Die Begriffe Depersonalisation und Derealisation werden häufig synonym gebraucht, oder unter der Abkürzung DPDR zusammengefasst. Klinisch bezeichnet dieses Störungsbild eine distanzierte Wahrnehmung der Umwelt und ebenso der eigenen Person. Typischerweise klagen Patienten über eine Art surrealen Schwindel. Nichts fühlt sich echt an, alles ist wie in einem Traum.
Diese Symptome können entweder phasenweise auftreten oder permanent vorhanden sein. Bei schweren Verlaufsformen sind Patienten häufig unfähig Emotionen zu empfinden, weil sie so sehr von sich selbst und der Umwelt, wie durch einen Nebel hindurch distanziert sind, sodass sie nichts greifbar fühlen können.
Zwar tritt DPDR auch bei Personen auf, die noch nie Cannabis oder andere Drogen konsumiert haben, doch eine Beschreibung, die sich immer wieder gehäuft findet, ist, dass diese surreale Symptomatik das erste Mal beim Konsum von Cannabis aufgetreten und seither nicht mehr vollständig verschwunden ist. Patienten beschreiben die Problematik häufig auch so, dass sie sich noch bekifft fühlen, obwohl der eigentliche Rausch schon lange vorbei ist.
Cannabis nicht der ursächliche Auslöser
Wichtig zu verstehen ist an dieser Stelle, dass ähnlich wie bei Psychosen, Cannabis nicht der initiale Auslöser ist. Cannabis kann nichts in der Psyche erzeugen, was nicht zuvor bereits latent vorhanden war und später ohnehin ausgebrochen wäre. Ähnlich wie eine latent vorhandene Psychose durch Cannabis aktiviert werden kann, kann auch eine latent vorhandene DPDR zum Beispiel durch Cannabis ausgelöst werden. Etwa 2 % der Bevölkerung tragen eine latente DPDR in sich. Durch verschiedene seelische Einflüsse, wie Dauerstress oder traumatische Erfahrungen, kann diese latent vorhandene Störung plötzlich ausbrechen. Einer dieser Faktoren kann auch der Konsum von Cannabis sein, vorwiegend dann, wenn der THC-Gehalt sehr hoch ist und die Grundstimmung schlecht ist. In solchen Fällen kann THC zu starken Paranoia führen und infolge dieser Angstreaktion ebenfalls die latent vorhandene DPDR zum Ausbruch bringen.
Die Wissenschaft geht aktuell davon aus, dass es sich bei akuter DPDR um eine Art Schutzmechanismus des Gehirns handelt, welcher das Gehirn vor emotionaler Überforderung bewahren soll. Das Problem ist jedoch, dass dieser überreagiert und zu einer längerfristigen Abschottung zwischen der Außenwelt und dem emotionalen Erleben führt. Ob es sich bei dem auslösenden Reiz um eine traumatische Situation aus dem Alltag, oder eine angstvolle Situation durch Drogeneinfluss handelt, ist in diesem Fall unerheblich, denn beides löst in diesem Fall diese eigentlich als Schutzmechanismus gedachte Funktion aus. Tritt dieses Problem erstmalig nach dem Cannabiskonsum auf, so ist zu einem gewissen Teil auch die Prohibition und der daraus resultierende Schwarzmarkt daran schuld.
Viele Sorten sind heute überzüchtet und enthalten nur noch THC, jedoch praktisch kein CBD mehr, welches wiederum die Nebenwirkungen von THC zu einem Teil aufheben kann. Gäbe es einen kontrollierten Markt mit Qualitätskontrollen, könnte man einen THC-Grenzwert festlegen und einen Mindestgehalt an CBD garantieren, um übermäßige Reaktionen auf das THC zu minimieren. Eine erhöhte Anfälligkeit für einen akuten Ausbruch von DPDR besteht im Jugendalter, während das Gehirn noch in Entwicklung ist. Gäbe es durch eine vollständige Legalisierung eine streng regulierte Abgabe, könnte deutlich effektiver als es aktuell der Fall ist, verhindert werden, dass Cannabis von Jugendlichen konsumiert wird.
Keine spezifische Medikation bekannt
Die Schulmedizin kennt bis heute kein zugelassenes Medikament, welches die Symptome der DPDR an sich bekämpft. Gelegentlich werden als Begleitmedikation angstlösende Medikamente wie SSRIs verschrieben, da DPDR häufig auch mit einem verstärkten Angstempfinden oder Depressionen einhergeht. Der Behandlungsansatz beschränkt sich meist auf rein verhaltenstherapeutische Vorgehensweisen, welche hauptsächlich aus der kognitiven Verhaltenstherapie stammen. Im Wesentlichen geht es bei diesen Behandlungsansätzen darum, seinen Fokus von der Symptomatik wegzulenken und sich mittels Ablenkung auf andere Dinge zu fokussieren. Auf diese Weise kann das Gehirn mit der Zeit konditioniert werden, seine Wahrnehmung wieder zu verlagern.
CBD möglicherweise wirksam
Es gibt Hinweise darauf, dass CBD nicht nur die Kurzzeitnebenwirkungen von THC eindämmen kann, sondern auch DPDR selbst lindern könnte. Es ist mittlerweile bekannt, dass CBD gegen Psychosen und Ängste wirksam ist. Besonders ein gesteigertes Angstempfinden ist ein zentraler Verstärker von den Symptomen der DPDR. Die Angst vor den Symptomen kann in einem Teufelskreis münden und diese erst recht aufrechterhalten. Schulmedizinisch ist die Studienlage zu CBD und DPDR noch sehr gering, jedoch gibt es eine Studie aus dem Jahr 2011, die zeigte, dass CBD nicht nur angstlindernd ist, sondern auch das Gefühl der Depersonalisation und Derealisation selbst mildert.
Zehn freiwillige Versuchspersonen erhielten zuerst Ketamin. Bei Ketamin handelt es sich um eine dissoziative Droge, die Körper und Geist voneinander trennt und somit vorübergehend Gefühle der Derealisation und Depersonalisation auslöst. Im Anschluss wurde einer Gruppe CBD verabreicht und der anderen Gruppe ein Placebo. Gemessen wurde der Grad der Dissoziation anhand der CADSS-Skala. Bei dieser Skala handelt es sich um einen standardisierten Fragebogen, anhand dessen der Grad der Dissoziation eines Patienten in Zahlen gefasst werden kann.
Bei der Gruppe die CBD bekam, zeigte sich eine Abnahme der dissoziativen Wirkung laut dieser Skala. Somit wäre CBD der erste Wirkstoff, bei welchem überhaupt eine Linderung der Unwirklichkeitssymptome nachgewiesen wurde.