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Enzyme sind Proteine, die in zahlreichen Stoffwechselprozessen als Katalysator wirken. Ein Katalysator ist ein Stoff, der an einer chemischen Reaktion beteiligt ist, ohne aber selbst im Endprodukt aufzuscheinen. Man kann sich einen Katalysator am einfachsten so vorstellen, wie einen Löffel, der den Zucker im Kaffee umrührt. Danach ist der Zucker aufgelöst, aber der Löffel ist kein direkter Bestandteil des fertigen Gemisches. Auf diese indirekte Weise finden viele chemische Umwandlungen im Körper statt.
Auch das Endocannabinoidsystem wird maßgeblich über Katalysatoren reguliert. Sowohl die Synthese der körpereigenen Cannabinoide als auch deren Abbau geschieht zu einem großen Teil über Katalysatoren, in diesem Fall Enzyme. Auch nachdem ein Cannabinoid an einem Rezeptor seine Arbeit verrichtet hat, sind unter anderem Enzyme daran beteiligt, den Rezeptor wieder in seine ursprüngliche Konfiguration zurückzuversetzen, damit er bereit ist, neue Cannabinoide andocken zu lassen. Neben ihrer katalysatorischen Funktion im Bereich der Endocannabinoide haben diese Enzyme auch selbst noch weitere pharmakologische Wirkungen.
Die Aufnahme von exogenen Cannabinoiden kann die Konzentration dieser Enzyme verändern. Es wird vermutet, dass auch der Einfluss von Cannabis auf diese Enzyme für einen Teil seiner pharmazeutischen Wirkung verantwortlich ist. Dieses fein abgestimmte System so detailliert wie möglich in ihren Zusammenhängen zu erforschen, ist essenziell, um zu verstehen, wie man welches Cannabinoid gegen bestimmte Leiden maximal effektiv einsetzt.
Enzyme für den Auf- und Abbau von Anandamid
Das wahrscheinlich bekannteste körpereigene Cannabinoid ist Anandamid. Es kann auch als eine Art körpereigenes THC bezeichnet werden. Im Wesentlichen dockt es am CB1-Rezeptor an und erzeugt dort ähnliche Wirkungen wie THC. Bei Anandamid handelt es sich chemisch um ein Derivat der Arachidonsäure, welches der Körper auf bisher zwei bekannten Synthesewegen herstellen kann. Die beiden Enzyme, welche für den Umbau verschiedener körpereigener Ausgangsstoffe zu Anandamid benötigt werden, sind N-Acetyl-Transferase (NAT), sowie N-Acylphosphatidylethanolamin (NAPE). Sobald das dabei freigesetzte Anandamid seine Funktion am CB1-Rezeptor vollendet hat, wird dieses durch ein weiteres Enzym wieder abgebaut und der Rezeptor in seine Ausgangskonfiguration zurückversetzt.
Im Gegensatz zu THC wird Anandamid rasch abgebaut. Etwa 30 Minuten nach seiner maximalen Plasmakonzentration sind die Effekte bereits nicht mehr nachweisbar. Der Abbau von Anandamid geschieht über das Enzym Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH). Dieses spaltet das Anandamid in Arachidonsäure und Ethanolamin auf. Erstmalig experimentell nachgewiesen wurde der enzymatische Aufbau und Abbau von Anandamid, kurz nach der Entdeckung des Endocannabinoidsystems.
Die älteste Forschungsarbeit, die sich zu diesem Thema finden lässt, stammt von der New York State University, aus dem Jahr 1993. Dort konnten an einer Zellkultur die beschriebenen enzymatischen Synthesewege sowie der Abbauprozess nachgewiesen werden. Neben ihrer Bedeutung im Endocannabinoidsystem haben die genannten Enzyme noch weitere wichtige Funktionen im Körper. NAT ist an der Synthese zahlreicher weiterer körpereigener Stoffe beteiligt, ganz besonders im Serotoninhaushalt.
Ferner spielt es eine zentrale Rolle in der Leberfunktion. Es ist beim Abbau zahlreicher Arzneimittel über die Leber beteiligt. NAPE spielt eine Rolle bei der Fettverstoffwechslung und regelt über eine Wirkung im Hypothalamus den Appetit. FAAH spielt eine Rolle bei entzündlichen Darmerkrankungen und wird durch seine Wirkung auf die Amygdala auch als potenzielles Mittel bei Angsterkrankungen diskutiert.
