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ADHS ist vielen ein geläufiger Begriff – der Zappelphilipp in der Schule allgemein bekannt. Nur wenige Menschen wissen, dass ADHS eine Erkrankung ist, die nicht mit der Pubertät endet. Allerdings kann sie sich auswachsen. Ein Drittel der Kinder verliert ADHS mit der Pubertät. Der Rest nimmt die Probleme allerdings mit ins Erwachsenenalter, in den Job, in die Beziehung, kurz: In eine Welt, in der kaum noch jemand Verständnis hat, wenn der Zappelphilipp sich nicht in den Griff bekommt.
3 ADHS-Typen im Erwachsenenalter
Den unaufmerksamen Typen, den hyperaktiven Typen und den Mischtypen. Welche Probleme sich mit einer geminderten Aufmerksamkeit, einer schlechten Impulskontrolle, verminderter emotionaler Regulierung und daher Stresstoleranz im Alltag ergeben, dürfte klar sein. Viele ADHS-ler leiden zusätzlich an Schlafstörungen und Begleiterkrankungen wie Restless-Legs-Syndrom, Depressionen oder einer Angststörung. Natürlich gibt es schon lange Abhilfe, welche aber gar nicht so natürlich ist. Man verschreibt gemeinhin Stimulanzien wie Amphetamine, Ritalin, Methylphenidat etc. Leider gehen diese, wie beinahe alle Psychopharmaka, mit mehr oder weniger starken Nebenwirkungen einher und sind deshalb nicht jedem eine Hilfe. Manch einer lehnt sie sogar von vornherein ab. Verdenken kann man es niemandem, denn mach ein spät diagnostizierter ADHS-ler fühlt sich, als käme er vom Regen in die Traufe.
Lindern die Medikamente einerseits die Konzentrationsprobleme und regulieren die Gefühlsausbrüche, mindern sie doch andererseits stark den Appetit, verstärken die Schlaflosigkeit, führen zu Kopfschmerzen und Mundtrockenheit und oft wird auch von der Verflachung der Affekte gesprochen, womit gemeint ist, dass die Gefühle schlecht spürbar sind. Öfter habe ich die Redewendung „sich wie ein Roboter fühlen“ zu dieser Problematik von Betroffenen gehört. Abgesehen davon ist natürlich auch die Auswirkung auf Leber, Nieren und Herz nicht zu vernachlässigen. Die Werte werden alle 3 bis 6 Monate kontrolliert. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Menschen mit ADHS, so wie viele andere Menschen auf der Welt, die unter chronischen Krankheiten leiden und starke Medikamente einnehmen müssen, nach einer weniger gefährlichen und verträglicheren Alternative suchen.
Seit dem 10.03.2017 sehen allerdings nicht nur Menschen mit ADHS einen Silbersteifen am Horizont. An diesem Tag ist in Deutschland das Gesetz für Cannabis in der Medizin in Kraft getreten. Das Gesetz wendet sich primär an die Palliativversorgung, die sich spezielle an Menschen richtet, deren Krankheiten nicht geheilt, deren Symptome aber gelindert werden können. Dies trifft beispielsweise auf chronische Schmerzen, für die ca. 69 % der Rezepte ausgestellt werden, Spastiken mit ca. 11 % Anorexie mit ca. 8 % und des weiteren Erkrankungen, wie das Tourette-Syndrom, Depressionen, das Restless-Legs-Syndrom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder auch ADHS zu.
Allerdings ist nicht jedem mit diesem Gesetz geholfen, da Cannabis für ADHS verschrieben zu bekommen gar nicht so einfach ist. Zum einen sind die Kassenärzte oft nicht geschult, und wissen nicht, was sie dürfen und was nicht; zum anderen existiert in Deutschland genau eine Studie, die sich mit der Wirksamkeit von Cannabis bei ADHS im Erwachsenenalter befasst.
