Bei medizinisch wertvollen Substanzen, die im Hanf vorkommen, denken viele zunächst an Cannabinoide wie THC. Doch gerade aufgrund des verschwindenden geringen Anteils an THC, scheint Nutzhanf zunächst unbrauchbar zu sein. Aktuell gilt in der EU die Richtlinie, dass Nutzhanf maximal 0,3 % THC enthalten darf. Zwar scheidet er an dieser Stelle aus, wenn man sein wichtigstes Cannabinoid medizinisch nutzen möchte, jedoch gibt es in Hanfsorten noch eine weitere, deutlich unbekanntere Stoffgruppe, mit erstaunlichem medizinischem Potenzial, nämlich die Terpene.
Der EU-Sortenkatalog der Nutzhanfsorten wird regelmäßig angepasst und umfasst im Durchschnitt etwa 70–80 Sorten, die zum Anbau zugelassen sind. Viele dieser Nutzhanfsorten weisen einen hohen Gehalt an verschiedensten Terpenen auf und sind aus diesem Grund medizinisch interessant. Chemisch betrachtet handelt es sich bei den Terpenen um Kohlenwasserstoffe. Terpene sind verantwortlich für das ganz spezielle Aroma der einzelnen Hanfsorten, weshalb Terpene auch zur Gruppe der ätherischen Öle gezählt werden. Der ganz typische Cannabisgeruch ist das Resultat einer Synergie mehrerer aromatischer Terpene. Neben der typischen Duftnote weisen einige Terpene erstaunliche medizinische Eigenschaften auf. Es gibt Untersuchungen, die das Terpenprofil bekannter Nutzhanfsorten analysiert und daraus Belege für eine signifikante medizinische Wirkung abgeleitet haben. Die angegebenen Terpenkonzentrationen, beziehen sich hierbei auf den prozentualen Anteil des jeweiligen Terpens, in der Gesamtmenge der ätherischen Öle. Der Gehalt an ätherischen Ölen liegt bei den meisten registrierten Nutzhanfsorten bei 0.1 bis 0.2 Milliliter pro 100 Gramm getrocknetem Pflanzenmaterial.
Mehrere Sorten reich an Beta-Caryophyllen
Das Häufigste in Nutzhanfsorten vorkommende Terpen ist Beta-Caryophyllen. Der Gehalt in den ätherischen Ölen verschiedener Sorten liegt zwischen 27 % und 40 %. Beta-Caryophyllen ist ein ausgesprochen interessantes Terpen, da es rein chemisch betrachtet das typische Kohlenwasserstoffgerüst von Terpenen aufweist, gleichzeitig aber auch am CB2-Rezeptor andocken kann. Aus diesem Grund muss dieses Terpen streng genommen auch zu den Cannabinoiden gezählt werden. Beta-Caryophyllen weist eine Reihe medizinischer Qualitäten auf, die durch mehrere Studien belegt wurden. Durch seine Bindungsaffinität am CB2-Rezeptor weist es im Wesentlichen die für diesen Rezeptor typischen Wirkungen auf. #
Es hemmt unter anderem die psychoaktive Wirkung von THC. Die klassischen Symptome einer zu hohen Dosis THC, wie Paranoia und Herzrasen, können mittels Beta-Caryophyllen deutlich reduziert werden. Wie es für CB2-Agonisten typisch ist, kann dieses Terpen auch zahlreiche intrazelluläre und immunologische Prozesse modulieren. Auf diese Weise wirken Beta-Caryophyllen entzündungshemmend und neuroprotektiv. Mehrere Studien belegten auch, dass dieses Terpen Autoimmunreaktionen hemmen kann und somit gegen eine Vielzahl von Volkskrankheiten, die unter anderem mit autoimmunologischen Prozessen im Zusammenhang stehen, wirksam sein kann. Dazu zählen etwa Diabetes Typ 2, Adipositas, aber auch rheumatische sowie neurodegenerative und entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems. Chronische Entzündungen sind die Grundlage für eine Vielzahl von degenerativen Erkrankungen. Forscher gehen davon aus, dass auch Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson, letztlich ein entzündlicher Prozess als Ursache zugrunde liegt. An einem Mausmodell konnte gezeigt werden, dass Beta-Caryophyllen auch diesen Entzündungsprozessen entgegenwirkt.
