Cannabis Patientengruppe Berlin
Seit Juni 2014 gibt es in Berlin regelmäßig Treffen der Patientengruppe des Selbsthilfenetzwerkes Cannabis als Medizin. Anfangs fanden diese in den Räumlichkeiten des Hanfverbandes statt, später in den Räumen der Aidshilfe, und inzwischen, coronabedingt, im Haus der Statistik am „Alles Anders Platz“ (Alexanderplatz). Sie finden einmal monatlich, inzwischen am dritten Freitag des Monats statt und sind Zufluchtsort, Wissensquelle, Heimat, Rechtsberatung und Vernetzungsmöglichkeit für Menschen mit den unterschiedlichsten Anliegen. Vor allem treffen sich dort natürlich Cannabispatienten, und solche, die es werden wollen. Sie ist die einzige Gruppe dieser Art in Berlin, die Treffen sind anmeldungsfrei und offen für jeden, der Interesse am Thema hat. So verschlägt es auch gelegentlich Journalisten, Angehörige Betroffener, also erkrankter Menschen, die teils nicht mehr selbst kommen können, Menschen, die sich auf den langen Weg zum Cannabispatienten machen wollen und auch Menschen ohne primär medizinischen Hintergrund.
Diese kommen meist, weil es Probleme mit dem Führerschein gibt. Auch dafür gibt es einen Experten, und zwar den Torsten Dietrich, welcher den CSC leitet und sich beraterisch um strafrechtliche Belange kümmert. Die meisten Menschen, die zum Patiententreffen kommen, wollen allerdings einfach Informationen sammeln, welche man sonst nirgendwo in dieser Konsistenz erhält, und sich bei der Suche nach Ärzten helfen lassen, welche Cannabis verschreiben. Auch der Austausch von Patient zu Patient ist wichtig, denn so ist es möglich, Fragen zu stellen, die einem kein Arzt beantworten könnte. Die Alltagsprobleme, die einem mit bestimmten Störungen und Erkrankungen so begegnen, verstehen oft nur selbst Betroffene. Dadurch erhält man auf den Treffen auch die Möglichkeit, sich mal nicht wie ein Alien zu fühlen. Das ist nämlich das Gefühl, dass Erkrankte oft unter neurotypischen, gesunden Menschen, welchen Cannabis fremd ist, haben.
Seelische Unterstützung und Zugehörigkeitsgefühl sind hier die Schlüsselworte. Natürlich wird das Ganze von Experten geführt. Maximilian Plenert und Stefan Konikowski stehen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Darauf, was dort an geballtem Fachwissen zu finden ist, kommen wir später noch zu sprechen. Die Treffen beginnen in der Regel mit einer Vorstellungsrunde, die, wie Plenert erzählt, allerdings eingekürzt werden musste. „Wenn bei 15 Patienten jeder seine Geschichte erzählt, sind erst nach 2 Stunden alle fertig, und dann auch fertig“, meint Max Plenert zum Verlauf der ersten Treffen. Das erklärte Ziel der Patientengruppe ist es, auf lange Sicht Kontakt zu anderen Selbsthilfegruppen aufzunehmen, da darin ein großes Potenzial steckt. Weiterhin steht die Vernetzung mit Ärzten, Juristen und weiteren Institutionen, deren Namen man auf Anfrage beim ACM oder SCM erhält, im Fokus.
Außerdem möchte der Verein ein System zur Legalisierung etablieren, das spätestens seit dem Gesetz von 2017 signifikant fehlt. Man denkt an den Weg vom Ersttreffen, über den richtigen Arzt, bis zum Anwalt, der den Patienten beim Kampf mit der Krankenkasse vor Gericht unterstützt. Auch gibt es die Möglichkeit über die Webseite des Vereins dir Mailingliste zu abonnieren, mit welcher man alle eingetragenen Mitglieder erreicht, und auch im Gegenzug täglich die Mails der anderen Mitglieder erhält – sie macht die Mails für die Gruppe sichtbar. Es ist sozusagen der „sichere“ Vorgänger des Chatrooms.