Aufgrund der schlechten Studienlage ist es schwierig, Cannabis evidenzbasiert in die Leitlinie der Ärzte aufzunehmen, und somit muss jeder Arzt, der Cannabis gegen ADHS verschreibt, genau darlegen warum. Außerdem stellen sich die Krankenkassen oft so quer, dass Patienten sich durch mehrere gerichtliche Instanzen klagen müssen. Zu dieser Problematik werde ich später noch am Fallbeispiel Maik Zorn berichten.
Das Gesetz schreibt vor, dass man Cannabis für ADHS nur erhalten darf, wenn man:
1. Eine gesicherte Diagnose für ADHS im Erwachsenenalter hat.
2. Eine störungsspezifische, medikamentöse Therapie absolviert hat, welche entweder nicht anschlug oder mit unverhältnismäßig starken Nebenwirkungen einherging. In einer solchen Therapie wird mit Stimulanzien, wie Methylphenidat, Ritalin oder Atomoxetin behandelt.
3. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf Krankheitsverlauf oder schwerwiegende Symptome.
Allerdings hört und liest man immer wieder, dass Patienten einfach kein Cannabis bekommen und ich fragte mich warum. Zur Beantwortung dieser Frage habe ich Frau Dr. Eva Milz zurate gezogen. Sie ist Psychotherapeutin in Berlin und in ganz Deutschland bekannt für ihre Arbeit mit Cannabis. Auch die Falldarstellung, auf welche ich mich später noch beziehe, hat sie in Zusammenarbeit mit Dr. Grothenhermen durchgeführt. In unserer E-Mail-Korrespondenz erzählte sie mir, dass das größte Problem auf dem Weg zur Cannabistherapie in ihren Augen oft die Patienten seien. Sie schrieb mir, dass oft allein schon die Diagnose fehle. Hinzu käme, dass Patienten oft den konventionellen Weg über Stimulanzien ablehnten und diese als „Chemie“ bezeichnen würden. Frau Dr. Milz erklärte mir auch, dass es nicht möglich wäre, Cannabis als Medikament der ersten Wahl zu verschreiben, da die Leitlinie dies eben nicht vorsähe.
Ich erklärte schon, dass man Medikamente meist evidenzbasiert (auf Basis empirisch zusammengetragener und bewerteter, wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgend) in die Leitlinie aufgenommen werden und dafür momentan einfach noch die Menge der Daten fehlt. In der Leitlinie stehen Behandlungsempfehlungen, an denen sich die Ärzte orientieren können.
Der Fall eines ADHSlers, der am 27.11.2018 vor Gericht versuchte Cannabis zu erstreiten, erzählt eine ähnliche Geschichte [1]. Der junge Mann (31), hatte in einem Eilverfahren Einspruch gegen einen Beschluss des Sozialgerichtes eingelegt, und wurde abgewiesen. Dieser Fall ging durch viele Medien, welche zum Teil mit „Kein Cannabis für ADHS Patienten“ titelten. Eine bestenfalls unglücklich gewählte Überschrift, zumindest eine sehr missverständliche. Damit war nämlich nicht der ADHS Patient allgemein gemeint, sondern ausschließlich dieser junge Mann, welcher tatsächlich ohne eine gesicherte Diagnose in dieses Verfahren gegangen war.
Außerdem hatte ihm seine Praxis nur einmal Cannabis verschrieben, und sich danach geweigert, ihn weiterzubehandeln. Er sei auf das Medikament „fixiert“, hieß es vonseiten der Praxis. In meinen Ohren klingt das den Problemen der Frau Milz fast identisch. Sie schrieb mir, sie sei sogar auf der Suche nach Patienten, welche die Kriterien erfüllen. Es gibt also keinen Grund, sich auf seinem Weg beirren zu lassen.
