kann.
Patientenstatus als Absicherung gegen Konflikte mit Behörden
Ein weiterer Grund für die wachsende Beliebtheit der Cannabisrezepte ist die Situation im Straßenverkehr. Selbst mit dem neuen Grenzwert von 3,5 Nanogramm dürften viele regelmäßige Cannabiskonsumenten noch in Konflikt mit der Fahrerlaubnisbehörde kommen. Folglich wird der Patientenstatus angestrebt, um sich rechtlich auf der sicheren Seite zu wähnen. Dies ist jedoch ein Trugschluss, denn auch Patienten werden noch immer, über sechs Jahre nach der Legalisierung von Cannabis als Medizin, von den Behörden drangsaliert und teilweise auch willkürlich in MPUs gezwungen.
Immer noch Wachstumspotenzial vorhanden
Mit den Entwicklungen seit dem Inkrafttreten des CanG ist die Medizinalcannabis Industrie bislang der eindeutige Gewinner der Entkriminalisierung in Deutschland. Vor dem 1. April ging man davon aus, dass es in Deutschland zwischen 200.000 und 300.000 Cannabispatienten gab. Wie viele es genau sind, ist aufgrund der Privatrezepte, die viel schlechter dokumentiert sind, nur grob zu schätzen, doch mittlerweile könnten die Zahlen leicht doppelt so hoch sein.
Geht man davon aus, dass mittelfristig knapp ein Prozent der deutschen Bevölkerung (ca. 840.000 Menschen) zu Patienten werden, so könnte der Markt für Cannabismedizin schon bis Ende 2025 einen Jahresumsatz von etwa 1,7 Milliarden Euro generieren. Diese Schätzung ist relativ konservativ, denn bei anhaltender Entwicklung der Patientenzahlen könnte das Wachstum noch weit stärker sein.