ACM und SCM
Einige Teilnehmer sind ebenfalls Mitglieder des ACM bzw. SCM, wobei die Patientengruppe dennoch eigenständig ist. Der ACM ist die Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin. Sie ist die regionale Untergliederung de IACM (International Association for Cannabinoid Medicine). Der ACM wurde 1997 in Köln gegründet und ist gemeinnützig und parteineutral. Mitglieder sind Ärzte, Patienten, Juristen und andere Interessenten aus Deutschland und der Schweiz. Einmal jährlich gibt der ACM einen Rundbrief mit allen wichtigen Neuerungen und Informationen heraus und es erscheint ein Magazin mit allen Infos zu medizinischem Cannabis und Fertigarzneien heraus. Das Spannendste am ACM sind allerdings seine Leistungen. Er vertritt nämlich Mitglieder in Musterprozessen vor dem Verwaltungsgericht, wenn sie Erlaubnisinhaber sind, und ihren Anbau von Eigenbedarf verfechten müssen.
Außerdem unterstützt er Mitglieder strafrechtlich, welche illegales Cannabis konsumiert haben, weil sie sich das Medikament aus der Apotheke nicht leisten können. Wichtige Unterstützung gegen die Kriminalisierung von Patienten also. Und so liest man es auch auf der Webseite des IACM. „Als Mitglied des IACM sind sie Teil einer Gemeinschaft, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Verwendung von Cannabisprodukten für alle Patienten durchzusetzen, die eine solche Therapie benötigen.“ Der SCM ist eine unabhängige Patientengruppe innerhalb des ACM, welche im Jahr 2006 von 17 Patienten gegründet wurde und inzwischen über 300 Mitglieder zählt. Der SCM ist kein Verein, er wird unabhängig und zum Großteil ehrenamtlich geführt und hat eine Webseite sowie eine Facebookpage. Diese wird vorrangig mit juristischen Urteilen, Nachrichten und wissenschaftlichen und medizinischen Infos gefüttert, um sie so kostenfrei zugänglich zu, machen.
Das erklärte Ziel des SCM ist eine niederschwellige, Kosten erstattende, unterbrechungsfreie Versorgung der Patienten mit Cannabis. Außerdem die Entkriminalisierung aller, die von Cannabis gesundheitlich profitieren. Hinzu kommt, dass der SCM bei Bedarf gesundheitspolitische Sprecher des Bundestages brieft, und die Parteien über die Bedürfnisse der Patienten beziehungsweise die Probleme mit dem Gesetz von 2017 aufklärt. Des Weiteren hinterfragt er politische Entscheidungen und Haltungen, nimmt Stellung bei Anhörungen und macht sich für Eigenanbau zur Selbsttherapie stark, da die Apothekenpreise größtenteils unhaltbar sind, und die BfArM nicht reagiert.
Maximilian Plenert
Zunächst möchte ich euch nun einen der, wenn man es so nennen mag, Lebensretter vorstellen. Maximilian Plenert ist nämlich bei Weitem nicht „nur“ irgendein Aktivist, er ist Wissenschaftler, Politiker, Cannabispatient, Autor, Vereinsgründer und ein unheimlich liebenswerter Mensch. Max ist 39 und, um nur mal einen Auszug aus seinem Repertoire zu zeigen, Diplomphysiker, Sprecher im Fachforum Drogen des Grünen Jugend Bundesverbandes, Bundesvorstand der Grünen Jugend, Gründungsmitglied von LEAP (Law Enforcement Against Prohibition), hat über die Friedrich-Ebert-Stiftung Kontakte zu den Linken und der SPD, ist Bundesvorstand von Akzept (Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik), Mitherausgeber und Autor des alternativen Drogen- und Suchtberichts, war angestellt beim Deutschen Hanfverband und bei Sens Media und so geht es endlos weiter. Für die Expertise dieses Herrn ist der Artikel einfach zu kurz.
Da fragt man sich natürlich – wie kam es? Max hat spät zum ersten Mal Cannabis geraucht, das war in der zehnten Klasse, und eher sporadisch, sagt er. In der Oberstufe ließ ihn das Thema dann einfach nicht mehr los. Nachdem er die Gesetzeslage eingehend studiert hatte, war er sich nämlich ziemlich sicher, die Legalisierung stünde vor der Tür, und schrieb einen Brief an einen Aktivisten. Als dieser ihm den Zahn der Legalisierung erst einmal ziehen musste, packte Max der Idealismus. Es war für ihn einfach unverständlich und eine hanebüchene Ungerechtigkeit, eine Unlogik. Heute, viele Jahre und Diagnosen später, ist er selbst Cannabispatient. Cannabis und „herkömmliche“ Pharmazie sind die Hauptbestandteile seiner heutigen Therapie. Max hat ADHS, Depressionen, Restless Legs und ist Asperger – Autist. Das Cannabis hilft ihm vorwiegend gegen Teile der manchmal sehr anstrengenden ADHS-Symptomatik. Am besten hilft ihm die Sorte Bedica von Bedrocan, welche eine deutlich indica-lastige Sorte dieses Herstellers ist.