Terpene haben antibiotische Wirkung
Eine besonders interessante Tatsache ist, dass die im Nutzhanf vorkommenden Terpene eine ausgeprägte antibiotische Wirkung aufweisen. Eine aus dem Jahr 2020 stammende internationale Studie, verglich das antibiotische Potenzial der Nutzhanfterpene mit dem Potenzial gängiger Antibiotika. Zumindest in einer in vitro Analyse, zeigten die Terpene einiger Nutzhanfsorten ein antibakterielles Potenzial, welches gegen einige Erreger, mit denen zum Vergleich verwendeten Antibiotika, nahezu gleichwertig war. Für diese Untersuchung wurden auf Nährböden verschiedene Kulturen von bekannten Infektionserregern gezüchtet. Im Anschluss wurde jeweils eine Kultur mit dem Vollspektrum-Terpenextrakt einer Nutzhanfsorte versetzt und eine weitere Kultur dieses Bakterienstammes, mit einem gängigen Antibiotikum wie Gentamicin oder Cefoxitin.
Auf diese Weise konnte ermittelt werden, wie stark die Keimzahl des Bakterienstammes durch Terpene, im Vergleich zum herkömmlichen Antibiotikum eingedämmt wird. Die Forscher gehen davon aus, dass für diesen Effekt nicht ein einzelnes Terpen verantwortlich ist, sondern dass erst das Zusammenwirken der einzelnen Terpene in der jeweiligen Hanfsorte, den individuellen antibiotischen Effekt ergibt. Es zeigte sich, dass die Terpene verschiedener Nutzhanfsorten gegen einige Bakterienstämme besonders wirksam sind. Beispielsweise zeigten die Terpene der Nutzhanfsorte Dioica, ein besonders hohes Potenzial gegen den Bakterienstamm Streptococcus pneumoniae. Die Keimzahl wurde hier ähnlich effizient eliminiert, wie durch das Antibiotikum Gentamicin.
Streptococcus pneumoniae ist beim Menschen ein Erreger der Lungenentzündung. Auch gegen den sehr gefährlichen Bakterienstamm Staphylococcus aureus, welcher mittlerweile auch gegen mehrere gängige Antibiotika Resistenzen aufweist, zeigten einige Nutzhanfsorten eine signifikante Wirkung. Als am stärksten wirksam haben sich hier die Terpene der Sorten Bacalmas, Carmagnola und Sequieni erwiesen. Auch der als typischer Krankenhauskeim bekannte Bakterienstamm, Pseudomonas aeruginosa, konnte mit Terpenen wirksam eingedämmt werden. Hier erwies sich die Sorte Dioica, mit einer Potenz, die etwa 75 % der Potenz von Cefoxitin entsprach, als am effektivsten. Gegen Salmonellen der Gattung Salmonella enterica, erwiesen sich die Terpenprofile aller getesteten Nutzhanfsorten als etwa gleich gut wirksam und entsprachen immerhin etwa 50 % der Potenz des Antibiotikums Cefoxitin.
Humulen, ein weiteres wertvolles Terpen im Nutzhanf
Ein weiteres, medizinisch sehr interessantes Terpen, welches sich in Nutzhanfsorten finden lässt, ist Humulen. Seit mittlerer Gehalt in den gesamten ätherischen Ölen beträgt etwa 1–2 %. Humulen ist primär bekannt für seine ausgeprägte entzündungshemmende Wirkung. Ein brasilianisches Forscherteam veröffentlichte im Jahr 2009 eine Studie, die zu dem Ergebnis kam, dass Humulen eine ähnlich stark entzündungshemmende Wirkung wie das Kortisonderivat Dexamethason hat. Das Forscherteam stellte bei einer Untersuchung an Mäusen fest, dass Humulen insbesondere bei Entzündungen der Atemwege hochwirksam ist.
