Das Cannabisverbot sorgte auf vielen Teilen der Erde in den letzten Dekaden für eine viel zu hohe Anzahl von Verhaftungen. Auch in Brasilien, wo 2019 der Weg für den Einsatz von medizinischem Cannabis frei gemacht wurde, gab es bislang immer noch mit dem Genusskonsum von Privatpersonen ein unproportionales Problem, das Menschen aufgrund ihres Konsumverhaltens häufig in Gefängnisse brachte.
Brasilien zählt nach den USA und China zu den Ländern, in denen insgesamt am meisten Menschen in Haftanstalten festsitzen, die dort oft von kriminellen Banden kontrolliert werden. Eine kürzlich durchgeführte Studie des brasilianischen Forschungs- und Bildungsinstituts Insper ergab dazu, dass Personen mit schwarzer Hautfarbe, die von der Polizei mit Drogen erwischt wurden, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als Drogenhändler angeklagt werden als ihre weißen Mitbürger. Damit ist auch in Brasilien, ähnlich wie in den USA, die Prohibition von Marihuana stark mit rassistischen Zügen versehen.
Auch wenn das 2006 in Kraft getretene brasilianische Drogengesetz den Kauf, den Besitz, den Transport oder das Mitbringen von Drogen für den persönlichen Gebrauch eigentlich mit einem geringen Strafmaß unter Strafe stellt, wurde die Menge, die den persönlichen Gebrauch vom illegalen Handel unterscheidet, nicht angegeben. Daher lag diese Entscheidung bislang im Ermessen der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des zuständigen Richters. Deswegen urteilte der oberste Gerichtshof des Landes jetzt, dass der Besitz von Cannabis für den persönlichen Bedarf nicht länger als strafbar angesehen werden darf. Der oberste Gerichtshof Brasiliens entkriminalisierte Cannabis!
Bisherige Strategien folgenlos
Bislang lag es im Ermessen jedes einzelnen Richters, die Menge an Marihuana festzulegen, die als persönlicher Gebrauch und nicht für den Handel bestimmt wahrgenommen wurde. Spitzenrichter, die eine Entkriminalisierung befürworten, argumentieren, dass diese Auslegung gewiss Vorurteile verstärkt hätte, insbesondere gegenüber armen und dunkelhäutigen Personen. Jetzt urteilte der oberste Gerichtshof des Landes, dass künftig das Mitführen von Cannabis in geringen Mengen nur noch als Ordnungswidrigkeit ohne strafrechtliche Folgen eingestuft werden soll. Doch bis zu welchen Mengen ein persönlicher Bedarf in Zukunft reiche, wurde vom Gericht erst im Nachhinein bestimmt. Jetzt heißt es, dass eine Menge von bis zu 40 Gramm nicht unter den Drogenhandel fiele.
Die Entscheidung wurde getroffen, da der Konsum und die Macht der Drogenhändler trotz des Verbotes immer weiter zunahmen, erklärte Gerichtspräsident Luís Roberto Barros unter anderem auf Zeit.de. Die bisherigen Strategien hätten nicht funktioniert. Da in dem südamerikanischen Land ungefähr 85.200 Menschen im Gefängnis sitzen – oft auch nur wegen des Besitzes geringer Mengen – könnte die Entkriminalisierung von Cannabis auch dafür sorgen, die gänzlich überfüllten Gefängnisse in Brasilien in gehöriges Stück zu entlasten. Mit dem Schritt wolle man auf keinen Fall Cannabis für den Privatgebrauch legalisieren oder gar vermitteln, dass er eine gute Sache wäre. Man wolle einfach nur versuchen, wie man diese Epidemie, die es in Brasilien gäbe, am besten bekämpfen könne, so Barros.
Gefängnisse sind der falsche Ort
Aktivisten und Rechtswissenschaftler haben schon lange auf die Entscheidung des obersten Gerichtshofs gewartet. Diese sich mit dem Thema auseinandersetzenden Menschen argumentieren, dass die derzeitige Gesetzgebung häufig dazu geführt habe, dass Konsumenten schon für den Besitz kleiner Mengen von Drogen wegen Drogenhandels verurteilt wurden. Die Kritiker behaupten dazu, dass die Betroffenen dann häufig in überfüllten Gefängnissen inhaftiert werden, wo sie anschließend gezwungen wären, sich den dort agierenden Gefängnisbanden anzuschließen. Immer wieder würde es auch hinter Gittern zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen und eine große Anzahl inhaftierter Bandenchefs steuere die kriminellen Geschäfte sogar noch aus dem Gefängnis heraus.
Fast 25 Prozent der Inhaftierten in Brasilien wurden wegen Drogenbesitzes oder -handels verhaftet, berichtet der „World Prison Brief“, eine Online-Datenbank mit kostenlosem Zugang zu Informationen über das globale Strafvollzugssystem. Brasilien blieb jedoch nach wie vor eines der wenigen Länder in Lateinamerika, das den Besitz kleiner Mengen Cannabis für den persönlichen Gebrauch bislang nicht entkriminalisiert hatte. Und obwohl das Verbot offensichtlich keinen Nutzen mit sich brachte, brachte der Senat noch eine Verfassungsänderung ein, die den Besitz von Marihuana in jeder Menge unter Strafe stellte – während der Oberste Gerichtshof die Entkriminalisierung prüfte.
Dieser Gesetzentwurf liegt nun dem Unterhaus vor und in einem überwiegend konservativen Kongress hatte der Verfassungs- und Justizausschuss den Vorschlag vor zwei Wochen mit 47:17 Stimmen angenommen.
Zum Glück hat daher jetzt der oberste Gerichtshof entschieden, dass man den Besitz von kleinen Mengen Cannabis als Ordnungswidrigkeit betrachten soll, der keine Strafverfolgung rechtfertige. Das Urteil wurde am 25.06. verkündet, wobei acht der elf obersten Richter dafür stimmten.