Wenn man ihn fragt, wie er zur Prohibition steht, und welches Modell er sich denn wünschen würde, bekommt man eine klare Antwort: „Die Prohibition ist gescheitert, teuer und gefährlich.“, sagt Plenert, und wünscht sich anschließend ein Modell wie in Uruguay. Kommerzieller Anbau, aber auch Eigen- und Gemeinschaftsanbau, um den Markt zu regulieren, die Qualität zu stabilisieren und Patienten unabhängig zu machen. Er ist ein sehr gerechter und idealistischer Mensch, dem es wichtig ist, mit seiner Arbeit das Leben anderer Menschen zu verbessern. Außerdem, so sagt er, sei er überzeugt auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Zeit und Wahrheit seien auf seiner Seite, und wenn man ihn so sieht, glaubt man es unbesehen.
Patientengeschichte Stefan Konikowski – 20 Jahre Chaos
Stefan Konikowski wohnt in Berlin Prenzlauer Berg und hat eine der turbulentesten Patientengeschichten, die man sich denken kann. In jeder Hinsicht hat er sein Leben lang gekämpft – für sich – für andere, um seinen Wohnraum und für Cannabis im Allgemeinen. Stefan K., gebürtiger Westberliner, begann mit 13 – 14 Jahren, das war um 1977, zu kiffen. Warum die Seite der Mauer wichtig ist? Na, weil es im Osten zu der Zeit weder Bananen noch Gras gab! Um diese Zeit herum kiffte Stefan aus purem Genuss und wurde auch prompt das eine oder andere Mal erwischt – einmal in der Hasenheide (ja, die hatte sich schon damals einen Namen gemacht) mit 0,7 Gramm, ein anderes Mal mit einem Joint. Damals war er natürlich noch nicht strafmündig, handelte sich aber einen Eintrag im Polizeiregister ein, was zum Nachteil hatte, dass er von nun an jedes Mal komplett gefilzt wurde, wenn er Westberlin verlassen wollte.
Dies fand er auch schnell heraus, als er mit 16 aus persönlichen Gründen die Nase voll hatte und sich mit einem Schild „Raus Hier!“ in Dreilinden an den Grenzübergang stellte, und umgehend von einem Fahrer mitgenommen wurde, und zwar nach Malaga (Spanien). In dieser Zeit lebte er sich aus, und das betraf auch die Drogen. „In dieser Zeit konsumierte ich alle Drogen, die man sich vorstellen kann“, sagt er, und grinst verschmitzt. Auch mit Opiaten kam er in diesen vier Jahren zum ersten Mal in Berührung, was unproblematisch gewesen wäre, wenn er, zurück in Berlin, hätte weiterhin kiffen können. Aber das Hash war knapp. Und so kam es dazu, dass er immer weiter auf Opiate einstieg, und schließlich geschlagene 10 Jahre heroinabhängig war. Eine solche Drogenkarriere bleibt selten ohne gesundheitlichen Folgen, und Anfang der Neunziger waren Aufklärung, Forschung, Prävention, Substitution, Therapien und Hilfsangebote rar. Das musste Stefan zeitnah am eigenen Leib erfahren, denn nachdem er bei Synanon versucht hatte kalt zu entziehen, und sich sicher war, dass er dies nicht schaffen würde, versuchte er in eines der wenigen Methadonprogramme aufgenommen zu werden.
