Die Neue Richtervereinigung (NRV) ist eine Vereinigung von Richtern aus den verschiedensten Gerichten und Fachbereichen, die sich dafür einsetzt, dass die Gesellschaft ihr Recht erhält, einer objektiven Gerechtigkeit möglichst nahezukommen. Sie strebt an, dass „die Justiz zum Wohle der Gemeinschaft funktioniert“.
Sie tritt unter anderem auch für transparente und demokratische Entscheidungsprozesse in der Justizverwaltung ein und hofft auf eine Personalpolitik, die die Vielfalt aller gesellschaftlichen Verhältnisse widerspiegelt. Somit beschäftigt sich die NRV auch mit der Cannabisfrage und den derzeitigen Umständen, die in der Verbotspolitik zu finden sind. In einer Pressemitteilung vom 10.03.2023 erklärt die Neue Richtervereinigung klipp und klar, dass man die von der Bundesregierung angestrebte Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken erwachsener Bewohner für absolut sinnvoll erachtet, da eine Kriminalisierung der Nutzer nicht länger zu rechtfertigen sei.
Geringe Menge und Führerschein
Man erkennt bei der NRV, dass das Reformvorhaben selbstverständlich mit der Etablierung eines staatlich kontrollierten Abgabe- und Anbauverfahrens verbunden wäre und diese Verfahren einen wesentlichen Baustein der Legalisierung von Cannabis ausmachen würden. Es wäre aber nach den Worten von Simon Pschorr, der sich mit dem Strafrecht bei der NRV beschäftigt, nicht mehr länger zu rechtfertigen, dass noch immer eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum stattfände.
Es könne nicht weiterhin der Fall sein, dass man beim Verkehrsstraf- und dem Fahrerlaubnisrecht wesentliche Unterschiede zwischen Alkohol konsumierenden und Cannabis konsumierenden Menschen mache, ohne einen hinreichenden Differenzierungsgrund nennen zu können. Dazu ergäbe in den Augen der NRV auch die Ungleichbehandlung in den verschiedenen Bundesländern betreffend der „geringen Menge“ aufgrund der angestrebten Legalisierung keinen Sinn mehr. Schließlich würde die mögliche Verfahrenseinstellung nach § 31a BtMG hier unterschiedliche Auswirkungen je nach Wohnort mit sich bringen.
Die Verbotspolitik ist gescheitert
Hingewiesen wird in der Pressemitteilung der NRV dazu auch darauf, dass die bisher angewandte Verbotspolitik in keiner Weise etwas gegen den Konsum von Cannabis in der Bevölkerung bewirkt habe. Ähnlich wie der Alkoholgenuss stattfindet, greifen Menschen in Deutschland zu dem „vergleichbaren Betäubungsmittel“ trotz aller durchgesetzten Prohibitionsbemühungen. Man erwähnt, dass der Konsum im jugendlichen Alter zwar mit „erheblichen Gefahren“ verbunden ist, doch sagt zeitgleich, dass diese Gefahren bei Erwachsenen im Vergleich zu Alkohol und Zigaretten geringer ausfallen würden.
„Eine kontrollierte, staatlich überwachte Abgabe stellt angesichts dessen ein im Verhältnis zur Strafdrohung milderes, effektiveres Mittel dar“,
Dr. Daniel Eckstein vom Bundesvorstand der NRV
Da die Etablierung eines staatlichen Abgabesystems aber noch Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen wird, sieht man eine Ungerechtigkeit in der Übergangszeit, die derzeit noch zulasten der bereits Konsumierenden gehe. Es wäre unangemessen, „den Besitz von Konsummengen bis zum Abschluss dieses langen Prozesses weiterhin zu kriminalisieren“.
Der Gesetzgeber wird daher dazu aufgefordert, § 29 des BtMG im Vorfeld anzupassen und den Besitz von bis zu 30 Gramm Cannabis schon jetzt straffrei zu stellen, da dies auch positive Auswirkungen auf die Arbeit von Polizei und Gerichten mit sich bringen würde. Beide Gewalten würden massiv entlastet, bei aktuell circa 180.000 Verfahren pro Jahr. Auch würde so direkt die unterschiedliche und damit ungerechte Handhabung von Konsumenten in den jeweiligen Bundesländern beendet werden können.
THC-Grenzwert gehört verändert
Wie ebenfalls schon während des Verkehrsgerichtstages gefordert, sieht auch die NRV einen Handlungsbedarf bezüglich des Führerscheins und den aktuell geltenden Grenzwerten. §§ 315c, 316 StGB seien anzupassen, da derzeit Menschen auch noch Tage nach dem letzten Cannabiskonsum ihre Fahrerlaubnis verlieren können, obwohl die aufgespürten THC-Restmengen als inaktiv bezeichnet werden können. Es fehle bis heute „eine gesetzliche Normierung der Grenzwerte der Fahruntüchtigkeit für Cannabis“, so die Neue Richtervereinigung in ihrem Schreiben.
Die Rechtsprechung erkenne die Mindestintoxikationsschwelle von 0,3 Promille Blutalkoholkonzentration schließlich hier nicht an. Daher sei eine gesetzliche Normierung maßgeblicher Grenzwerte notwendig, um die Ungleichbehandlung zwischen Alkohol- und Cannabiskonsumierenden abzubauen und den noch festzustellenden sowie tatsächlichen Gefahren endlich effektiv begegnen zu können. Auf diesem Wege würde auch die Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) des Verkehrsstrafrechts optimiert werden.
Staatliches Abgabesystem versus Schwarzmarkthandel
In dem von Simon Pschorr und Dr. Daniel Eckstein verfassten Text wird zum Schluss noch darauf hingewiesen, dass das europäische Recht einer Straffreiheit bei Cannabisbesitzes zum Eigenkonsum nicht entgegenstehen würde. Man sei sich jedoch darüber bewusst, dass die Entkriminalisierung ohne eine Legalisierung der Erwerbsmöglichkeit nicht vollständig sei. Man erwarte im Einklang mit den Vorgaben des Rahmenbeschlusses und dem Schengener Durchführungsabkommen, dass ein Wechsel der Systeme durchgeführt werden müsse. Der Verkauf auf dem Schwarzmarkt müsse, dem eines überwachten und zur Prävention von Abhängigkeit geeigneten Abgabesystems weichen.
Dieses System sollte dann auf den nationalen Markt beschränkt werden. Dass der Verkauf oder die Abgabe von Cannabis an Personen unter 18-Jahren aus Sicht der NRV weiterhin zu bestrafen wäre, wird zum Abschluss der Pressemitteilung erwähnt. Dies sollte aber wohl auch aus Sicht aller Legalisierungsbefürworter und Gegner des Vorhabens als ebenso sinnvoll erachtet werden, wie hoffentlich alle zuvor ausgesprochenen Forderungen der aufgeschlossenen Richtervereinigung.