Auch an der Studienlage wird gearbeitet, so fand ich etwa eine Studie aus Finnland, die die unglaubliche Odyssee eines Mannes erzählt, der sogar bis nach Deutschland reisen musste, um Cannabis zu bekommen, an dem aber dokumentiert werden konnte, wie gut sich Cannabis auf die Symptome des ADHS auswirkt [2].
Zudem fand ich eine Studie bzw. Falldarstellung mit 30 Erwachsenen ADHS Patienten aus dem Jahre 2015 von Frau Dr. Eva Milz und Herrn Dr. Franjo Grotenhermen [3]. Es ist eine Falldarstellung aus der praktischen Anwendung. Die kontrollierte und randomisierte Studie, die man auch so nennen darf, ist die von Ruth Cooper aus 2017 mit Sativex® bei ADHS im Erwachsenenalter. Sie erwähnt unsere Falldarstellung in ihrer Literaturliste, hat aber die wichtigere Arbeit der Publikation gemacht. Auf Basis dieser Erhebung kann man Patienten, die alle Kriterien erfüllen, Sativex als off-label Behandlungsversuch verordnen. Die Erfahrungen mit einem Fertigmedikament verbaut den meisten Patienten weniger den Weg zu einem weiter verordnenden Kassenpsychiater als ein einmaliges Blütenrezept.
Viele Menschen mit ADHS konsumieren Cannabis illegal, und oft gereicht ihnen das zum Nachteil. In meinem Interview „Wenn Therapien krank machen“ habe ich eins dieser Beispiele beleuchtet. Es ist nicht nur mit Strafverfolgung und Stigmatisierung zu rechnen, sondern zum Beispiel auch damit, bei einer dringend benötigten Therapie, als Drogenabhängiger abgelehnt zu werden. Deshalb und aus finanziellen, rechtlichen und sozialen Gründen ist es in jedem Fall ratsam, den Weg der legalen Therapie zu wählen.
Lieferengpass, Krankenkassen, Kassenärzte
Leider kann sich Deutschland noch immer nicht selbst mit medizinischem Cannabis versorgen, da die Vergabe der Anbaulizenzen ein ziemliches Chaos war, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte. Primär werden wir aus Kanada und den Niederlanden beliefert. Diese Abhängigkeit hat zum Beispiel für leere Apotheken gesorgt, als in Kanada Cannabis im Oktober 2018 auch zu Genusszwecken legalisiert wurde. Dies soll sich jedoch voraussichtlich ab Ende 2020 ändern, teilte die BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) am 03.04.2019 zur Verteilung der Lizenzen mit.
Die nächste Hürde stellen bedauerlicherweise unsere Krankenkassen dar, denn obwohl das Gesetz eindeutig festschreibt, dass die Entscheidung, ob ein Patient Cannabis bekommt, ausschließlich beim Arzt liegt und die Krankenkassen sich inhaltlich nicht damit befassen dürfen, tun sie es. Beinahe jeder Patient muss sein Recht bei seiner Kasse einklagen. Bei dieser Taktik geht es nicht einmal darum, Recht zu bekommen, sondern darum, Menschen mürbe zu machen. Wer unter einer Erkrankung leidet, die mit Cannabis behandelbar ist, hat meist schon einen langen Leidensweg hinter sich, und weder Kraft noch Geld oder Zeit für ein Gerichtsverfahren. Dennoch stellen sich regelmäßig mutige Menschen diesem Kampf um ihr Recht, und das Recht aller Patienten.
Ein Beispiel dafür ist Maik Zorn, welcher im Jahre 2015 einer der wenigen Patienten war, die eine Sondergenehmigung für Cannabis gegen ADHS erhielten. Diese sollte er allerdings zum Erlass des neuen Gesetzes im März 2017 abgeben. Nun ging der ganze Kampf, den er zuvor schon geführt hatte, erneut los. Im Januar 2017 stellte er dann erneut einen Antrag auf Übernahme der Kosten, welcher abgelehnt wurde. Im Februar wiederholte sich das Ganze und das, obwohl sein ADHS vorher erfolgreich mit Cannabis behandelt worden war, und er sogar eine Schwerbehinderung mit 40 % anerkannt bekam. Daraufhin sprach er bei seiner Krankenkasse vor und wurde nicht ernst genommen.