Enzyme weiterer Cannabinoide
Auch andere körpereigene Cannabinoide werden mittels Enzyme synthetisiert und wieder abgebaut. Gründlich erforscht ist mittlerweile auch der enzymatische Auf- und Abbau von 2-AG, einem weiteren sehr wichtigen Endocannabinoid. 2-AG wird, ausgehend von Diacylglycerol, durch eine Gruppe von Enzymen synthetisiert, welche Diacylglycerol-Lipasen (DAGLs) genannt werden. Nachdem 2-AG seine Funktion erfüllt hat, wird es über das Enzym Monoaglycerin-Lipase (MAGL) wieder abgebaut.
Auch diese Enzyme erfüllen neben ihrer Funktion im Endocannabinoidsystem noch weitere wichtige Aufgaben im Körper. MAGL scheint durch seinen Abbau von 2-AG, indirekt einen Einfluss auf die Sensitivität der CB1-Rezeptoren im Gehirn zu haben. Durch Beobachtungen an Mäusen konnte festgestellt werden, dass je nach Konzentration des Enzyms MAGL und der daraus resultierenden Konzentration von 2-AG, die Sensitivität des CB1-Rezeptors hoch- oder herunterreguliert wird. Eine entgleiste Konzentration dieses Enzyms wird laut aktuellem Wissensstand mit einem erhöhten Risiko für Alzheimer und Parkinson in Verbindung gebracht.
DAGLs haben ebenfalls eine zentrale Bedeutung bei mehreren Gehirnfunktionen. Aktuelle Forschungsergebnisse legen nahe, dass ein beträchtlicher Teil der Plastizität und der Neurogenese des Hippocampus auf diese Enzymgruppe zurückzuführen ist. Dementsprechend kann eine Fehlfunktion in diesem Enzymhaushalt das Entstehen neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz fördern. Forscher gehen davon aus, dass sich durch eine gezielte Modifikation dieser enzymatischen Prozesse in Zukunft neue Behandlungsoptionen für neurodegenerative Erkrankungen ableiten lassen.
Einfluss von Cannabis auf körpereigene Enzyme
Die Wirkung von Cannabis wird primär durch seine Bindung an die bekannten Rezeptoren im Endocannabinoidsystem erzeugt. Neuere Forschungsergebnisse lassen jedoch darauf schließen, dass Cannabis darüber hinaus auch noch auf weitere indirekte Wege Wirkungen im Körper entfalten kann. Ein Teil seiner pharmakologischen Eigenschaften liegt unter anderem in der Wirkung auf Enzyme des Endocannabinoidsystems begründet. Es gibt eine kanadische Studie aus dem Jahr 2016, die sich damit beschäftigte, wie sich die Bindung von FAAH in verschiedenen Gehirnregionen durch häufigen Cannabiskonsum verändert.
Dazu wurde bei 22 Personen, die angaben, kein Cannabis zu konsumieren, die FAAH-Aktivität im Gehirn, mittels einer Positronen-Emissions-Tomografie gemessen. Als Kontrollgruppe, bei der die gleichen Aktivitäten gemessen wurden, diente eine Gruppe von zehn Personen, die chronisch Cannabis konsumieren. Es zeigte sich, dass in der Gruppe, die Cannabis konsumiert, die FAAH-Bindung in verschiedenen Gehirnregionen um durchschnittlich 14–20 % geringer ist. Vergleichbare Resultate konnten bei weiteren Studien auch im Kontext des Enzymes MAGL festgestellt werden.
Mittels MRT konnte bei 89 Personen mit häufigem Cannabiskonsum eine veränderte Wirkung von MAGL in der Großhirnrinde festgestellt werden. Vermutet wird außerdem, dass ein Teil der schmerzstillenden und neuroprotektiven Wirkung von Cannabis durch eine Beeinflussung des Enzyms MAGL zustande kommt. Welche konkreten pharmakologischen Schlussfolgerungen sich daraus ableiten und inwiefern sich diese Erkenntnisse in weitere Folge medizinisch nutzen lassen, ist aktuell bisher nicht vollständig verstanden und Gegenstand weiterer Forschungen.