Zu der Zeit wurde noch sehr willkürlich entschieden, wer eine Therapie benötigt, und wer nicht. Auch aufgrund des geringen Angebots. Und so wurde Stefan abgelehnt, eins ums andere Mal….er war einfach noch nicht kaputt genug. Also blieb er ohne Hilfe, bis er 1994 seine HIV-Diagnose erhielt. Von da an rollte man ihm, wie er selbst sagt, den roten Teppich aus. Gemeint ist, dass er innerhalb kürzester Zeit eine Wohnung und einen Therapieplatz bekam und einen Platz im Krankenhaus, in welchem man ihn mit Methadon substituierte. Das „Problem“ mit Methadon ist, dass es zwar dem Suchtdruck (Craving) entgegenwirkt, jedoch keinen Rausch verursacht. An sich ist das auch der Sinn eines solchen Programms, nur sind Heroinabhängige ja nicht süchtig, weil sie sich gerne kaputt machen oder in Armut leben. Sie haben Probleme, Depressionen, Ängste und sind in ihrem Leben oft einfach gestrauchelt, finden keinen Sinn mehr. Das heißt, dass das psychische Verlangen nach der Linderung nicht abnimmt. Deshalb, so erzählte Stefan mir, hat sich nahezu jeder Patient dort die unmöglichsten Sachen eingepfiffen, um diese zu erlangen. Illegal versteht sich.
Das Einzige, was dort nicht verboten war, war das Kiffen. Sogar im Raucherraum. Konikowski hatte seine Strategie, er kiffte, wann immer es ihm möglich war, und merkte zu der Zeit, wie unheimlich gut ihm Kiffen eigentlich tat. Es reduzierte das Craving, half gegen Übelkeit und gab ihm seinen Hunger zurück, wodurch er wenigstens nicht mehr abnahm. Im Zuge der Methadontherapie wurde er auch gegen sein HIV behandelt, welches bekanntermaßen nicht heilbar ist. Er bekam damals Retrovir, das erste Medikament gegen HIV überhaupt. Und wie das mit neuen Präparaten immer so ist… man ist froh, dass es etwas gibt, bis man es genommen hat. Die Nebenwirkungen dieses Medikaments waren so stark, dass ich aus einem Erfahrungsbericht zitieren möchte, in welchem es heißt: „Du hattest das Gefühl, der stirbt nicht an AIDS, der stirbt vorher an AZT!“ (AZT ist der Handelsname in den USA, in Deutschland war das Präparat unter „Retrovir“ zugelassen). Das waren die Jahre 94 bis 96, und Stefan war regelmäßig froh, es überhaupt bis zur Klinik zu schaffen. Eine Stunde war keine Seltenheit, dabei war die Klinik um die Ecke. Von Baum zu Bank zu Pfeiler kämpfte sich Konikowski damals, er war 30 Jahre, zu seiner Therapie. Von Übelkeit mit stärkstem Erbrechen, über Schwächeanfälle, bis zu Fieber, Schüttelfrost und vor allem beinahe Kreislaufzusammenbrüchen hatte dieses Medikament alles auf Lager.
Zum Glück half ihm das Cannabis gegen die starken Nebenwirkungen, und die einhergehende Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Angst und Depression. Glücklicherweise erlebte auch Berlin einen Aufschwung in Hinblick auf Cannabis, denn der Markt wurde langsam stabil, und es war kein Problem mehr an Cannabis zu kommen. Doch da hatte Konikowski sein Problem schon selbst gelöst, denn er baute an. In kleinem Stil, mit einer 250 Watt Lampe, und ausschließlich zum Eigengebrauch. Endlich, so sagt er, musste er kein Heroin mehr kaufen, denn sein Medikament, sein Genussmittel, seine Rettung wuchs inzwischen in seinem Wohnzimmer. Zu der Zeit nahm er nur noch seine HIV-Medikamente und sein Cannabis zu sich. Er war zufrieden. Doch dass im Leben von Herrn Konikowski einmal Ruhe einkehrt, daran war nicht zu denken.
Grasplantagen und Legalisierungskampf
Schon 1990, als es mit Stefans Gesundheit langsam wieder bergauf ging, fragte ihn sein Freund Robert, ob er sich an einem Wohnprojekt beteiligen würde. Damals hatte Berlin einen linken Senat und es wurde Mietern das Vorkaufsrecht zugestanden. 4 Jahre und eine endlose Schlacht vor Gericht später, war klar, dass dieser Traum gestorben war, und man schloss sich einer Genossenschaft an, um den Wohnraum dennoch zu halten. Diese Genossenschaft fand das Hausprojekt zwar großartig, deren Bewohner allerdings eher nicht, und dieser Umstand sollte sich im Laufe der Zeit nicht bessern. 1998 begann die Genossenschaft mit dem Ausbau des Hauses, was später noch ein spannender Aspekt sein wird. Stefan baute währenddessen ebenfalls, und zwar an. Kurze Zeit später wurde er erwischt, und zu 18 Monaten auf drei Jahre Bewährung verurteilt. Hinzu kam, dass der Vorfall der Hausverwaltung zu Ohren kam, da er damit nicht hinter dem Berg hielt.
