Thomas ist 54 und steht voll im Leben. Er hat eine Frau, drei Kinder, 4 Enkelkinder und arbeitet als Fischer in einer Meeresfischzucht. Er hatte erst vor Kurzem geheiratet und war sehr zufrieden mit seinem kleinen Völklinger Leben. Seine zwei Jack Russel Terrier hielten ihn fit, genauso wie sein Rad, mit dem er jährlich 5000 Kilometer bestritt. Zur Ruhe kam er beim Angeln oder der Gartenarbeit. Ab und an wurde ihm etwas schwindelig seit letztem Dezember, aber das war für Thomas kein Grund zur Sorge.
Auch als er in seinem Betrieb stürzte, dachte er, er sei ausgerutscht. Der Schwindel lies nach nicht allzu langer Zeit nach, und auch die Stürze verschwanden für einige Wochen… bis sie mit voller Wucht zurückkamen und Thomas einen Arzt aufsuchen musste. Dieser stellte sofort einen Nierenstein fest. Außerdem hatte der Stein offenbar Blutungen verursacht. Er wurde heimgeschickt. Ein Nierenstein ist nichts Akutes, auch wenn er furchtbare Schmerzen verursachen kann. Am nächsten Tag ging es Thomas derart elend, wie er selber sagt, dass er abermals einen Arzt auf, welcher seinen Nierenstein zwar bestätigte, ihn aber aus einem anderen Grund ins Krankenhaus einweisen ließ.
Glück im Unglück
Man hatte Thomas ein Kolonkarzinom, also Darmkrebs, diagnostiziert. Der Tumor war groß und hatte Blutungen verursacht, die seinen Schwindel ausgelöst hatten. Thomas war nie auf der Arbeit ausgerutscht, sein Körper hatte versucht, ihm etwas mitzuteilen. Sein Arzt sagte, er solle seinem Nierenstein danken, sonst hätte er wahrscheinlich nicht überlebt. Thomas war geschockt. Man sagte ihm, dass man unverzüglich eine Operation anberaume, und acht Tage später lag er tatsächlich unter dem Messer. Die Zeit bis zur OP war die Hölle. Sein erster Gedanke nach der Diagnose war: Was wird mit meinen Kindern? Als er das erzählt, bricht ihm die Stimme und dann berichtet er, warum. Thomas ist einer von drei Brüdern und der Einzige, der noch lebt.
Seine Brüder waren beide Sportler, beide Nichtraucher, und dennoch ereilte einen seiner Brüder vor geraumer Zeit eine Lungenkrebserkrankung. Die Ärzte gaben seinem Bruder acht Monate, er starb nach sieben. Acht Monate später folgte ihm der zweite Bruder auf demselben Wege. Er sah sie beide wortwörtlich vor sich hinsiechen. Sie gingen qualvoll an ihrem Krebs zugrunde und mussten zuletzt per Sonde ernährt werden. Dies alles lief nun vor seinem inneren Auge ab und er beschloss, sich diesen Leidensweg zu ersparen. Er wollte vom Dach des Krankenhauses springen und vereinbarte mit sich noch abzuwarten, bis er am nächsten Tag die Prognose bekam. Zum Glück, denn sonst würde ich diesen Artikel nicht verfassen. Die Ärzte gaben ihm bei einer schnellen OP eine gute Prognose, denn der Krebs hatte keine Metastasen gebildet.
Acht Tage später, am Rosenmontag, wurde er erfolgreich operiert. Man entfernte ihm 50 cm seines Dickdarms, glücklicherweise ohne die Notwendigkeit eines künstlichen Darmausgangs. Thomas dachte, alles wäre überstanden. Er dachte, er würde in zwei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen, und er könne einfach in sein altes Leben zurückkehren. Doch weit gefehlt. Er wurde gefragt, ob er trotzdem keine Metastasen gefunden wurden, eine vorsorgliche Chemotherapie machen möchte, und er entschied sich dafür. Daraufhin beantragte sein Onkologe sofort eine begleitende Cannabistherapie, welche auch anstandslos nach 4 Wochen bewilligt wurde. Warum das “so einfach” war, erfahren wir später noch. Thomas hatte zwar früher schon mal gekifft, wäre aber nie auf die Idee gekommen, dass Cannabis mal seine Medizin sein könnte.
