Auch wenn zwei Drittel der deutschen Bevölkerung davon überzeugt ist, dass die Legalisierung von Cannabis eine bessere Alternative zur Verbotspolitik samt Strafverfolgung einfacher Konsumenten darstellt, bleibt es noch ungeklärt, ob die Wahlversprechen der Ampelkoalition tatsächlich umgesetzt werden können.
Wie Gegner des Vorhabens gern wiederholen, dürfte Deutschland aufgrund des Schengener Durchführungsübereinkommen von 1990 als auch wegen des EU-Rahmenbeschlusses von 2004 zur Bekämpfung des illegalen Drogenhandels nach europäischem Recht schließlich keinen Alleingang gehen, Cannabis aus der Liste der Betäubungsmittel entfernen und das natürliche Rauschmittel zu Genusszwecken erwachsener Bewohner als legale Handelsware einstufen.
Auch deswegen wurde nach dem Verfassen eines Eckpunktepapiers des Gesundheitsministers die zuständige EU-Kommissarin für Inneres und Medizin seitens der Regierung zur Prüfung der Machbarkeit gebeten, sodass Deutschland mit Gewissheit voranschreiten kann, ohne geltendes Recht zu brechen. Ein führender internationaler Experte für Drogenpolitik ist jedoch der Meinung, dass selbst bei einer Ablehnung die Europäische Kommission nicht die Macht habe, das Bestreben nach einem regulierten Cannabismarkt zu stoppen. Trotz der schwerwiegenden Fehler, die er im Ansatz der Herangehensweise erkenne.
Trotz Fehler noch Optionen
Der als Europas führender Experte für Cannabispolitik im Zusammenhang mit internen vertraglichen Verpflichtungen bekannte Kenzi Riboulet-Zemouli sieht die von der Politik unternommenen Versuche, Cannabis zu Genusszwecken erwachsener Bewohner zu legalisieren, mit etwas Skepsis. Für ihn ist der eingeschlagene Weg trotz der vielen Diskussionsrunden und Dienstreisen aufseiten der deutschen Politik bislang nur „unausgegoren“, „fehlerbehaftet“ und „schlecht durchdacht“. Dennoch sieht er Optionen für Deutschland, trotz der Bindung an die EU, das Vorhaben auf eigene Faust durchzusetzen. Er unterstreicht, dass ein Nationalstaat, selbst wenn er an eine größere regionale Wirtschaftsgemeinschaft wie die Europäische Union gebunden wäre, letztlich die Möglichkeit hätte, seine eigene nationale Drogenbekämpfungsagenda zu verfolgen.
Wie in Uruguay und Kanada geschehen beispielsweise. „Während Deutschland seine Hausaufgaben zwar nicht gemacht hat und sein Eckpunktepapier mit vielen grundlegenden Fehlern behaftet ist, ist die Auslegung von Verträgen die Aufgabe der Nationalstaaten und nicht die der Europäischen Kommission oder des INCB“, so Riboulet-Zemouli auf BusinessCann.com. Die EU könne die Interpretationen, welche die Staaten von ihren vertraglichen Verpflichtungen machten, nicht infrage stellen. Und die Staaten hätten das Recht, die Legalisierung voranzutreiben, solange sie einen der beiden nach internationalem Recht zulässigen Auslegungswege wählten. Diese wären zum einen der „lex lata“-Auslegungsansatz zur Legalisierung der nicht medizinischen Cannabisindustrie gemäß Artikel 2 Absatz 9 des Einheitsübereinkommens über Suchtstoffe von 1961- zum anderen gäbe es die Option, die Legalisierung als wissenschaftliches Experiment zu bezeichnen.
Viel Willen vonnöten
Da weder der eine noch der andere Ansatz seitens der Bundesregierung erwähnt scheint, wundert sich der Experte über die fehlende Klarheit im vorgesehenen Vorgehen. Aus seiner Sicht wäre es sinnvoll gewesen, auf Artikel 2 Absatz 9 des Übereinkommens von 1961 zu verweisen, der bereits für den legalen Handel mit Hanf und CBD genutzt würde und auf eine vollständige Befreiung von Cannabis mit beliebigem THC-Gehalt für industrielle Zwecke ausgedehnt werden könnte. Ebenso gelte Artikel 28, in welchem der Cannabisanbau zu industriellen Zwecken vollständig freigestellt sei.
Ignoriere man beide Ansätze, wäre es bedauerlicherweise ein „prima facie Verstoß“ gegen das Völkerrecht, würde man ohne Berücksichtigung dieser konkreten rechtlichen Bestimmungen legalisieren. Deutschlands „fehlerbehafteter“ Cannabisplan erfordere daher enormen politischen Willen, um erfolgreich zu sein. „Während Deutschland seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, können die Nationalstaaten ihre eigenen Wege auf der Grundlage ihrer eigenen Interpretation der internationalen Verpflichtungen bestimmen“, so Riboulet-Zemouli.
Die andere Seite
Auf Nachfrage des genannten Portals antwortete die Sprecherin der Europäischen Kommission für Inneres, Anita Hipper, dass in der Gesamtheit des gültigen EU-Rechts in der Europäischen Union der persönliche Konsum von Drogen nicht abgedeckt werden würde. Es sei daher Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, wie sie den persönlichen Gebrauch von Drogen, einschließlich Cannabis, behandelten. In der Gesamtheit des gültigen EU-Rechts in der Europäischen Union wären die Mitgliedstaaten jedoch dazu verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass Straftaten durch den Handel mit Drogen, einschließlich Cannabis, unter Strafe gestellt werden.
Dennoch sieht der deutsche, auf Cannabis spezialisierte Anwalt Kai-Friedrich Niermann genügend Spielraum. Seiner Meinung nach, hätte die Regierung nicht den genutzten Weg gewählt, wären grundsätzliche Bedenken zu erwarten. Dazu gäbe es aktuell auch eine Reihe von Mitgliedsstaaten, welche ebenfalls bereits Vorbereitungen für eine Reform ihrer nationalen Cannabispolitik träfen. Auch würde die Bundesregierung keinen Zweifel daran lassen, dass die Cannabis-Legalisierung politisch jetzt gewollt sei und auch gegen alle Widerstände durchgesetzt werden würde. Herr Niermann rechnet damit, dass sich die EU kurzfristig zum deutschen Vorgehen äußern wird, damit das Gesetzesvorhaben wie geplant ab Januar in den Bundestag eingebracht werden kann.