Der Anbau, mit dem er erwischt wurde, fand zwar nicht in seiner Wohnung statt, dennoch wird eine Hausverwaltung dabei hellhörig. Als die Verwaltung eine Weile später einfach aufhörte, Stefans Wohnung zu renovieren, besorgte er dies selbst. Unter anderem musste Fußboden verlegt werden, und so stellte Stefan seine paar Pflänzchen für den Eigenbedarf vorübergehend in den Keller, zu welchem er ja von seiner Wohnung einen Zugang hatte. Nun hatte die Verwaltung offenbar ihre Chance gerochen, und brach dem vermeintlich Kriminellen die Drogenplantage auf. Meint: Die Hausverwaltung brach in seinen Keller ein, stellte aber keine Strafanzeige. Die anschließende Räumungsklage endete in einem Vergleich, die ihm die Kellernutzung untersagte. Einige Zeit später, im Jahre 2018 kam es wiederholt zu einem „Cannabis Zwischenfall“ im Hause Konikowski, und wieder einer, bei dem man einfach nur den Kopf schütteln kann.
Es ist eine allgemein bekannte Story, in der eine Hanfplantage, ein HIV-Kranker, die Polizei und der Leiter eines bekannten Magazins der Hanfszene eine Rolle spielen. Es ist die Geschichte von Emmanuel Kotzian, dem Leiter des Hanfjournals, welchem kein Mittel zu schäbig ist, wenn es im Haus nach Gras riecht. Das tat es, und es gab Beschwerden, aber das ist in diesem Wohnprojekt schon seit Jahren nicht anders. Es gehört fast zum guten Ton. Herr Kotzian hielt es damals dennoch für nötig, einen Brief an die Hausverwaltung zu verfassen, in welchem er ungefragt deutlich machte, dass der Geruch nicht von ihm stamme. Aber damit nicht genug, er merkte auch an, dass unprofessionell geführte Cannabisplantagen zu Wasserschäden und Bränden führen können, und legte somit unausgesprochen nahe, den Verursacher des Geruchs zu ahnden, und zu beseitigen. Kurz darauf wurde der Keller von Stefan erneut aufgebrochen, und eine gesamte Ernte eingeholt, diesmal allerdings von der Polizei. Es gab erneut eine Anzeige, und Stefan war sicher, seine Wohnung nun zu verlieren.
Das Problem bestünde nicht, wenn die Krankenkasse die Kostenübernahme für sein Cannabis nicht abgelehnt hätte. Die Begründung könnte kein größerer Schlag ins Gesicht eines Menschen sein, der um Wohnung, Medikament und Lebensqualität kämpft. Man argumentierte, dass Cannabis HIV kausal nicht heilen könne. Einem HIV-Kranken mitzuteilen, seine Krankheit sei übrigens nicht heilbar, und ihm gleichzeitig das einzige Medikament zu verwehren, das seine Lebensqualität verbessert, ist bestenfalls Sadismus. Nachdem Stefan wegen des Kellervorfalls zu 6 Monaten Bewährung verurteilt worden ist, hat er nun ein zweites Mal den Kampf mit der Kasse aufgenommen, um endlich legaler Cannabispatient zu werden. Den Antrag hat er vor geraumer Zeit gestellt, auf seine endgültige Ablehnung, mit welcher er gerechnet hatte, musste er 20 Monate warten. Zeitschinderei seitens der Krankenkasse, auf Kosten des Patienten. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn entweder muss Stefan sich in der Zeit illegal mit Eigenanbau versorgen, auf eigene Kosten Gras auf der Straße kaufen, oder eben ohne Medikament bleiben.