Jedenfalls hatte er keine Berührungsängste und testet sich nun schon seit geraumer Zeit durch alles, was die Apotheken zu bieten haben. 60 Gramm zahlt ihm die AOK nun monatlich. Thomas ganzes Leben hat sich verändert. Er ist nun 100 % schwerbehindert. Er musste seine komplette Ernährung umstellen, sich in der Zeit nach der Entlassung 140 Thrombosespritzen setzen (eine täglich). Er musste wieder lernen, aufzustehen, zu laufen – er musste sich ins Leben zurückkämpfen. Vor allem musste er die Opiate ausschleichen, die er gegen die Schmerzen genommen hatte, denn sie nahmen ihm zwar die Schmerzen, aber er war auch sonst zu kaum etwas zu gebrauchen, so stark war er sediert.
Jedenfalls war Thomas erst mal 6 Monate krankgeschrieben, um mit allem klarzukommen und sich an sein neues Leben zu gewöhnen. Diese waren auch nötig, denn Thomas hatte starke Schmerzen. Sein Darm war an der Bauchdecke festgewachsen, und es hatten sich inzwischen die Nebenwirkungen der Chemotherapie eingestellt. Er litt unter furchtbarer Übelkeit, vor allem morgens, und durch die ständigen Schmerzen hatte er keinen oder keinen erholsamen Nachtschlaf. Seine Hände und Füße gingen auf, manchmal bis aufs Fleisch. Seine Nägel zeigten Flecken. Auch das Husten, Niesen und Lachen bereitet ihm Schmerzen, der Appetit ist verschwunden und hinzukommt die Angst. Bald hat Thomas nämlich seine Folgeuntersuchung, bei der festgestellt wird, ob sich doch noch bösartige Zellen in seinem Körper befinden, und das lässt ihn natürlich noch schlechter schlafen.
Lebensqualität durch Cannabis
Cannabis ist nun Thomas ständiger Begleiter. Er hatte das Glück, sowohl einen Volcano für daheim als auch einen Mighty für unterwegs von seiner Krankenkasse finanziert zu bekommen. Dass Thomas vor allem morgens unter starker Übelkeit leidet, haben wir schon erfahren und ebendies ist der Grund für seine schnelle Bewilligung. Er kann in diesem Zustand weder Tabletten noch Tropfen zu sich nehmen, da er sie erbrechen würde. Da bleibt nur der Dampf als Medikation. Er sagt: “Vor dem Rauchen ist mir beim Anblick von Essen kotzübel. Nach einem Schlauch (Volcano) könnte ich den ganzen Kühlschrank leer essen!”
Dieser Effekt ist auch bitter nötig, denn Thomas hatte schon 18 kg abgenommen und inzwischen wieder zweieinhalb zu. Auch Thomas Schlaf hat sich durch das Cannabis signifikant verbessert. Es beruhigt seine Ängste und lindert seine Schmerzen. Seit April hat Thomas nun im Rahmen seiner Chemotherapie schon 1200 Tabletten genommen. Er ist im letzten Zyklus und froh, dass er es bald geschafft hat. Damit gibt es nur ein Problem – sein Onkologe legte ihm nahe, dass seine Cannabistherapie damit beendet sei. Der Oktober hält für Thomas also gemischte Gefühle bereit. Außerdem kann Thomas mit Cannabis seinen Alltag ganz normal bewältigen, was durch die sedierende Wirkung von starken Schmerztabletten nun mal nicht möglich wäre.
Dies bereitet Thomas große Sorgen, ist er sich doch nicht sicher, wie er ohne Cannabis essen und seine Schmerzen aushalten soll. Er sagt, dass Cannabis auf jeden Fall besser ist, als noch mehr Tabletten zu schlucken… Tabletten geschluckt hätte er nun genug. Diese psychische Belastung verschlechtert seinen Allgemeinzustand deutlich. Er sagt: ”Immer muss man nur kämpfen für seine Gesundheit, um sein Recht, um Akzeptanz. Das kostet so viel Kraft und Nerven, ohne diese Kämpfe würde es einem wirklich besser gehen.” Und das sagt er nicht nur, weil er nun einen neuen Arzt braucht. Nein, er hat Probleme mit seinem Arbeitsumfeld. Thomas ist tapfer, und wenn er arbeiten kann, dann muss er nicht den ganzen Tag über Krebs nachdenken. Also ging Thomas nach einem halben Jahr wieder zur Arbeit und bekam von seinem Chef einen Schonposten. Der Chef wusste von Thomas Medikation und reagierte gelassen. Wie auch sonst denkt sich manch einer vielleicht. Die Antwort folgt auf dem Fuße. In der Belegschaft gibt es wie vielerorts eine Konsumakzeptanz für Alkohol.