Im April desselben Jahres kam es dann zur Verhandlung, da Herr Zorn Eilklage eingereicht hatte. In dieser Verhandlung wurde entschieden, dass Herr Zorn von seiner Krankenkasse bis zur Hauptverhandlung mit Cannabis versorgt werden muss. In der Hauptverhandlung bekommt er hoffentlich seine Kostenübernahme für 150 Gramm Cannabis im Monat zurück. Die Verhandlung steht noch aus; ich werde über den Ausgang berichten. Allerdings hat dieses ganze Martyrium so viele alte Wunden, des ebenfalls unter einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung leidenden Herrn Zorn aufgerissen, dass ihm inzwischen eine Schwerbehinderung von 50 % anerkannt werden musste. Dies ist wirklich ein anschauliches Beispiel dafür, wie Krankenkassen die Not von Patienten vergrößern, nur um Geld zu sparen.
Zu guter Letzt wären da noch die fehlenden bzw. ungeschulten Kassenärzte. Da es keine zentrale Anlaufstelle für Ärzte oder Patienten gibt, um sich über das Gesetz zu informieren, sind Ärzte natürlich verunsichert. Wenn der Patient z. B. ein Rezept einlöst, dass die Krankenkasse dann doch nicht zahlt, bleibt der Arzt darauf sitzen. Auch die Anträge sind ein riesiges Stück Arbeit und da fragt sich wahrscheinlich der eine oder andere Mediziner, warum er denn soviel Mehraufwand betreiben sollte. Zum Glück gibt es auch unheimlich viele Ärzte, die interessiert sind und mit denen man ganz offen über das Thema sprechen kann, auch wenn man noch nicht legal konsumiert.
Egal, welche Erkrankung man hat, einen Kassenarzt zu finden, der mit einem diesen Weg geht, ist meist sehr schwierig. Gesagt sei allerdings, dass man hauptsächlich bei Suchtmedizinern schnelle Hilfe finden kann, da sich diese deutlich besser mit Substanz und Gesetzeslage auskennen.
Abschließend möchte ich noch eine zusätzliche Möglichkeit aufzeigen, Cannabis für ADHS zu bekommen, ohne den Umweg über Stimulanzien machen zu müssen. Ich habe initial schon über die Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) von ADHS geschrieben, und ebendiese stellen auch einen Weg zur Cannabistherapie dar. Sollte man unter anderem unter einem Restless-Legs-Syndrom leiden, gibt es in der Leitlinie primär die Behandlung mit L-Dopa, einem Dopaminantagonisten. Dieses Medikament ist eigentlich ein Parkinsonmedikament und geht häufig mit Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schläfrigkeit und Erbrechen einher. Sollte man dieses nicht vertragen, was oft der Fall ist, hat man eine echte Chance, mit dem richtigen Arzt Cannabis zu erhalten.
Man zahlt momentan für 100 Gramm Tilray 25 ganze 2806 €. Das ist ca. der fünffache Straßenpreis. Man sollte sich also gut überlegen, ob man seinen Bedarf wirklich selbst decken kann und will. Natürlich ist es auch möglich, ein Rezept erst mal privat zu zahlen, bis die Krankenkasse eingelenkt hat.
Abschließend kann ich sagen, dass mein ADHS ungemein von Cannabis profitiert, und zwar in allen Bereichen. Ich kombiniere es mit einem CBD Vollspektrum-Öl. Außerdem konsumiere ich THC ausschließlich abends und nachts gegen meine Schlafstörungen, ansonsten würde meine Produktivität leiden. Tagsüber bin ich mit CBD gut auf der Linie. Hoffentlich wird das in Zukunft noch mehr Menschen mit ADHS so gehen.