Humulen könnte demzufolge, in Zukunft eine mögliche neue Behandlungsmöglichkeit bei allergisch-entzündlichen Atemwegserkrankungen, wie Asthma sein. Weiterhin könnte Humulen ein therapeutisches Potenzial gegen bestimmte Formen von Krebs aufweisen. Eine chinesische Studie aus dem Jahr 2019 kam zu dem Ergebnis, dass Humulen bestimmte Arten von Leberkrebszellen eliminiert. Durch Tests an einer Zellkultur konnte gezeigt werden, dass Humulen Leberkrebszellen zerstört, indem es zunächst die Zellteilung blockiert und in weiterer Folge durch eine Kaskade an intrazellulären Reaktionen, die Krebszelle abtötet. Gesunde Leberzellen werden durch Humulen jedoch nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Alpha-Bisabolol bei entzündlichen Hauterkrankungen
Ein ebenfalls im Nutzhanf vorkommendes Terpen, welches vorwiegend bei Hauterkrankungen Anwendung findet, ist Alpha-Bisabolol. Sein Gehalt in den ätherischen Ölen schwankt hierbei zwischen etwa 0,5 % und 6,7 %. Die höchste Konzentration dieses Terpens, mit 6,7 %, konnte in der Sorte Carmagnola selezionata nachgewiesen werden. Alpha-Bisabolol zeichnet sich hauptsächlich durch seine entzündungshemmende Wirkung aus. Insbesondere bei entzündlichen Erkrankungen der Haut, gilt seine Wirkung als belegt. Alpha-Bisabolol kommt neben dem Hanf, auch in der Kamille, sowie in dem von Bienen produzierten Propolis vor.
Aufgrund des Gehalts an diesem Terpen, finden diese Produkte ebenfalls Anwendung bei entzündlichen Hauterkrankungen und sind Bestandteil zahlreicher entsprechender Cremes. Die Wirkung von Alpha-Bisabolol beruht auf einer hemmenden Wirkung der Produktion bestimmter entzündungsfördernder Zytokine. Zytokine sind Proteine, die entsprechende Prozesse auf Zellebene steuern wie Entzündungsreaktionen. Bei vielen entzündlichen Erkrankungen der Haut sind die Zytokine TNF und TPA maßgeblich beteiligt. Alpha-Bisabolol hemmt die Entzündung, indem es genau die Produktion dieser beiden Zytokine deutlich reduziert. Aufgrund seiner Wirkung auf die Zytokinproduktion, vermuten Forscher auch eine neuroprotektive Wirkung von Alpha-Bisabolol.
Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson können unter anderen auch das Resultat einer entgleisten Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen im Gehirn und Zentralnervensystem sein. Erste Untersuchungen auf dem Gebiet legen nahe, dass dieses Terpen in Zukunft eine Rolle bei der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen spielen könnte. Untersuchungen an Zellkulturen kamen außerdem zu dem Ergebnis, dass Alpha-Bisabolol aufgrund seiner hemmenden Wirkung auf bestimmte Zytokine, auch das Wachstum mehrerer Krebsarten eindämmen kann.
Unter anderem bei Bauchspeicheldrüsenkrebs und Brustkrebs konnte in Zellkulturen eine krebshemmende Wirkung dieses Terpens nachgewiesen werden. Die krebshemmende Wirkung muss zwar noch in klinischen Studien am Menschen getestet werden, doch aufgrund der Ergebnisse der Zellkulturstudien ist davon auszugehen, dass dieses Terpen ein großes Potenzial besitzt und zukünftig in der Medizin noch eine wichtige Rolle spielen könnte.