Die Rechnung ist einfach – wer lieber Wohnungsverlust und Knast in Kauf nimmt, als sein Medikament zu verlieren, dem geht es wohl wirklich mies. Auf die Frage, ob es dafür keine Fristen gäbe, erklärte mir Stefan, dass der Antrag initial innerhalb von 5 Wochen bearbeitet werden muss. Wird dieser (wie fast immer) abgelehnt, legt man Widerspruch ein. Dieser Widerspruch muss laut Gesetz in „angemessener Zeit“ bearbeitet werden … was auch immer das bedeutet. In Stefans Fall bedeutet es 20 Monate, und jetzt geht der Kampf erst mal los, denn die Akte liegt nun bei Gericht. Stefan muss sich durchklagen, wie fast jeder Patient, der dafür noch die Kraft und das Geld hat. Jetzt werden Unterlagen gefordert, die schon zwei Mal eingereicht wurden, Schweigepflichtsentbindungen, die so oft geschickt wurden, dass die Enkelkinder der Ärzte gefühlt nichts mehr sagen dürften, und immer schwingt die Angst mit, dass alles umsonst ist. Die Angst, dass wegen eines einzigen im Gesetz geänderten Wortes, alle Hoffnung dahin ist. Ursprünglich stand im Cannabisgesetz von 2017, so erklärt Stefan, dass Cannabis für schwerwiegend, chronisch erkrankte Menschen vorgesehen war.
Das Wort chronisch wurde gestrichen, damit eindeutig schwerwiegend erkrankte Menschen nicht ein Jahr bis zur anerkannten Chronifizierung ihrer Krankheit warten müssen, um Cannabis erhalten zu können. Dieser gut gemeinte Schuss ging in den Ofen, denn es gibt keine allgemeine Definition für „schwerwiegend“. Und da schwerwiegend für die Krankenkassen offenbar „Sargnagel“ bedeutet, wie Konikowski treffend bemerkt, bleibt nur zu hoffen, dass das schier endlose Drama ums Medikament im Hause Konikowski endlich ein Ende haben darf. Aussagekräftig ist das Ende des Richterspruchs beim Verlesen des Kellerurteils, welches lautet: „Vor diesem Hintergrund hielt die Strafkammer eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten für schuld angemessen.“ Diese konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, da die Kammer dem Angeklagten eine günstige Prognose stellt. Seine letzten Straftaten liegen inzwischen einige Monate zurück. Er hat auch bereits eine Bewährungszeit überstanden. Es ist ihm zu wünschen, dass er mithilfe seiner Krankenkasse künftig Medizinalcannabis aus der Apotheke beziehen kann, sodass auch der letzte Anreiz für die Begehung solcher Straftaten entfällt.
Infos
Patientenratgeber
Zu guter Letzt möchte ich euch noch den Praxisratgeber für Patienten, Ärzte und Angehörige von Maximilian Plenert und Heino Stöver ans Herz legen. Er klärt viele Fragen bezüglich Indikationen, Preisen, Kostenübernahme, Bezug, Qualitäten und Widerstand bei Ärzten oder der Krankenkasse, welche das Cannabisgesetz von 2017 aufwirft. Der Ratgeber gibt Orientierungs- und Entscheidungshilfen, und greift viele Fragen aus den Patientengruppen auf. Er fasst 158 Seiten, kostet 19 € und erschien 2019 im Fachhochschulverlag.
Patiententelefon
Für besonders dringliche Fragen, und Menschen, die diese vielleicht nicht vis a vis stellen können, gibt es das Patiententelefon. Jeden Freitag zwischen 11 und 13, und von 14 bis 18 Uhr sind dort Max Plenert und Stefan Konikowski zu erreichen, und stehen mit geballtem Fachwissen Rede und Antwort. Wie ihr inzwischen wisst, sind beide selbst Cannabispatienten; näher am Thema geht also nicht.
Ort und Termine
Die nächsten Patiententreffen finden am 21.8., 18.9. und 16.10.2020 im Haus der Statistik am Alexanderplatz statt. Treffpunkt ist das Sonnenbeet, aber man kann sich nach Kontaktaufnahme bei Bedarf sicher auch vom Max an der S-Bahn einsammeln lassen.
Kontakt
Patientengruppe – Maximilian Plenert und Stefan Konikowski
Website: besserlebenmitcannabis.de
E-Mail: info@besserlebenmitcannabis.de
Telefon: 030 948 72687 (Nicht dauerhaft besetzt, mehrfach versuchen oder
Anrufbeantworter nutzen)
Für Fragen zu Cannabis außerhalb des medizinischen Kontexts (Rechtsberatung, Führerschein, CSC, Anbauantrag etc.)
CSC Berlin – Torsten Dietrich
Website: csc.berlin
E-Mail: vorstand@csc.berlin