Auch als Freizeitdroge für einen einfachen Rausch wird Alkohol akzeptiert. Als herauskam, dass Thomas Cannabis als Medikament konsumiert, wurde er sofort als Kiffer abgestempelt, was immer noch besser wäre, als sich mit Alkohol zu berauschen. Sein Betriebsleiter verfolgte und terrorisierte ihn regelrecht, wollte wissen, wie viel er konsumiert, ob der Arzt das überhaupt verschreiben darf, und gab ihm einfach das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Nachdem Thomas sich mehrmals abgegrenzt und ihm zu verstehen gegeben hat, dass ihn das nichts angeht und sich dennoch nichts änderte, ging er zum Arzt, um sich ein Attest ausstellen zu lassen. Dieses bescheinigte nun eine Einschränkung beim Staplerfahren und dem Bedienen schwerer Maschinen. Doch der Terror nahm kein Ende und brachte Thomas sogar 3 Tage Zwangsurlaub ein. Da wandte Thomas sich an den Integrationsrat, und dieser sollte endlich helfen.
Der Berater des Rates kam zu einem innerbetrieblichen Gespräch und klärte, wie Thomas sagt, “was Sache ist”. Danach hatte er nie wieder Probleme. Auch in seiner Familie hat Thomas große Probleme mit der Akzeptanz seines Medikaments. Einer seiner Söhne schämt sich für das Medikament seines Vaters. Es ist schwer, sich vorzustellen, wie sehr es schmerzt, wenn das eigene Kind, dass eigentlich glücklich über die Lebensqualität des Vaters sein sollte, ihn verleumdet. Auf Grillfesten wird er gemieden, denn er könnte den Freunden ja etwas über seinen Drogenkonsum erzählen, dabei konsumiert er sein Cannabis nicht einmal öffentlich. Andere Menschen ihr Bier dafür schon. Es ist traurig und alarmierend, in einer Gesellschaft zu leben, in der es wichtiger ist, vor seinen Freunden das Gesicht zu wahren, als der Familie in schweren Zeiten beizustehen. Thomas hält sich inzwischen von derart verletzenden Festen fern. Dafür ist er besonders gut zu sich selbst. Er kocht viel, ist mit seinen Hunden im Wald und kümmert sich immer noch aufopferungsvoll um den Garten, nur den Rasen kann er nicht mehr selber mähen.
Vor Kurzem hat er all dies noch mit seiner Frau getan, die er vor einem Jahr geheiratet hat, doch sie hat seine Krankheit nicht ertragen. Vier Jahre waren sie zusammen, und sie war vorher schon zart besaitet gewesen. Sie erlitt durch die große Belastung einen Nervenzusammenbruch. Sie wird stationär in einer Psychiatrie behandelt und wird in 14 Tagen entlassen, doch zurückkehren wird sie nicht. Sie hat sich getrennt, weil sie der Belastung nicht standhielt, und wird zurück in den Schwarzwald ziehen. Gerade jetzt, wo er sie am nötigsten braucht. Manchmal fängt er einfach unvermittelt an zu weinen, einfach so erzählt er.
Jedenfalls testet Thomas sich nach wie vor durch alles, was seine Kölner Apotheke zu bieten hat. Er lässt es sich per Paket senden, da Cannabisapotheken leider noch immer rar sind. Vom Bedrocan musste er husten, nun ist er bei Tilray angekommen und zum Schlafen bei Pedanios 22/1. Sein Arzt konnte ihm nichts empfehlen und wundert sich nun über ständigen Sortenwechsel – wieder ein Patient, der sich innerhalb kürzester Zeit besser mit seinem Medikament auskennt als sein Arzt. Deutschland hat Handlungsbedarf.